Vetmental:

Mami, du riechst komisch!

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Über den Spagat zwischen dem Elternsein und dem tierärztlichen Beruf

Lange, unregelmäßige Arbeitszeiten und unvorhersehbare Notfälle begleiten uns alle im Alltag. Wie machen das eigentlich die Eltern unter uns? Wie lässt sich die tierärztliche Tätigkeit mit der Kinderbetreuung vereinbaren? Und wie nehmen die Kinder unseren Beruf wahr?

Keine Versprechungen

„Als meine Kinder kleiner waren, haben sie meine Arbeitszeiten akzeptiert“, erzählt ein Kollege*. „Doch bald haben sie gemerkt, dass jede Stunde, die ich später heimkomme, für sie einen Verlust an gemeinsamer Zeit bedeutet. Ein Dienst am Samstagvormittag dauert zum Beispiel in Wahrheit meistens den ganzen Tag.“ Er hat aufgehört, seinen Kindern Versprechungen zu machen, was die Uhrzeit betrifft: „Kinder kommen mit vielem zurecht, aber sie möchten wissen, worauf sie sich verlassen können.“

Ohne Plan B geht es nicht

Über die Notwendigkeit, das eigene Leben gut zu organisieren, sind sich alle Befragten einig. Sie raten dazu, sich zeitliche Polster einzuplanen. „Nicht darauf einlassen, dass da und dort noch ein Termin eingeschoben wird! Ist der Dienst in der Ordination erfahrungsgemäß ‚open end‘, muss für die Kinderbetreuung gesorgt sein“, meint eine Kollegin*. „Sonst kann man nachmittags oder abends nicht arbeiten – denn um 19 Uhr zu Hause sein und die Kinder ins Bett bringen, das geht dann nicht. Entweder sind die Kinder ständig enttäuscht oder die Arbeit leidet darunter.“

Die bösen Blicke steckt man weg

Wieder zu spät im Kindergarten, und die Betreuerin wartet mit dem Kind schon vor der Tür? „Die bösen Blicke der Betreuerin steckt man weg, aber sie geben diesen Frust ja an die Kinder weiter. Das Kind geniert sich, die Situation ist ihm unangenehm“, erzählt eine Kollegin*. „Doch während in einer Klinik immer jemand da ist, der übernehmen kann, bin ich in der Ordination alleine verantwortlich dafür, dass alle Laborproben fertig sind, alle Lichter abgedreht werden, dass ich zusperre und pünktlich hinauskomme.“

Wer passt heute auf mich auf?

„Eine Anstellung mit halbwegs familienfreundlichen Arbeitszeiten wird man im Kleintierbereich kaum finden“, meint eine Kollegin*. „Als Mutter willst du nicht nur Abenddienste, aber nur Vormittagsdienste wirst du nirgends bekommen.“ Doch die Nachmittagsbetreuung endet spätestens um 16 oder 17 Uhr, für eine Abendordination reicht das nicht. „Es hilft schon, wenn die Kinder wissen, wer heute für sie zuständig ist“, rät die Kollegin*. Kontinuität, Stabilität und ein klarer Rhythmus sind für die Kinder wichtiger als die Frage, ob es Mami heute nach Hause schafft.

Die anderen Team-Mitglieder sollen nicht zurückstecken müssen

„Sobald ich schwanger wurde, war für mich klar: Die Arbeit in der Kleintierklinik wird nicht mehr möglich sein“, berichtet eine Kollegin*. Die häufigen Nacht- und Wochenenddienste waren für sie und ihre Familie nicht machbar. „Ich wollte auch nicht immer die sein, die sagt: ‚Da kann ich nicht.‘ Es ist meine Entscheidung, dass ich ein Kind bekommen will – andere aus dem Team sollen dadurch keinen Nachteil bei der Dienstvergabe haben.“

Was ist das für ein seltsames Rezept, Mama?

Und was denken die Kinder eigentlich über unseren Beruf? „Ein häufiger Kommentar beim Heimkommen war: ‚Mami, du riechst komisch!‘“, lächelt eine Kollegin*. „Ich habe meinen Kindern viel von der Arbeit erzählt und sie in die Ordination mitgenommen, damit sie sich vorstellen können, wie es aussieht und was ich dort mache.“ Auch Telefonate mit Besitzer*innen werden mitgehört. Dann wird genau nachgefragt, was da besprochen wurde. „Meine Tochter hat einmal einen Zettel gefunden, auf dem ich ein BARF-Rezept notiert habe, und war dann sehr verwundert über diese seltsame Speise!“

Die Augen leuchten

„Was man nicht vergessen sollte, wenn der Stress besonders groß ist: Es hat für die Kinder gute Seiten, wenn ihre Mutter oder ihr Vater tierärztlich tätig ist!“, meint eine Kollegin*. „Das Größte ist, dass die Kinder stolz auf meinen Beruf sind – wenn sie zum Beispiel in der Klasse erzählen: ‚Meine Mutter ist Tierärztin!‘, und dann siehst du, wie die Augen leuchten. Aus diesem Stolz erwächst auch Akzeptanz für die Nachteile, die Arbeitszeiten und so weiter. Daran halte ich mich fest, wenn es gerade wieder einmal schwierig ist, das alles unter einen Hut zu bringen.“

* Name der Redaktion bekannt


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