Wärme, Sauerstoff,

Lieblingsspeise

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Mag. med. vet. Anna Binetti von der Abteilung für Anästhesiologie und perioperative Intensivmedizin der Vetmeduni erklärt, was man bei der Anästhesie kleiner Heimtiere beachten sollte und was zu tun ist, wenn Komplikationen auftreten.

Die Narkose gilt bei kleinen Heimtieren als schwierig. Eine gute Überwachung der Patienten kann uns helfen, bei Komplikationen schneller einzugreifen. Aber wieviel Monitoring ist bei kleinen Heimtieren überhaupt möglich?
Je mehr, desto besser! Ich würde empfehlen, vor allem bei längeren Prozeduren zumindest immer einen Venenkatheter zu setzen. Dabei gibt es beim Kaninchen einen Trick für die Praxis: Ich lege einen Handschuh mit lauwarmem Wasser auf das Ohr – nach drei bis fünf Minuten ist die Vene gut sichtbar. Auch bei Meerschweinchen ist es mit etwas Übung möglich, einen Zugang zu setzen, wenn man die anatomischen Gegebenheiten im Vergleich zu Hund und Katze berücksichtigt: Die Vena cephalica liegt eher lateral, die Vena saphena eher kaudal. Ich bevorzuge dafür Katheter mit 24 oder 26 G.

Was braucht ein kleines Heimtier während der Anästhesie?
Je kleiner die Patienten, desto schneller kühlen sie aus. Eine Hypothermie führt schnell zu weiteren Komplikationen, daher muss vom Beginn der Sedierung bis zum Aufwachen durchgehend für Wärme gesorgt werden. Augensalbe sollte reichlich gegeben werden, weil bei diesen Tierarten ein Exophthalmus vorliegt. Außerdem muss die Sauerstoffzufuhr gewährleistet werden.

Das heißt, auch kleine Heimtiere können intubiert werden?
Ja, wenn möglich soll Sauerstoff zugeführt werden. Die Intubation empfehle ich vor allem bei kritischen Patienten oder einer längeren OP-Dauer.

Für Kaninchen gibt es inzwischen Larynxmasken, die einfacher zu setzen sind als ein Tubus, das klappt super. Die Intubation mittels Tracheotubus wird entweder „blind“ oder mithilfe eines Endoskops durchgeführt. Kaninchen sind sehr anfällig für Larynxspasmen, deshalb tropfe ich etwas Lidocain auf den Larynx respektive auf den Tubus. Wenn das Kaninchen sehr klein ist, kann man die Lösung etwas verdünnen. Gerade bei Routineoperationen wie der Kastration eines männlichen Tiers würde ich aber nicht allzu viel Zeit mit dem Versuch verbringen, zu intubieren; wenn es nicht gleich klappt, kann der Sauerstoff über eine Maske zugeführt werden.

Wie können wir uns für den Fall vorbereiten, dass Komplikationen auftreten?
Generell gilt: Je kürzer die OP, desto besser. Für die Dosierung der Medikamente sollte das Körpergewicht aktuell am Tag der OP gemessen werden. Alle Notfallmedikamente richte ich im Vorfeld in der korrekten Dosierung her: jeweils einmal Adrenalin low-dose und high-dose, alle Antagonisten und Atropin sowie Glykopyrrolat.

Die Kastration von männlichen Tieren wird häufig durchgeführt. Kann es auch bei diesem Routineeingriff zu Komplikationen kommen?
Der vagale Reflex kann hier zu Problemen führen. Ich würde bei Böcken immer Lokalanästhesie geben und auf ein gutes Monitoring der Herzfrequenz achten. Wenn diese sinkt, kann man noch versuchen, den Zug am Samenstrang kurz lockerzulassen. Steigt die Herzfrequenz dann nicht deutlich an, würde ich sofort Atropin oder Glykopyrrola i. v. geben. Grundsätzlich wirkt Atropin schneller und sollte deshalb bei einer lebensbedrohlichen Bradykardie bevorzugt angewendet werden.

Würden Sie dazu raten, von Beginn an Atropin zu geben?
Nein, wobei es hier unterschiedliche Ansätze gibt. Etwa die Hälfte der Kaninchen besitzt Atropinase, ein Enzym, das Atropin viel zu schnell verstoffwechselt. Zusätzlich besitzt Atropin eine sehr kurze Halbwertszeit und wirkt dann nicht mehr, wenn der Körper es benötigt. Außerdem bremst es zwar die Sekretion im Gastrointestinal- und Respirationstrakt, neue Studien haben jedoch gezeigt, dass es nur den wässrigen Anteil der Sekretion bremst, nicht den mukösen! Das kann dazu führen, dass sich die Atemwege durch dickflüssigen und schleimigen Speichel verlegen.

Welche Komplikationen kommen häufig vor?
Oft sind die Patienten bereits geschwächt und sollten vor der Operation noch stabilisiert werden. Es handelt sich ja um Fluchttiere – sie zeigen lange nicht, dass es ihnen schlecht geht, und die Krankheit ist meist zum Zeitpunkt der Operation bereits weit fortgeschritten. Kaninchen haben wenig Sauerstoffreserven und kommen leicht in eine Hypoxämie, dann folgt auch schnell der Herzstillstand; darum ist gutes Monitoring so wichtig. Sobald die Atemfrequenz niedriger wird, müssen wir schnell handeln.

Beeinflusst der Allgemeinzustand der Patienten die Auswahl der Medikamente, die verwendet werden können?
Ja, es sollten dann Protokolle gewählt werden, die nach der ASA-Klassifikation für geschwächte Tiere geeignet sind. Diese werden individuell an die Bedürfnisse der Patienten angepasst. Grundsätzlich sind Midazolam und Butorphanol eine gute und kardiorespiratorisch stabile Prämedikation, mit Alfaxalon kann eingeleitet werden. Ketamin gebe ich bei ASA-III-Patienten bei Bedarf dazu, ab ASA IV nicht mehr.

