Fallen

gelassen

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Dr. med. vet. Janina Janssen, Resident ECVS an der Vetmeduni, erklärt, wie Frakturen bei Kaninchen versorgt werden müssen und warum es leichter zu Fissuren kommt, die am Röntgen schwer zu sehen sind.

„Mein Sohn hatte es auf dem Schoß, und dann ist es einfach hinuntergesprungen …“ – so manches Kaninchen, das sich mit einem Paniksprung rettet, weil es gerade nicht gehalten und gestreichelt werden will, landet mit einem gebrochenen Bein auf unserem Behandlungstisch. Häufig ist auch gar kein Trauma bemerkt worden: „Seit ein paar Tagen hält es die Pfote so komisch in die Höhe …“ Mag. med. vet. Janina Nora Janssen von der Abteilung für Kleintierchirurgie an der Vetmeduni Wien erklärt, welche Frakturen wie versorgt werden können, wie es mit der Prognose aussieht und wie wir die Besitzer*innen hinsichtlich der Vorbeugung solcher Unfälle beraten können.

Warum kommen Frakturen bei Kaninchen so häufig vor – selbst bei Sprüngen aus geringer Höhe?
Die Knochenstruktur ist bei Kaninchen anders als bei Hunden und Katzen: Die Knochendichte ist geringer, die Knochenbeschaffenheit ist deutlich spröder.

Welche Fragen sollten wir den Besitzer*innen stellen, wenn ein Kaninchen mit einer Fraktur zu uns gebracht wird? Geht es hier „nur“ um das richtige Handling der Tiere oder auch um die Haltungsbedingungen?
Haltungsfehler begünstigen die Entstehung von Frakturen. Darum gehe ich im Beratungsgespräch auch auf die Fütterung ein: Manchmal wird zu wenig Frisch­futter gefüttert oder es werden nur Pellets anstatt von Heu angeboten. Dadurch ist das Calcium-Phosphor-Verhältnis ungünstig und führt zu einem sekundären – alimentären – Hyperparathyreoidismus und einer verminderten Knochendichte. Zusätzlich sind eine gute klinische Untersuchung und eine basale Blutuntersuchung nützlich, da chronisches Nierenversagen zu vermehrten Kalzium­einlagerungen im Knochen und zu deren Brüchigkeit führt.

Wie können wir einschätzen, ob die Knochendichte adäquat ist?
Am Röntgenbild ist die Knochendichte gut beurteilbar, zur Einschätzung dieser eignen sich die ersten drei Lendenwirbel gut. Osteopenie äußert sich in aufgehellter Knochensubstanz, die Knochen wirken „durchsichtig“. An langen Röhrenknochen kann in schweren Fällen eine „doppelte Kortikalislinie“ gesehen werden. Die Frakturstelle sollte ebenfalls gut auf Hinweise einer pathologischen Fraktur untersucht werden. Primäre Knochentumore sind bei älteren Tieren nicht selten, aber auch Metastasen, zum Beispiel von uterinen Adenokarzinomen, oder multiple Myelome können vorkommen. Ähnlich wie bei Hund und Katze kann Osteolyse mit oder ohne peri­ostale Reaktionen hinweisend auf eine pathologische Fraktur sein.

Gibt es Unterschiede in der Versorgung von Frakturen der Vorder- und Hinterextremitäten?
Die Hintergliedmaßen dienen den Kaninchen zum Vortrieb und sind damit auch während der Heilung starken Kräften ausgesetzt. Frakturen der Tibia sollten immer chirurgisch versorgt werden, da Kaninchen einen großen Cast-Verband an der Hinterextremität schlecht tolerieren und durch den Stress leicht eine Magen-Darm-Stase entwickeln. Eine adäquate Ruhigstellung kann nur mittels chirurgischer Fixation sichergestellt werden. Frakturen der körpernahen Röhrenknochen wie Humerus und Femur sind meist Resultat eines größeren Traumas; sie kommen dementsprechend seltener vor. Da sie durch Verbände nicht völlig ruhig gestellt werden können, ist eine chirurgische Stabilisierung anzuraten. Die Vorderextremitäten von Kaninchen sind weniger starken Kräften bei der Fortbewegung ausgesetzt – bei Radius / Ulna-Frakturen sind daher in der Regel weniger Komplikationen bei der Knochenheilung zu erwarten.

Welche Operationstechnik wird bei Frakturen bei Kaninchen am besten angewendet?
In den meisten Fällen eignet sich bei langen Röhrenknochen ein Fixateur externe. Dieser kann adäquat die Kräfte übernehmen, die beim Hoppeln auf das Bein aufgebracht werden, und stört das Tier weniger als ein Verband. Plattenosteosynthese wird seltener eingesetzt, da die Implantate teurer sind und die spröde Knochenstruktur Stressfrakturen am Implantatrand begünstigt. Unentdeckte Fissuren können in jedem Fall die Frakturversorgung verkomplizieren und zum Ausbrechen von Bohrkanälen führen.

Gibt es auch Frakturen, bei denen eine konservative Therapie denkbar ist? Diese wird schließlich von den Besitzer*innen oft gewünscht.
Können die Besitzer*innen sich eine Operation finanziell absolut nicht leisten, ist es in manchen Fällen möglich, einen konservativen Versuch zu unternehmen. Dazu sind vier bis sechs Wochen absoluter Bewegungseinschränkung in einem kleinen Käfig mit Sichtkontakt zu den Partnertieren nötig. Je weniger verlagert eine Fraktur ist, desto besser sind die Heilungsaussichten.

