Kleine Tiere,

große (Zahn-)Probleme

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Erkrankungen der Zähne kommen bei kleinen Heimtieren sehr häufig vor. Dr. med. vet. Matthias Eberspächer-Schweda, Dipl. AVDC, sprach mit dem Vetjournal über Ursachen, Diagnostik und das klinische Management.

Nahezu alle kleinen Heimtiere entwickeln im Lauf ­ihres Lebens Erkrankungen der Zähne. Kaninchen, Meerschweinchen, Degus, Chinchillas, Mäuse, Hamster oder Ratten, alle diese Tiere sieht Dr. med. vet. Eberspächer-Schweda regelmäßig auf seinem Zahnbehandlungstisch. Die Ursache der hohen Inzidenz von Zahnerkrankungen liege hauptsächlich in der unphysiologischen Ernährung, die sich aus der Haltung in der Obhut des Menschen ergibt, so der Spezialist: „Kaninchen und Nagetiere sind herbivore Tiere, das heißt, ihr Gebiss unterscheidet sich stark von dem der karni- oder omnivoren Tiere. Deswegen sehen wir bei diesen Tieren auch ganz andere Zahnprobleme. Die Zähne dieser Spezies wachsen lebenslang und müssen bei der Futteraufnahme abgerieben werden. Eine Folge der Haustierhaltung ist, dass die Zähne durch das unphysiologische Nahrungsangebot nur unzureichend abgenutzt werden. Die ursprüngliche Ernährung dieser ­Tiere sind silikatreiche Gräser, in der Obhut des Menschen werden ihnen aber Heu, Gemüse, Obst und Pelletfutter angeboten. Je nach Fütterung und individueller Kompensationsfähigkeit des Tiers dauert es dann unterschiedlich lange, bis sich daraus Zahnerkrankungen entwickeln.“

Welche Zahnerkrankungen häufig vorkommen

Dr. Eberspächer-Schweda erzählt: „Sehr häufig ent­wickeln Heimtiere aufgrund des ungleichmäßigen Ab­riebs des Gebisses Zahnspitzen. Diese werden aber meist erst bemerkt, wenn sie Verletzungen in der Maulhöhle verursachen und das Tier dann aufgrund der Schmerzen weniger frisst oder gewisse Nahrungsmittel verweigert. Vor allem Kaninchen kompensieren sehr lange, die Pro­bleme bleiben unerkannt, selbst wenn schon ­Verletzungen der Zungen- oder Backenschleimhaut vorhanden sind oder die Zähne bereits in das Weichteilgewebe einwachsen.“ Der Tierarzt erklärt, warum diese subtile, für Besitzer*innen oft schwer erkennbare Symptomatik pro­blematisch ist: „Die schmerzhaften Stellen werden beim Kauen entlastet, das heißt, es kommt in weiterer Folge zu einem vermehrten Wachstum der betroffenen Zähne, welche dann aufgrund des erhöhten Drucks beim Kauen immer weiter in den Kieferknochen gedrückt werden. Das führt dazu, dass sich der Knochen selbst verändert, sich die Zähne im Reservekronenbereich verformen und im Endstadium sogar in der Alveole ­drehen. Dadurch entstehen Spalten zwischen den Zähnen, in die Bakterien eindringen und so Kieferabszesse verursachen können. Oft werden betroffene Kaninchen erst dann vorgestellt, wenn eine Schwellung am Kiefer erkennbar wird. Bei solchen Tieren sind meist auch bereits mehrere Zähne verschiedener Kieferquadranten betroffen. Sie fressen schon längere Zeit schlecht, sind kachektisch, und im Falle von Kieferabszessen kann es außerdem zur hämatogenen Streuung der Bakterien kommen. Diese multimoribunden Patienten versterben dann auch manchmal plötzlich in der Narkose für die Diagnostik oder Behandlung; bei Sektionen kann man dann Abszesse in den abdominalen und thorakalen Lymphknoten oder der Lunge feststellen.“

