Tut das weh?

Schmerz ist sehr individuell

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Schmerzen bei Tieren sind für die Besitzer*innen schwer ein­zuschätzen – For­scher*innen arbeiten daran, Schmerz objektiv messbar zu machen.

Wäre ich ein Hund oder eine Katze, hätte ich schon mehrere Zahnärzt*innen gebissen – vor allem diejenigen, die mir versicherten, dass es nicht wehtun würde. Schmerz ist subjektiv und individuell unterschiedlich und sein Ausmaß daher von außen schwer einzuschätzen; das gilt für Menschen genauso wie für Tiere. Forscher*innen arbeiten derzeit an der Etablierung von Biomarkern für Schmerz, also objektiv messbaren Werten. Das würde verhindern, dass Schmerzen nicht ernst genommen werden – so, wie es bei unseren Patienten oft der Fall ist.

Individuelles Schmerzmanagement würde bedeuten, jedes Tier durch gutes Monitoring so einzustellen, dass es schmerzfrei ist. Die Medikation würde laufend evaluiert und angepasst werden. Doch das ist schon in der Praxis oft schwer zu erreichen. Wenn der Patient sehr ängstlich oder sehr aufgeregt ist, können Schmerzen verschleiert werden. Ist das Tier dann erst einmal wieder zu Hause, liegt es an den Besitzer*innen, die Schmerzen zu beurteilen. Das kann vor allem bei chronischen Schmerzen eine Herausforderung sein.

„Sie soll Schmerzen haben? Sie hat ja gar nicht geweint oder gejammert!“

Da fault die Zahnwurzel sichtbar vor sich hin, der Eiter rinnt heraus – die Patientenbesitzer*innen versichern aber, dass „sie sicher keine Zahnschmerzen hat, sie frisst ja ganz normal!“ Der alte Hund trippelt, während er vor mir steht, unaufhörlich von einem Vorderbein auf das andere – „das macht er immer, aber sonst ist alles in Ordnung, es geht ihm gut!“ Und nach einer Operation: „Das Schmerzmittel habe ich ihr gar nicht gegeben, das hat sie nicht gebraucht.“

Tier­besitzer*innen möchten wissen, ob ihr Tier Schmerzen hat, und sie erwarten auch, dass diese adäquat behandelt werden1. Schmerzmittel zu verabreichen oder zu verschreiben reicht also nicht – es gehört auch dazu, Bewusstsein zu schaffen, wie Tiere mit Schmerzen umgehen oder sie ausdrücken.

„Er ist halt einfach alt“

Das ist besonders für multimorbide geriatrische Patienten wichtig, deren Besitzer*innen Verhaltens­änderungen oft fälschlich als altersbedingt interpretieren. Inkontinenz oder Aggression werden als Zeichen von Demenz wahrgenommen, und in manchen Fällen steht dann vonseiten der Besitzer*innen sogar eine Euthanasie im Raum. Hier kann ausführliche Beratung entscheidend sein. Dazu gehört es, gezielte Fragen zu stellen: Putzt sich die Katze noch wie üblich? Springt der Hund selbst ins Auto oder muss er gehoben werden?

Fallen veränderte Routinen auf, wie zum Beispiel beim Begrüßungsverhalten? Streckt sich das Tier nach dem Schlafen genüsslich? Werden die Besitzer*innen darauf hingewiesen, achten sie auf solche Veränderungen und bewerten sie anders.

Auf einer Skala von eins bis zehn

Für die Beurteilung durch geschultes Personal in einer Klinik sind die validierten Pain Scales, die für Hunde und Katzen entwickelt wurden, gut einsetzbar. Zu Hause ist es jedoch schwieriger, eine solche Einschätzung verlässlich durchzuführen. Ansätze wie die Client Specific Outcome Measures (CSOM) können dabei hilfreich sein2. Dafür werden gemeinsam mit den Besitzer*innen drei Aktivitäten ausgewählt, die regelmäßig zu Hause beurteilt werden sollen.

Zum Beispiel:

1) Pinkelt sie ins Kisterl oder daneben?

2) Springt sie aufs Fensterbrett, wie sie es sonst gerne tut?

3) Spielt sie abends mit ihrer Stoffmaus?

Die Etablierung eines solchen „Fragebogens“ kostet zwar anfangs etwas mehr Zeit im Rahmen des Besitzer*innengesprächs – die betroffenen Katzen und Hunde werden es uns aber hoffentlich danken.

Quellenangaben

1 Steagall, P.V., Monteiro, B.P., Ruel, H.L.M., Beauchamp, G., Luca, G., Berry, J., Little, S., Stiles, E., Hamilton, S., Pang, D. (2017). Perceptions and opinions of Canadian pet owners about anaesthesia, pain and surgery in small animals. J Small Anim Pract, 58: 380-388. doi.org/10.1111/jsap.12674

und

1 Simon, B. T., Scallan, E. M., Von Pfeil, D. J., Boruta, D. T., Wall, R., Nibblett, B. M., … & Steagall, P. V. (2018): Perceptions and opinions of pet owners in the United States about surgery, pain management, and anesthesia in dogs and cats. Veterinary Surgery, 47 (2), 277–284.

2 Monteiro, B. P., & Steagall, P. V. (2019): Chronic pain in cats: Recent advances in clinical assessment. Journal of Feline Medicine and Surgery, 21 (7), 601–614.

Weiterführende Literatur:

Glasgow Composite Measure Pain Scale: Testa B, Reid J, Scott ME, Murison PJ, Bell AM: The Short Form of the Glasgow Composite Measure Pain Scale in Post-operative Analgesia Studies in Dogs: A Scoping Review. Front Vet Sci. 2021 Sep 30; 8:751949. doi: 10.3389/fvets.2021.751949. PMID: 34660773; PMCID: PMC8515184.

WSAVA-Guidelines: https://wsava.org/global-guidelines/global-pain-council-guidelines

International Veterinary Academy of Pain Management (IVAPM), Pain Information & Guidelines: ivapm.org/professionals


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