Wie steht es mit Frakturen der Wirbelsäule?
Diese Frakturen entstehen bei Kaninchen, wenn sie zu Boden gedrückt werden und sich fluchtartig mit den Hinterbeinen abstoßen. Vor allem die Lendenwirbelsäule ist dann im Sinne einer Fraktur oder Luxation betroffen. Wenn nach einem Trauma klinisch neurologische Defizite festgestellt werden, sollte vorsichtig ein seitliches Röntgenbild der Wirbelsäule angefertigt werden. Sind Empfindung respektive Eigenbewegung der Hintergliedmaßen und Blasenfunktion vorhanden, kann ein konservativer Therapieversuch in Boxenruhe – siehe oben – vorgenommen werden.

Mit welchen Komplikationen ist im Zuge einer Frakturversorgung zu rechnen?
Durch die mürbe Knochenstruktur kommt es leichter zu Fissuren, die am Röntgen nicht immer zu sehen sind. Oft werden diese erst in der Operation bemerkt, wenn eine Fraktur versorgt wird. Vorher ein Micro-CT zu machen erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit, eine Fissur zu entdecken, ist aber trotzdem nicht völlig zuverlässig. Am ungünstigsten wäre es, wenn man die Fissur intraoperativ nicht bemerkt und später die Versorgung instabil ist, weil die Bohrdrähte oder Schrauben durch die Fissurlinie gesetzt wurden. Bei einer erhöhten Gefahr von Stress­frakturen kann man eine schrittweise Implantatentfernung vornehmen, um nach und nach mehr Belastung auf den heilenden Knochen zu bringen und ihn zu stärken. Zuerst kann beispielsweise ein intramedullärer Pin entfernt werden, erst drei Wochen später dann der Fixateur externe.

Schwere Infektionen bis hin zur Osteomyelitis sind selten, können sich aber wegen des dicken, zähen Eiters von Kaninchen als schwierig herausstellen. In so einem Fall muss infiziertes Gewebe entfernt und offene Wundheilung vorgenommen werden.

Wie sieht es mit der Prognose aus, wenn operiert wird?
Man muss die Besitzer*innen darüber aufklären, dass Kaninchen generell ein höheres Narkoserisiko haben. Umso wichtiger ist es, als Chirurg*in gut vorbereitet in die Operation zu gehen und den Eingriff so rasch wie möglich durchzuführen. Meist sind jüngere Tiere betroffen, die aufgrund ihres Alters und ihres geringen Gewichts bessere Chancen haben, zu genesen. Je höher das Gewicht, umso wahrscheinlicher ist es, dass es zu Komplikationen kommt. Offene Frakturen sind prognostisch schlechter als geschlossene, da mit einem schwereren Weichteiltrauma und Infektionen zu rechnen ist. Außerdem ist die Gefahr einer neurologischen Schädigung erhöht.

Ist die Nachsorge postoperativ für die Besitzer*innen sehr intensiv? Worauf müssen sie achten?
Die Heilungsdauer nach einer Fraktur beträgt im Schnitt vier bis sechs Wochen, es geht also in der Regel etwas schneller als bei Hund und Katze. Die Kontrollröntgen würde ich häufiger ansetzen, alle zwei bis drei Wochen. Das Kaninchen sollte während der Genesung absolut ruhig gehalten werden, also alleine in einem kleineren Käfig ohne Springmöglichkeiten. Wichtig wäre es dabei, Sichtkontakt zu den Partnertieren zu gewährleisten. Essenziell ist gute Käfighygiene, um Feuchtigkeit und Verschmutzung so gering wie möglich zu halten. Wurde ein Fixateur externe angebracht, sollten die Pins und deren Eintrittsstellen in die Haut sauber gehalten werden.

Viele Besitzer*innen entscheiden sich aus finanziellen Gründen gegen eine Operation…
Hier können wir Überzeugungsarbeit leisten: Die Schmerzhaftigkeit sollte als Hauptentscheidungsfaktor für eine OP gesehen werden. Schmerz verursacht Stress, der beim Kaninchen schnell zu einer gefährlichen Magen-Darm-Stasis führt. Eine unversorgte Fraktur kann zu Retraumatisierung führen, zum Beispiel können spitze Knochenenden durch die Haut stechen und Infektionen begünstigen. Eine Operation ermöglicht eine schnellere, bessere Heilung und die vollständige Wiederherstellung der Gliedmaßenfunktion – und damit deutlich weniger Schmerzen für die Patienten. Ein Fixateur externe ist vergleichsweise leistbar und die Zahl der Besitzer*innen, die in einer solchen Situation etwas für ihr Kaninchen tun möchten, nimmt zu.

Literaturempfehlungen:
Harcourt-Brown, Frances, Chitty, John: BSAVA manual of rabbit surgery, dentistry and imaging, (2013, Reprint 2016).
Sasai, Hiroshi; Fujita, Daisuke; Seto, Eiko; Denda, Yuki; Imai, Yutaro; Okamoto, Kanako et al. (2018): Outcome of limb fracture repair in rabbits: 139 cases (2007–2015). In: Journal of the American Veterinary Medical Association 252 (4), S. 457–463. DOI: 10.2460/javma.252.4.457.


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