Der Experte hebt hervor, dass Meerschweinchen tendenziell früher vorstellig werden als Kaninchen: „Meerschweinchen neigen aufgrund der Zahnstellung zu einer Brückenbildung der Zahnspitzen zwischen den Unter­kiefer-Backenzähnen, die dazu führt, dass die Zunge nicht mehr bewegt und die Nahrung nicht mehr aufgenommen werden kann. Das bemerken die Besitzer*innen dann und gehen zum Tierarzt oder zur Tierärztin.“ Viele Erkrankungen sind schon so weit fortgeschritten, dass das Tier trotz chirurgischer Intervention nicht mehr vollständig gesund werden wird. Mit regelmäßigen Korrekturen versuchen Tierärzt*innen dann, für einen gewissen Zeitraum einen lebenswerten Zustand erhalten zu können.

Dr. Eberspächer-Schweda blickt auf die Entwicklung der letzten Jahre: „Vor ein paar Jahren gab es noch viel mehr Heimtierpatienten, bei denen ich gesagt habe, dass die Erkrankungen so weit fortgeschritten sind, dass ich nichts mehr machen kann. Zwei Entwicklungsprozesse haben aber dazu geführt, dass die aussichtslosen Fälle immer weniger werden: Erstens habe ich mich selbst durch die eigene Erfahrung weiterentwickelt, ich weiß nun sehr viel besser, in welchen Fällen welche Möglichkeiten vorhanden und welche Prognosen zu erwarten sind. Erfahrung ist deswegen so wichtig in diesem Gebiet, weil es verhältnismäßig wenig Literatur dazu gibt. Zweitens kommen zu mir als spezialisiertem Zahntierarzt nun auch viel mehr Besitzer*innen, die schon sehr sensibilisiert auf die Problematik sind und deswegen auch tendenziell früher im Krankheitsstadium vorstellig werden. Vor allem bei Patienten, wo noch keine Veränderungen im Reserve­kronenbereich vorhanden sind, kann mit Zahnspitzenkorrekturen und adäquater Fütterungsanpassung auch dauerhaft ein ­guter Erfolg bei der Kontrolle der Erkrankung und Vorbeugung weiterer Zahnveränderungen erzielt werden.“

Stichwort: Zahnkorrekturen

Dazu führt der Spezialist aus: „Ich korrigiere die Zähne von Heimtieren ausschließlich in Narkose und mit einem Zahnbohrer unter endoskopischer Kontrolle. Ganz wichtig ist es, mit einem Niedriggeschwindigkeitsbohrer mit niedriger Umdrehungszahl zu arbeiten, damit der Zahn nicht durch die Hitzeentwicklung geschädigt wird. Die Kühlung mittels Wasser ist bei Kaninchen nämlich nur schwer möglich, da sie zwar intubiert, aber nicht gecufft sind. Das Abzwicken der Zähne mit einer Zange empfehle ich keinesfalls, dabei wird der Zahn gequetscht und bekommt Fissuren, was abgesehen von den Schmerzen prädisponierend für eine Infektion sein kann.“

Und wie sieht es mit der Möglichkeit von Zahnextraktionen aus? Prinzipiell sei (fast) alles möglich, so der Experte, allerdings müsse man immer bedenken, wie stark man in das physiologische System eingreifen möchte: „Beim Kaninchen können tatsächlich alle Inzisivi extrahiert werden, denn es lernt, die Nahrung mit den Lippen zu fassen. Bei Nagetieren wie dem Meerschweinchen kann allerdings nur maximal ein Schneidezahn extrahiert werden, denn diese Tiere kommen ohne ihre Schneidezähne nicht zurecht. Auch betreffend der Backenzähne verhalten sich die Heimtierspezies unterschiedlich: Beim Kaninchen kann jeder Zahn extrahiert werden, egal, ob im Unter- oder Oberkiefer; es ist sogar möglich, im Falle von retrobulbären Abszessen Zähne im Oberkiefer über die Enukleationsstelle zu extrahieren. Je kleiner das Tier, desto schwieriger wird aber auch die Extraktion von Backenzähnen. Der Öffnungswinkel ist oft zu klein für die Instrumente oder die Länge des Zahns, um ihn überhaupt herausziehen zu können. Sind die Zähne aber schon locker, ist das auch bei sehr kleinen Tieren möglich.“

