Unververbesserlich?

Über den Umgang mit Fehlern

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

„Das hätten wir nicht gebraucht!“
„Mehrmals haben wir der Kundin dringend nahegelegt, eine Blutuntersuchung und einen Abdomenschall durchführen zu lassen. Das wurde aus Kostengründen abgelehnt. Dann landete dieser Hund mit einem rupturierten Lebertumor im Notdienst einer anderen Klinik – und die Besitzerin hat sich bei uns beschwert“, seufzt eine Kollegin. Die „Fehler“, die uns die Tierbesitzer*innen vorwerfen, betreffen häufig diagnostische oder therapeutische Entscheidungen, die wir in dieser Situation nach bestem Wissen und Gewissen getroffen haben. Oft geht es dabei auch um Untersuchungen, die teuer sind und „doch gar nicht notwendig gewesen wären“. Dass die harte Umfangsvermehrung im Nacken einer Katze zum Glück doch kein Fibrosarkom war, wird uns dann zum Beispiel vorgeworfen. Viele von uns haben mit den Jahren gelernt, solche Gespräche zu führen (und davor einmal tief durchzuatmen).

Ups! Das ist gerade noch mal gut gegangen …
Wenn wirklich etwas schiefgeht, handelt es sich dabei meist um alltägliche Handgriffe, die bekanntlich vor allem übermüdeten Menschen leichter passieren. Wenn wir ehrlich sind, kann doch jede und jeder von uns so eine Geschichte
erzählen, die gerade noch gut ausgegangen ist:

Vom Verband, der zu eng angelegt war, weil die Pfote stärker angeschwollen ist als geplant.

Von der Katze, die durch die geöffnete Tür fast entkommen konnte, oder dem aus dem Käfig entflogenen Vogel, der in der Ordi herumflattert.

Vom Katzenimpfstoff, der im Hund gelandet ist, oder dem Schmerzmittel, das doppelt verabreicht wurde, weil beide diensthabende Tierärzt*innen dachten, es wurde noch nicht gegeben.

Von der vermeintlichen Propofol-Spritze, die schon auf den Venenzugang aufgesetzt war, und der Kollegin, die zum Glück noch einmal nachfragte, weil die Flüssigkeit so anders aussah: Es war Betamox!

Irren ist menschlich
Schon während des Studiums wird uns aus gutem Grund beigebracht, dass wir keine Fehler machen dürfen – denn in unserem Beruf können diese  schwerwiegende Konsequenzen haben. Deshalb sind unsere Abläufe und Therapieprotokolle üblicherweise so gestaltet, dass wir eine „Rückversicherung“, z. B. durch Dokumentation, haben, damit keine Fehler passieren können. Doch der Druck ist oft groß, ebenso die Müdigkeit, und so ungern wir es hören: Auch Tierärzt*innen sind nur Menschen und damit fehlbar. Umso wichtiger ist es, aufeinander aufzupassen, im Zweifelsfall die Dosierungen noch mal schnell durchzurechnen oder kurz Rücksprache zu halten. Sich aufeinander verlassen zu können heißt auch, dass sich Mitarbeiter*innen trauen, Fehler zu melden – wer weiß, dass ihr/ihm ein unangenehmer Rüffel droht, wenn der/die Chef*in wütend ist, wird Missgeschicke eher vertuschen als berichten. Wer jedoch konsequent hinter seinem Team steht und entsprechende Rückendeckung leistet, wird mit Vertrauen belohnt. Natürlich sind in Kliniken mit vielen Mitarbeiter*innen die Probleme und auch die Unterstützungsmöglichkeiten anders gelagert als in kleinen Ordinationen mit wenigen einzelnen Personen.

Und wenn es doch passiert?
Wenn wir uns eingestehen, dass wir doch nicht perfekt und allwissend sind, können wir uns auf dieses Szenario vorbereiten wie auf einen Risikopatienten: gründlich, strukturiert und mit einem guten Plan. Laut Studien sind betroffenen Patientenbesitzer*innen zwei Dinge wichtig: dass sie zeitnah und ehrlich darüber informiert werden, was passiert ist – und dass sie sicher sein können, dass es nicht wieder vorkommt. Abläufe können entsprechend angepasst und die neuen Protokolle auch vorgelegt und erklärt werden. Dazu braucht es viel Mut. Doch wir alle haben unseren Beruf in dem Wissen ergriffen, dass wir viel Verantwortung tragen werden, und in diesem Sinne haben wir uns bereits alle als ganz schön mutig erwiesen …


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