Update zur Schmerztherapie

bei Kleintieren

Dr. Elisabeth Wagmeister

Dr. med. vet. René Dörfelt, Intensivmediziner an der LMU München, gibt Einblick in die richtige Schmerzerkennung, neue Erkenntnisse bei der medikamentösen Schmerztherapie sowie die Besonderheiten bei geriatrischen Patienten.

Schmerz ist eine subjektive Empfindung – daher ist bei der Behandlung eine individuell angepasste Therapie besonders wichtig. Es sollte ein multimodaler Ansatz angestrebt werden. So ist es bei der medikamentösen Schmerz­therapie sinnvoll, verschiedene Gruppen von Analgetika gezielt zu kombinieren, wodurch die Dosis und mögliche Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente reduziert werden können. Auch zusätzliche unterstützende Maßnahmen sind zu bedenken, die besonders bei chronischen Schmerzpatienten hilfreich sein können. Dazu zählen unter anderem Gewichtsreduktion, Aktivitätskontrolle, Akupunktur, Physiotherapie und Zusatzfuttermittel, aber auch „Tender Loving Care“ und eine warme und weiche Umgebung. Zudem sollte, wenn möglich, präemptive ­Analgesie bereitgestellt werden, um den Schmerz zu verhindern, bevor er entsteht.

Die negativen Auswirkungen von Schmerzen auf den ­Organismus wie Immunsuppression, ­Bewegungsmangel oder verminderte Wundheilung sind bekannt. Die Schmerztherapie leistet einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen und fördert die Lebensqualität unserer Haustiere. Dr. med. vet. René Dörfelt ist Oberarzt für Intensiv- und Notfallmedizin sowie Anästhesiologie an der Medizinischen Kleintierklinik der LMU München und gibt im folgenden Interview Antworten auf wichtige ­Fragen zur Schmerztherapie bei Kleintieren.

Herr Doktor Dörfelt, wie kann Schmerz richtig beurteilt werden?
Die Beurteilung von Schmerzen bei Tieren stellt eine besondere Herausforderung dar, weil die Anzeichen individuell, unspezifisch und vielfältig sein können. Die visuelle Analogskala ist ein Hilfsmittel mit schneller und leichter Anwendung. Sie zeigt eine Punkteskala von 0 bis 10 respektive 0 bis 100, wobei 0 kein Schmerz und 10 respek­tive 100 den stärksten vorstellbaren Schmerz bedeutet. Auch die Mimik von Tieren liefert wichtige Hinweise: Das Schmerzgesicht als Diagnosehilfsmittel ist für Katzen und einige andere Tierarten wie etwa Mäuse, Ratten, Kaninchen und Pferde definiert. Bei der Katze verändern sich die Stellung der Ohren und Schnurrhaare, die Augen, die Maulspannung und die Kopfhaltung. Weitere Hilfsmittel zur Objektivierung von Schmerzen sind die „Composite Pain Scales“: Diese Skalen erfassen das Verhalten des Patienten und die Reaktion auf den Schmerz. Dazu gehören unter anderem Aktivität, Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Lautäußerung, Reaktion auf Palpation, Appetit und Putzverhalten. Es sind verschiedene validierte Modelle für Hunde, Katzen und Pferde verfügbar. Der Begutachter selbst beeinflusst auch die Schmerzevaluierung, und zwar sowohl die Person an sich als auch deren Gemütszustand. Wenn die Beurteilung immer von derselben Person durchgeführt wird, erhöht sich die Zuverlässigkeit.

NSAIDs werden als Basis der medikamentösen Schmerztherapie bezeichnet. Gibt es dazu Neuigkeiten?
Das stimmt, nicht steroidale Antiphlogistika, NSAIDs, sind und bleiben die Grundpfeiler der medikamentösen Schmerztherapie. Als alleiniges Analgetikum eignen sie sich gegen milde Schmerzen. Bei stärkeren Schmerzen sollten sie mit anderen Klassen von Analgetika kombiniert werden. Zu den Nebenwirkungen zählen gastro­intestinale Schädigung und Nierenschädigung. Trotzdem werden NSAIDs nun auch gelegentlich bei chronisch nierenkranken Katzen eingesetzt. Das klingt vielleicht zunächst widersprüchlich, doch in einigen Studien wurde bei Katzen mit stabiler chronischer Nierenerkrankung nach Einsatz sehr geringer Dosen von NSAIDs kein vermehrtes Fortschreiten der Nierenerkrankung festgestellt. Aller­dings ist zu beachten, dass alle Patienten im stabilen IRIS-Stage 1 bis 2 waren und nur die niedrigste effektive ­Dosis eingesetzt wurde; bei Nebenwirkungen wurden die NSAIDs abgesetzt. Ich würde den Einsatz von NSAIDs nur sehr limitiert bei stabilen nierenkranken Katzen in Erwägung ziehen, die keine kardiovaskuläre oder gastrointestinale Beeinträchtigung zeigen, lediglich die minimal effektive Dosis einsetzen und engmaschige Kontrollen durchführen.