Auf die Frage, wie gut sich die Tiere nach Extraktionen erholen, führt Dr. Eberspächer-Schweda aus: „Ich vergleiche das immer damit, dass es ein bisschen wie Schachspielen in der Maulhöhle ist. Sobald ich einen Zahn rausnehme, verändere ich das gesamte System. Nachdem der jeweilige Antagonist dann keinen Gegenspieler mehr hat, wird er weiterwachsen und nicht mehr abgerieben; das heißt, dass die betroffenen Zähne in weiterer Folge manchmal regelmäßig gekürzt werden müssen. Irgendwann kann das Zahnwachstum tatsächlich auch sistieren, es ist aber nicht vorhersehbar, wann oder ob es passieren wird. Ich bevorzuge es, nicht mehr als drei Backenzähne pro Quadrant zu extrahieren, denn sonst geht man das Risiko ein, dass das Tier danach nur mehr einseitig kaut. Sind aber zwei bis drei Restzähne pro Quadrant übrig, können diese in der Regel gut kompensieren, sodass eine physiologische Kaubewegung ausgeführt werden kann.“ Aufpassen müsse man nur, meint der Experte, dass das flüssige Ersatzfutter, mit dem die Tiere nach der Operation ernährt werden, so schnell wie möglich durch normales Futter ersetzt wird, denn: „Vor allem Chinchillas scheinen sich an die Handfütterung zu gewöhnen. Ich habe schon Fälle erlebt, wo Chinchillas normale Nahrung langfristig abgelehnt haben, obwohl kein pathologischer Prozess mehr zu finden war.“

Prophylaxe ist alles, so auch bei der Zahngesundheit von Kaninchen und Nagern. Optimalerweise, empfiehlt Dr. Eberspächer-Schweda, sollte ein jährlicher Gesundheitscheck inklusive Maulhöhlenuntersuchung durchgeführt werden. Nur so können Probleme schon erkannt werden, bevor sie klinische Symptome bereiten. „Im Idealfall wird eine Maulhöhlenuntersuchung beim Heimtier endoskopisch durchgeführt, die Zahnkronen und Weichteile können viel besser beurteilt werden. In meiner Wunschwelt würde diese prophylaktische Untersuchung in Kombination mit einer Cone-Beam-Computertomografie, CBCT, erfolgen. Weiterführend können die Zähne nämlich nur mittels Schnittbildradiologie untersucht werden, mit einem Zahnröntgen gelingt eine überlagerungsfreie Darstellung kaum. In manchen Fällen kann dies sogar in einer engen Box im Wachzustand erfolgen, die Untersuchung dauert in der Regel nur etwa zwei Minuten. So könnten wir Erkrankungen im Frühstadium erkennen, was die Therapiemöglichkeiten deutlich verbessern würde“, erläutert der Zahntierarzt.

Apropos Prophylaxe: Dazu gehört auch die Beratung der Besitzer*innen hinsichtlich der Fütterung; hier ist viel Aufklärung nötig: So rohfaserreich wie möglich, qualitativ hochwertiges Heu ist gut, Gräser wären besser. Der Zahnchirurg nennt Beispiele: „Die physiologische Ernährung besteht hauptsächlich aus silikatreichen Gräsern. Diese entsprechen allerdings nicht dem englischen Rasengras in unseren Gärten, sondern das sind sehr harte Gräser, die den Abrieb der Zähne gewährleisten können. Alles andere, was unsere Heimtiere im Regelfall bekommen – ich nenne hier Salat, Paprika oder Gurke –, ist definitiv zu weich.“