Hat die Dauer der Narkose Auswirkungen auf den Allgemeinzustand der Patienten?
Bei langen Narkosen über mehrere Stunden merkt man im Lauf der Zeit, dass die Werte schlechter werden. Deshalb ist die richtige Lagerung bei solchen Operationen besonders wichtig. Beim Kaninchen ist die Atmung völlig von der Zwerchfellmuskulatur abhängig. Eine Rückenlage übt Druck auf das Zwerchfell aus und die spontane Atmung wird schwieriger, je länger die OP dauert. Daher ist die Intubation respektive die Verwendung einer Larynxmaske so wichtig, damit man die Atmung manuell unterstützen kann.

Wie kann man Komplikationen noch vorbeugen?
Sinnvoll ist es, den Kreislauf mittels Pulsoximeter, EKG und, wenn möglich, Kapnograph zu überwachen. Auch die Blutdruckmessung wäre bei längeren OPs sehr wichtig – ein arterieller Zugang ist zum Beispiel über das Ohr möglich. Durch ein gutes Schmerzmanagement mit zum Beispiel Fentanyl als DTI kann die benötigte Menge an Narkosegas niedrig gehalten werden. Auch Lokalanästhesie sollte, wenn möglich, eingesetzt werden: Epidurale Anästhesie funktioniert mit etwas Übung auch bei Kaninchen und Meerschweinchen; bei Zahnoperationen können Blöcke gesetzt werden.

Besteht auch in der Aufwachphase noch die Gefahr, dass es zu Komplikationen kommt?
Dazu gibt es mittlerweile viele Studien: Zwei Drittel der Todesfälle bei kleinen Heimtieren während einer Narkose passieren in der Aufwachphase! Während der Anästhesie ist das Monitoring meist sehr intensiv, danach sollte aber nicht darauf vergessen werden. Die Aufwachphase ist sehr anstrengend für die Patienten.

Worauf sollte während der Aufwachphase besonders geachtet werden?
Sauerstoff sollte weiterhin zugeführt werden. Die Herz- und Atemfrequenz, die Schleimhäute und die Reflexe sollten regelmäßig kontrolliert werden. Wichtig ist ein gutes Temperaturmanagement. Eine Hypothermie verändert den Metabolismus, dann dauert die Ausscheidung der Medikamente länger oder/und sie kumulieren, die Patienten schlafen lange nach. Ich lasse die Tiere auch intubiert, bis sie wach sind.

Kaninchen und Meerschweinchen sollten ja vor der Operation nicht fasten. Wann sollte man nach der Operation mit der Fütterung beginnen?
Sie sollten angefüttert werden, sobald sie wach sind, denn nach längeren Operationen können die Patienten bereits hypoglykämisch sein. Basilikum, Petersilie, blättrige Gemüse bieten sich an. Besitzer*innen können die Lieblingsspeise auch als „Proviant“ mitbringen. Bei der Fütterung von breiigen Instantnahrungsmitteln muss man darauf achten, dass die Patienten schon schlucken können.

Wie kann eingeschätzt werden, ob das Schmerzmanagement nach der Operation ausreichend ist?
Prinzipiell antagonisiere ich alle Medikamente, bei denen das möglich ist, damit die Tiere schnell aufwachen, doch bei sehr schmerzhaften Prozessen sollte man die Opioide nicht antagonisieren und das Schmerzregime bei Bedarf mit zusätzlichen Analgetika ergänzen. Es gibt mittlerweile Schmerzskalen, die für kleine Heimtiere validiert wurden (siehe Literaturangaben, Anm.) – diese kann man in der Ordination gut sichtbar aushängen.

Und dann gibt es noch die ganz kleinen Heimtiere: Chinchilla, Degu, Hamster, Maus oder Ratte.
Je kleiner das Tier ist, desto wichtiger ist es, das genaue Gewicht zu kennen. Die Narkose sollte so kurz wie möglich dauern und gut vorbereitet werden. Alles muss schon hergerichtet und auch die Wärmematte vorgewärmt sein. Währenddessen kann das Tier sich in einer warmen, dunklen und ruhigen Umgebung akklimatisieren. Das kleinste Tier, bei dem ich eine Anästhesie durchgeführt habe, war ein Hamster mit 60 Gramm. Sogar das Kathetersetzen hat geklappt! Ich würde aber keine Zeit damit verlieren – wenn es beim ersten Versuch nicht klappt, lässt man es besser bleiben.

Kann auch ein so kleines Tier intubiert werden?
Es sollte immer Sauerstoff zugeführt werden, zum Beispiel über eine Maske. Intubation ist bei diesen Patienten fast unmöglich. Sollte es zu einem Atemstillstand kommen, gibt es einen guten Trick: Den Patienten in Brust-Bauch-Lage auf die Hände setzen und schwenken. So kann die Atmung mithilfe der Schwerkraft gemimt werden. Für das Monitoring empfehle ich das Pulsoximeter und ein EKG, wenn möglich auch einen Kapnographen. Am besten nimmt man ein transparentes OP-Tuch, um die Atemzüge beurteilen zu können.


Weiterführende Literatur:
Bristol Rabbit Pain Scale: L. Benato, J. Murrell, T. G. Knowles,
N. J. Rooney; 2021. Development of the Bristol Rabbit Pain Scale: A multidimension composite pain scale for assessing acute pain
in rabbits. PLOS One, 16(6): e0252417.
Eberspächer-Schweda, Eva: „AnästhesieSkills“. Perioperatives Management bei Klein-, Heim- und Großtieren. 2. Auflage, Thieme, 2020.


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