Welche Alternativen gibt es zu NSAIDs?
Eine Alternative zu NSAIDs ist Metamizol. Es ist „kein wahres“ NSAID – Metamizol hat ein geringeres Neben­wirkungspotenzial, da es durch eine Verminderung der proinflammatorischen und eine Vermehrung der vaso­dilatativen Prostaglandine einen geringeren Effekt auf den Gastrointestinaltrakt und die Nieren hat. Allerdings hat es im Vergleich zu NSAIDs eine geringere antiinflamma­torische Wirkung. Bei Katzen kann Hypersalivation auftreten, bei Hunden wurde als seltene Nebenwirkung eine oxidative Schädigung der Erythrozyten festgestellt und in Einzelfällen von einer Heinzkörperanämie berichtet. ­Metamizol ist für Hunde zugelassen und wird auch für Katzen umgewidmet häufig angewendet. Auch Tramadol kann zur Analgesie eingesetzt werden. Es ist ein Co­dein-Analogon und aktuell für Hunde zugelassen. Neben anderen Wirkmechanismen entsteht die Hauptwirkung beim Hund durch den M1-Metabolit, der in der Leber synthetisiert wird. Dieser wird individuell unterschiedlich stark hergestellt, somit ist auch die Wirkung beim Hund individuell variabel. Bei Katzen wurde in aktuellen Untersuchungen mit Tramadol eine gute analgetische Wirkung erzielt, und dies bereits bei geringerer Dosierung als beim Hund. Damit erklären sich auch die bei Katzen dosis­abhängigen stärkeren Nebenwirkungen wie Dysphorie. Tramadol ist für die Katze bislang nicht zugelassen. Derzeit würde ich die Anwendung bei Katzen nur in ausgewählten Fällen durch Schmerzspezialisten empfehlen. Eine weitere Alternative sind NMDA-Antagonisten. Ihr Einsatz als Schmerzmittel ist vor allem bei chronischen somatischen Schmerzen sinnvoll. Der Klassiker ist das ­­Ketamin, ein weniger bekannter Vertreter der Gruppe ist das humane Parkinsonmedikament Amantadin. Dieses wird seit ein paar Jahren zunehmend in der ­­Tiermedizin eingesetzt, jedoch gibt es bislang kaum Studien zu Hund und Katze. Aktuell scheint es so, dass die Gabe einer etwas höheren Dosierung als bisher empfohlen sinnvoll ist. Die volle Wirkung tritt nach fünf bis sieben Tagen ein.

Gabapentin und Pregabalin können ebenfalls zur ­Analgesie verwendet werden. Die Medikamente finden als Antikonvulsiva Anwendung, haben aber auch eine analgetische Wirkung. Die Studienlage hierzu ist noch schwach. Man geht davon aus, dass Gabapentin und Pregabalin in Kombination mit anderen Analgetika vor allem bei neuropathischem Schmerz sinnvoll sein können. Der Effekt am Patienten und Nebenwirkungen wie Sedierung sollten nach Applikation unbedingt kontrolliert werden.

Bei geplanten Eingriffen ist es sinnvoll, ­Lokalanästhetika anzuwenden, wann immer die Möglichkeit dazu besteht. Diese erreichen als einzige Medikamentengruppe eine komplette Schmerzfreiheit. Durch die Hemmung der Reizweiterleitung an den Nervenfasern kann es gar nicht erst zu Bahnungsvorgängen im Rückenmark oder zu Sensi­bilisierungsvorgängen kommen. Lokalanästhetika können auch zur Langzeitnervenblockade eingesetzt werden. Dies wird bislang nur gelegentlich angewendet, kann aber vor allem für chronische Tumorschmerzpatienten wie etwa Osteosarkompatienten sehr hilfreich sein. Dabei wird eine Kombination aus Lokalanästhetikum, Kortison und ­Opioid an den Nerven appliziert. Dieser Nervenblock führt zu einer reversiblen direkten Beeinträchtigung der Schmerzweiterleitung und ist daher sehr effektiv. Für ­einen kurzen Zeitraum, die Wirkdauer des Lokalanästhetikums, kann die Motorik eingeschränkt sein. Die analge­tische Wirkung bleibt bis zu vier Wochen erhalten.

Das waren einige Beispiele für Analgetika als Alternative oder zur Kombination mit NSAIDs. Eine weitere, noch recht neue Medikamentengruppe sind die Nerve-Growth-Factor-Antikörper.

Was sind Nerve-Growth-Factor-Antikörper?
Ein NGF-Antikörper ist ein monoklonaler ­Antikörper gegen den Nervenwachstumsfaktor, Nerve Growth Factor. Der NGF propagiert unter anderem die lokale Schmerzentstehung. Er wird bei Entzündungen ausgeschüttet und verstärkt über Rezeptoren die Schmerz­weiterleitung. Außerdem fördert er über einen Feedbackmechanismus die Ausschüttung von Zytokinen.

Die NGF-Antikörper vermindern die zirkulierenden NGFs. Die Medikamentengruppe ist für chronische Schmerzpatienten geeignet und aktuell zur Behandlung von osteoarthrose­bedingtem Schmerz zugelassen. Die monoklonalen Antikörper sind tierartspezifisch und derzeit für Hunde und Katzen
verfügbar. Der Wirkungseintritt zeigt sich nach ein bis vier Wochen, das Medikament wird alle vier Wochen injiziert. In ersten Studien traten ­keine vermehrten Nebenwirkungen bezüglich des Magen-Darm-Trakts oder der Nieren auf. Damit steht eine zusätzliche neue Medikamentengruppe zur Verfügung, die besonders für chronische Schmerzpatienten sinnvoll ist, die andere Analgetika wie NSAIDs nicht gut vertragen.

Gibt es bei geriatrischen Patienten etwas Spezielles zu beachten?
Ja, so haben geriatrische Patienten etwa häufig mehrere ­Leiden, die bei der Medikamentenwahl zu berücksichtigen sind. Zudem können zentral wirksame Analgetika bei ­älteren Tieren eine stärkere Sedierung hervorrufen. Bei der Schmerzerkennung ist darauf zu achten, dass bereits ­­l­eichte Verhaltensänderungen oder eine Leistungs­­schwäche auf Schmerzen hinweisen können. Dies gilt für alle Patienten, aber insbesondere bei älteren Tieren werden milde Anzeichen häufig automatisch als Alterserscheinung interpretiert. Hier ist die Aufmerksamkeit und Mithilfe der Besitzer besonders gefragt.


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