Ernährungstipps des Experten

Auch Pelletfutter, das sich aufgrund seiner Praktikabilität bei den Besitzern großer Beliebtheit erfreut, ist aus Sicht der Zahngesundheit nicht anzuraten. Der Grund ist, dass die Aufnahme von Pellets zu unphysiologischen Kaubewegungen führt. Dr. Eberspächer-Schweda: „Das Kiefergelenk, ein inkongruentes Schlittengelenk, ist sehr beweglich. Die einzelnen Bewegungsrichtungen – Retraktion, Protrusion, Lateral- und Vertikalbewegungen – gehen beim Kauen in extrem hoher Geschwindigkeit ineinander über. Diese Bewegungen sind nötig, um langstieliges Gras zu kürzen, was zum Abrieb der Zähne führt. Beim Kauen von Pellets findet aber hauptsächlich eine Vertikalbewegung statt, wobei der natürliche Kronenabrieb nicht stattfinden kann.“ Nicht empfohlen sind ebenso Nippeltränken; der Dentist klärt auf: „In der Natur gibt es keine Nippeltränken, die Tiere trinken aus Bächen und Pfützen. Beißt das Heimtier in die metallenen Nippeltränken hinein, kann es zu Frakturen der Schneidezähne kommen. Man kann, denke ich, gut heraushören, dass viele Zahnerkrankungen auf haltungsbedingte Ursachen zurückzuführen sind, und ich denke, wir als Tierärzt*innen sind hier in der Pflicht, die Besitzer*innen zu informieren, wie Haltung und Fütterung optimiert werden können.“

Bliebe noch die Frage, wie weit durchschnittliche Heimtierbesitzer*innen in finanzieller und aufwandsbezogener Hinsicht gehen. Der Zahnspezialist teilt dazu seine Erfahrung: „Als Tierarzt oder Tierärztin ist man oft der Ansicht, dass Besitzer*innen von Kaninchen und Co nicht viel gemacht haben wollen. Diese Ansicht kann ich aber nicht teilen: Viele Besitzer*innen sind auf der Suche nach Tierärzt*innen, die sich auf diese Spezies spezialisiert haben und ihren Haustieren helfen können. Es gibt allerdings nur wenige Kolleg*innen, die diese Heimtiere in größerem Ausmaß behandeln wollen. Dabei gibt es einen großen Unterschied zu Hund und Katze, was das Handling, risikoreiche Narkosen oder die nötigen Geräte betrifft. Die Zahnabteilung der Kleintierchirurgie hat sehr viele Heimtierkunden, die Nachfrage nach moderner medizinischer Behandlung ist jedenfalls hoch und die Besitzer*innen sind großteils auch bereit, Geld und Zeit in ihre Tiere zu investieren. Bei uns gehen alle Heimtiere in die Computertomografie, das brauche ich in der Regel nicht mit den Besitzer*innen diskutieren. Auch bei Heimtieren, welche regelmäßige Zahnkorrekturen brauchen, kann man Besitzer*innen sehr gut motivieren und hat somit einen regelmäßigen Kunden gewonnen.“

Zusammenfassend sagt der Tierarzt: „Ich möchte Tierbesitzer*innen und Tierärzt*innen dafür sensibilisieren, dass Heimtiere mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit irgendwann Zahnprobleme entwickeln werden. Weil die Symptomatik aber oft subklinisch ist und erst dann sichtbar wird, wenn Erkrankungen schon weit fortgeschritten sind, wäre ein jährlicher Gesundheitscheck inklusive Maulhöhlenuntersuchung anzuraten, um Pathologien frühzeitig zu erkennen. Werden dann von Haustierärzt*innen Veränderungen in der Maulhöhle gesehen, sollte das Tier zum Zahnspezialisten überwiesen werden, um es weiter abzuklären.“

Die Zahnmedizin ist nicht nur im Human-, sondern auch im Veterinärbereich ein Gebiet, das eine fachliche Spezialisierung sowie auch die Anschaffung einiger Gerätschaften erforderlich macht. Dies sei eine gute Entwicklung, so Dr. Eberspächer-Schweda; die Zukunft sieht er in einer guten Überweisungszusammenarbeit zwischen Haustierärzt*innen und Spezialist*innen und betont abschließend: „Es gibt einen hohen Bedarf an Zahnspezialist*innen, vor allem im Heimtierbereich. Ich möchte deswegen Tierärzt*innen dazu ermutigen, diesen Weg einzuschlagen – die Nachfrage ist definitiv da.“


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