Studie:

Ratten können Hunger riechen

Antje Horn-Conrad
Pressereferentin der Universität Potsdam

Wie die Nagetiere entscheiden, wann sie Artgenossen helfen, zeigt eine Untersuchung unter Wanderratten.

Wanderratten duften anders, wenn sie hungrig sind, als wenn sie satt sind – anhand dieser ­Geruchsinformationen entscheiden die Nagetiere, hungrigen Artgenossen schneller zu helfen, an Futter zu kommen, als satten ­Tieren. Dies zeigt eine Studie von Forschenden der Universitäten Bern, Neuchâtel und Potsdam.

Sie teilen miteinander das Futter oder putzen sich gegenseitig das Fell: Wanderratten sind sehr soziale Tiere. Sie helfen einander aber nicht bedingungslos; die Nager ­wägen zuerst Kosten und Nutzen ab. Sie helfen sich also reziprok – gemäß dem Motto „Wie du mir, so ich dir“. Um an Futter zu kommen, „betteln“ Wanderratten bei ihren Artgenossen mit Rufen und Gesten. Diese Kommunikationsform macht aber eine Priorisierung schwierig: Wer hat wirklich Hunger und benötigt dringend Futter, wer täuscht nur vor und versucht, nur noch mehr Futter einzuheimsen? Eine verlässlichere Information ist in diesem Fall der Geruch der bettelnden Ratte – denn hungrige Ratten riechen offenbar anders als satte Tiere.

In der 2020 veröffentlichten Studie zeigen Forschende der Universität Bern und der Universitäten Neuchâtel und Potsdam, dass Ratten anhand von Geruchsinformationen entscheiden, wie schnell sie welchen Artgenossen helfen, an Futter zu kommen.

In einem Experiment versorgten die Forschenden Ratten mit Geruchssignalen entweder von hungrigen oder satten Artgenossen, die sich in einem anderen Raum befanden. Die Ratten konnten anschließend einer anderen anwesenden Ratte Hilfe leisten, schneller an Futter zu kommen, indem sie ein Tablett mit Futter zu dieser hinzogen. „Wir stellten fest, dass die Ratten schneller Hilfe leisteten, wenn sie Geruchssignale von einer hungrigen Ratte erhielten, als dies bei einer satten Ratte der Fall war“, erklärt ­Karin Schneeberger, die diese Studie in der Ethologischen Station Hasli der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Michael Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution durchgeführt hat und anschließend als Postdoc an der Universität Potsdam an Wühlmäusen forschte.

Gregory Röder von der Universität Neuchâtel ­analysierte die Luft in der Umgebung der Ratten. Er konnte sieben verschiedene flüchtige organische Verbindungen identifizieren, die je nachdem entweder bei einer hungrigen oder einer satten Ratte häufiger vorkamen. Diese Geruchs­signale könnten direkt von kürzlich aufgenommenen Nahrungsquellen, von Stoffwechselprozessen bei der Verdauung oder von einem mutmaßlichen Pheromon stammen, das Hunger anzeigt. „Im Gegensatz zu Rufen und Gestik ist es unwahrscheinlich, dass die Ratten diese Gerüche zu ihrem Vorteil steuern und somit die anderen täuschen können. Damit stellen sie für die Artgenossen ,ehrliche Information‘ bereit, auf die diese sich bei der Entscheidung, wie schnell sie helfen wollen, verlassen können“, so Schneeberger.

Quelle: Schneeberger K., Röder G., Taborsky M. (2020): The smell of hunger: Norway rats provision social partners based on odour cues of need. PLoS Biol 18 (3): e3000628.
https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000628
https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3000628


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