Vetmental:

„Immer für Sie da“ – Notdienste erträglich gestalten

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Für viele KollegInnen sind Nachtdienste, Wochenenddienste und Bereitschaftsdienste Teil des beruflichen Alltags. Theoretisch sind die Dienstpläne meist gut ausgearbeitet, doch in der Urlaubszeit oder wenn jemand ausfällt, wird es anstrengend. Kurzfristig lässt sich das durchstehen, doch auf lange Sicht kostet es Kraft. Wie sorgen wir dafür, dass wir auch nach einer langen Nacht mit vollem Einsatz da sein können – und es uns dabei gut geht? Dr. med. vet. Astrid Nagl hat sich im KollegenInnenkreis umgehört.

Risikoreich und ungesund

Viele Studien haben bestätigt, dass Nachtdienste und Rufbereitschaft Folgen für unsere Gesundheit und unser Stresslevel haben und sich auch nicht unbedingt positiv auf unser Familienleben auswirken. Außerdem wissen wir alle nicht nur aus der Forschung, dass wir schlechtere Entscheidungen treffen und langsamer reagieren, wenn wir müde sind. Damit setzen wir uns und unsere MitarbeiterInnen einem höheren Risiko aus, zum Beispiel im Umgang mit unruhigen oder aggressiven Patienten. Die fachliche Qualität unserer Arbeit soll natürlich schon gar nicht darunter leiden, dass wir zu wenig geschlafen haben. Langfristig sinkt die Zufriedenheit übermüdeter MitarbeiterInnen und sie sind nicht mehr gewillt, sich zu engagieren, denken vielleicht über alternative Jobmöglichkeiten nach.

„Es ging mir gut damit“

Einmal pro Woche Nachtdienst und jedes dritte Wochenende arbeiten – damit ging es ihr gut, erzählt eine Kollegin, die bis zur Familiengründung in einer Kleintierklinik tätig war*. „Wichtig ist die Kollegialität im Team – dass du darauf vertrauen kannst, dass sich jeder nach Kräften bemüht und alle zusammenhalten“, erzählt sie. Eine gute Organisation des Dienstplans stellt sicher, dass genug Puffer da ist, falls jemand krank wird oder spontan freinehmen muss – „damit es so gestaltet werden kann, braucht es aber auch verständnisvolle ArbeitgeberInnen.“ Dass das System laufend angepasst werden muss, darüber sind sich alle Befragten einig. „Wir sind immer am Tüfteln und suchen die angenehmste Lösung für alle Beteiligten“, erklärt Dr. med. vet. Anita Neidl von den Kalkalpentierärzten Großraming. Die Bedürfnisse von fünf TierärztInnen unter einen Hut zu bringen ist nicht immer einfach: „Jede/r hat eine andere Belastungsgrenze. Wir versuchen aber, alles zu ermöglichen – auch ein Urlaub von 14 Tagen zum Beispiel ist bei guter Planung machbar.“

Dienst nach Vorschrift – das will niemand

Eine schwankende Auftragslage ist in unserem Beruf normal. Wenn viel los ist, bringt uns das lange, intensive Arbeitstage, die auch körperlich anstrengend sind; wann es wieder ruhiger wird, ist nicht vorhersehbar. „Wir können die Nachtdienste nicht vermeiden, aber es soll dadurch keine unnötige Belastung entstehen. Daher muss man Ruhephasen unabhängig von der Auftragslage planen“, meint Dr. Neidl. „Sonst wird man erschöpft, grantig und unzufrieden und macht Dienst nach Vorschrift. Auch den jungen KollegInnen ist wichtig, dass sie Zeit und Energie haben, um ihre Fälle umfassend zu betreuen. Sie wollen nicht nur eine Trächtigkeit nach der anderen abarbeiten.“

„Ich kann sofort wieder einschlafen“

Die Rinderpraxis galt lange als besonders nachtdienst-intensiv – doch die befragten RinderpraktikerInnen stimmen überein, dass ihre Nächte ruhiger werden. Von Schlafstörungen erzählen sie nichts. „Das ist in einer Kleintierklinik sicher anders, weil man da während des Nachtdiensts nicht zum Schlafen kommt. Bei uns ist ein Nachtdienst eher ein Bereitschaftsdienst. Ich muss etwa in einer von fünf Nächten ausfahren“, berichtet Dr. Neidl. „Außerdem stehen in den modernen Ställen oft 80 bis 90 Kühe, also viel mehr Kühe pro Landwirt als früher, daher haben sie auch mehr Übung bei der Geburtshilfe.“

„Bitte wenden Sie sich an die Kollegen“

Night Clinics wie in Amerika gibt es bei uns nicht, aber dafür immer mehr große Tierkliniken, die rund um die Uhr besetzt und erreichbar sind. Das entlastet vor allem die Kleintierpraktiker, die sich immer öfter gegen die Rufbereitschaft entscheiden. „Im Nachtdienst wurden wir häufig mit Fällen konfrontiert, bei denen es sich nicht wirklich um Notfälle handelte. Oft wollten die BesitzerInnen die Mehrkosten im Notdienst nicht bezahlen. Auch die AssistentInnen sind froh, wenn sie keine Nachtdienste machen müssen“, berichtet einer von ihnen*. Wie haben die BesitzerInnen auf diese Umstellung reagiert? „Es hat ein bisschen gedauert. Man muss sich den Ruf erarbeiten, dass man in der Nacht nicht da ist, dann probieren es die Besitzer gar nicht erst.“ Für ihn war es rückblickend die richtige Entscheidung: „Schön langsam werde ich alt genug, dass ich mein Leben so gestalten will, wie es für mich passt – nicht nur für alle anderen.“

* Name der Redaktion bekannt

Weiterführende Literatur:
Kogan L, Schoenfeld-Tacher R, Carney P, Hellyer P, Rishniw M.: On-Call Duties: The Perceived Impact on Veterinarians’ Job Satisfaction, Well-Being and Personal Relationships. Front Vet Sci., 2021, Oct 27; 8:740852. doi: 10.3389/fvets.2021.740852. PMID: 34778429; PMCID: PMC8578875.


Weitere Artikel zum Thema:

vetmental
Tipps für Ihre Gesundheit - Teil 1
Wie gehe ich mit Stress im (Arbeits-)Alltag um?
Mentale Gesundheit
vetmental
Eine Kampagne der ÖTK
VETAK
Alle Webinare
für Sie abrufbar!