Die Doktorin

und die lieben Vieh-Zellkulturen

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Das Forschungsteam der Klinischen Abteilung für Interne Medizin Pferde der Veterinärmedizinischen Universität Wien ist aktuell dabei, weltweit erstmalig Leberzell-Organoide für die Erforschung von hepatotropen Viren beim Pferd zu etablieren. Welche Herausforderungen damit verbunden sind, schildert Dr. med. vet. Anna Sophie Ramsauer, DVM PhD.

Viele Pferdeviren wurden erst in den letzten Jahren entdeckt. Die Forschungsgruppe der Klinischen Abteilung für Interne Medizin Pferde der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat ihren Schwerpunkt auf die Erforschung von viralen Erregern, welche beim Pferd Lebererkrankungen auslösen können, gelegt. Dr. Anna Sophie Ramsauer arbeitet als Wissenschaftlerin in dieser Gruppe und erklärt einführend:

„Neue Verfahren der DNA- und RNA-Sequenzierung, ­sogenannte Next-Generation-Sequencing-Techno­logien, NGS, brachten Erkenntnisse über mehrere neue ­Viren, von deren Existenz wir zuvor nichts gewusst hatten. NGS sind Hochdurchsatz-Verfahren, welche es möglich ­machen, dass sehr schnell jegliche DNA oder RNA, welche in einer Probe zu finden ist, durchsequenziert wird. Diese Entwicklung hat erst begonnen; wahrscheinlich gibt es noch viele weitere Viren, die darauf warten, entdeckt zu werden.“ Die Forscherin beschäftigt sich vorwiegend mit Hepatitis verursachenden Viren. „Das equine Parvovirus-Hepatitis-Virus wurde erst 2018 entdeckt und scheint mit der Theiler’s Disease assoziiert zu sein.

Diese Erkrankung wurde bereits vor mehr als 100 Jahren erstmals beschrieben und ist nach ihrem Entdecker, dem Tierarzt Sir Arnold Theiler, benannt. Nach der Verabreichung von equinen Blutprodukten wie Plasma, Botulinum- oder Tetanus-Antitoxin entwickelt sich bei betroffenen Pferden eine fulminante nekrotisierende Hepatitis mit oft fatalem Ausgang. Auch Kontaktpferde der betroffenen Tiere erkranken teilweise, was einen infektiösen Ursprung von Anfang an wahrscheinlich machte, doch jahrzehntelang rätselte man darüber, welcher Erreger dafür verantwortlich sein könnte. Erst war ein Flavivirus in Verdacht, das dann irreführenderweise Theiler’s Disease-associated Virus genannt wurde.

Nun wurde allerdings entdeckt, dass sehr wahrscheinlich das equine Parvovirus-Hepatitis-Virus für diese Erkrankung ursächlich ist und die zuvor verdächtigten Flaviviren nur ein für die Erkrankung unbedeutender Zufallsfund waren“, beschreibt die Tierärztin. Sehr wenig ist über diesen Erreger, seine Übertragungswege und Pathomechanismen bekannt, weswegen sich die Wiener Forschungsgruppe dessen Erforschung zum Ziel gemacht hat. Dr. Ramsauer erzählt: „Wir halten es für möglich, dass neben dem iatrogenen Übertragungsweg via Blutprodukte auch Vektoren, Nasensekret, Speichel und/oder Kot eine Rolle bei der Übertragung spielen können.“ Ein weiteres Virus, mit dem sich die Wissenschaftlerin ­intensiv beschäftigt, ist das equine Hepacivirus: „Das ­equine Hepacivirus scheint nur in wenigen Fällen zu klinischen Erkrankungen zu führen, meist verläuft eine Infektion subklinisch. Sehr spannend bei diesem Erreger ist jedoch seine nahe Verwandtschaft mit dem Hepatitis-C-­Virus des Menschen, weswegen das Pferd als Tiermodell für die humane Impfstoffforschung eingesetzt werden kann.“

Das Wissen muss noch erarbeitet werden

Um diese neu entdeckten Viren besser verstehen zu ­können, braucht es noch viel Forschungsarbeit. Diverse klinisch relevante Informationen müssen erst erarbeitet werden. Übertragungswege, Physiopathogenese, diagnostische und therapeutische Möglichkeiten liegen großteils noch komplett im Dunkeln. Bei vielen Viren ist unklar, ob sie klinisch überhaupt relevant sind. Die Forscherin erklärt dies anhand eines Beispiels: „Bei dem bereits genannten Theiler’s Disease-associated Virus, welches bei von dieser Erkrankung betroffenen Tieren gefunden wurde, stellte sich im Endeffekt heraus, dass der Erreger wahrscheinlich apathogen ist und lediglich eine harmlose Co-Infektion in den betroffenen Pferden darstellte. Man geht sogar davon aus, dass es ein sogenanntes Virom gibt, vergleichbar mit dem bakteriellen Mikrobiom, also Viren, die sich im Körper befinden, aber nicht unbedingt ­Erkrankungen auslösen.“

Um Tierversuche auf ein Minimum reduzieren zu ­können, gibt es die Möglichkeit, In-vitro-Studien an Zellkulturen durchzuführen. Dr. Ramsauer und ihr Team ­etablieren aktuell ein Modell mit equinen Leber-Organoiden (3D-Zellkulturen mit organähnlicher Mikrostruktur). Dies geschieht in Zusammenarbeit mit Dr. Barbara Pratscher von der Forschungsgruppe der Abteilung Interne ­Medizin Kleintiere, die mit Darm- und Leber-Organoiden von ­Hunden an der Veterinärmedizinischen Universität Wien forscht. „Wir entnehmen bei euthanasierten Pferden Leberbiopsien und isolieren aus den Hering-Kanälchen der Gallengänge adulte bipotente Stammzellen. Diese expandieren wir dann als Organoide und können sie in weiteren Schritten zu hepa­tozytenähnlichen Zellen ausdifferenzieren lassen. Leber-Organoide sind beim Pferd in der Wissenschaft bisher noch nicht beschrieben worden, es sieht aber sehr danach aus, dass wir diese zum Erforschen von Viren heranziehen können. Derzeit sind wir gerade dabei, die Organoide zu charakterisieren, das heißt, wir prüfen mittels spezifischer Marker, wie nahe sie an physiologische Leberzellen herankommen und ob und für welche Versuche sie als Modell geeignet sind. Unser Ziel ist es, diese Zellen dann mit den Viren zu infizieren und herauszufinden, welche Vorgänge darin ausgelöst werden“, führt die Tierärztin genau aus.

Weiters weist sie darauf hin, dass in Zellkulturen die ­natürliche Situation nie vollständig nachgestellt werden kann, denn das, was in diesen Modellen komplett fehlt, ist das Immunsystem. Trotzdem, so die ­Wissenschaftlerin, können gewisse Fragen bezüglich der Reaktion einer Zelle auf das Virus mithilfe der Organoide und somit ohne Tierversuche beantwortet werden. Wie aufwendig eine Eta­blierung eines Organoids sein kann, schildert sie im Detail: „Wir orientierten uns an den Protokollen, die es bereits für Leber-Organoide bei Hunden gab, und ­hatten Glück, dass diese auch für die equinen Pendants gut funktionierten. Dreimal wöchentlich begutachten wir die Zellkulturen und versorgen sie mit ihren Nährlösungen. Werden die Kulturen zu groß, müssen wir sie aus dem Zellverband trennen und vereinzeln, um dann einen Teil der Einzelzellen wieder auszusäen, damit diese wieder Platz zum Wachsen haben und neue Organoide bilden können. Immer wieder lassen wir sie zu hepatozytenähnlichen Zellen ausdifferenzieren und ernten RNA, um uns die Expression spezifischer Lebermarker anzuschauen.“

Parallel zur Erforschung der Viren mithilfe der ­Organoide arbeiten die Wissenschaftler an der Universitätsklinik für Pferde auch an serologischen Studien, versuchen, die Übertragungswege mittels Tupferproben-Untersuchungen oder Insekten als mögliche Vektoren zu erforschen. Mehrere Doktoranden sind mit verschiedenen Projekten beschäftigt.

Zusätzlich wird eine Datenbank mit gesunden Geweben euthanasierter Pferde aufgebaut, um Kontrollproben von nicht erkrankten Organen für Studien zur Verfügung zu haben. Voraussetzung dafür ist eine sehr genaue Koordination, damit die Proben zeitnah nach der Euthanasie entnommen und präpariert werden können. „Es gibt noch so viel zu klären – findet man die Antwort auf eine Frage, tun sich mehrere neue auf“, so die Veterinär­medizinerin über ihren Arbeitsalltag. Und weiter: „Als Wissenschaftlerin muss ich gut damit umgehen können, dass immer wieder etwas nicht funktioniert und ich Lösungen suchen muss. Dies kann durchaus mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Auch die Methoden sind oft noch nicht etabliert und man muss sich Protokolle per Try and Error erarbeiten. Andererseits ist es auch umso spannender, in wenig erforschten Bereichen zu arbeiten, weil man immer etwas völlig Neues entdecken kann. Durchhaltevermögen zahlt sich jedenfalls aus.“ Die Wissenschaft, betont Ramsauer, sei ein sehr inte­ressanter Weg, den man als VeterinärmedizinerIn einschlagen kann. „Auch bei mir war es nach dem Studium nicht geplant, diese Berufsrichtung zu wählen. Durch meine Doktorarbeit und meine PhD-Projekte bin ich sozu­sagen in die Forschung gerutscht und heute sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Es ist nie Alltag; täglich kommen neue Fragen und Herausforderungen. Man muss allerdings gut mit Rückschlägen umgehen und lösungsorientiert an Problemen arbeiten können, was in unserem Beruf als Tierarzt aber praktisch in jeder Sparte erforderlich ist. Auch örtliche Flexibilität ist gefragt – Forscher sind an Unis und Forschungsinstitutionen gebunden, in Abhängig­keit von Finanzierungen muss man sich immer wieder neue Projekte suchen. Es ist definitiv erwünscht, Erfahrungen an verschiedenen Orten zu sammeln“, so Ramsauer über das (Arbeits-)Leben in der Wissenschaft.

Zum Abschluss weist die Tierärztin darauf hin, dass sie jeglichen Kontakt mit praktisch tätigen TierärztInnen sehr schätzt: „Hepatitisfälle beim Pferd sind selten, ein serologisches Screening auf das equine Parvovirus-Hepatitis-Virus und das equine Hepacivirus wird auch an der Virologie der Vetmeduni angeboten. Ich freue mich aber zusätzlich über jede Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen, die Verdachtsfälle in der Praxis sehen, denn so können wir gemeinsam daran arbeiten, ungelösten Fragen auf die Spur zu kommen.“


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