Tigerschecken

haben genetische Prädisposition für „Mondblindheit“

Dr. med. vet. Verena Maria Herb
Board-eligible Resident des European College of Veterinary Ophthalmology (ECVO),
Mitglied des International Equine Ophthalmology Consortium (IEOC),
Mitglied der Sociedad Española de Oftalmología Veterinaria (SEOVET),
Vetmeduni Vienna

Eine aktuelle Studie bestätigt: Genmutationen sorgen für die beliebte Fellfarbe, aber leider auch für das Risiko, an Equiner rezidivierender Uveitis (ERU), also einer periodischen Augenentzündung, zu erkranken.

Was haben Appaloosas, Knabstrupper und Noriker gemeinsam? Die aparten Fellfarben und -muster des Tiger­schecken-Komplexes (engl. leopard complex) sind bei diesen Rassen überdurchschnittlich oft vertreten. Verantwortlich dafür sind zwei Genmutationen, LP (leopard complex spotting allele) und PATN-1, welche interagieren und zusammen eine große Bandbreite an Phänotypen, von Weißgeborenen über Volltiger bis hin zu Stichelhaarigen, erzeugen können. Diese Pferde sind auffällig, schön und daher natürlich besonders beliebt. In der Zuchtstatistik der Arbeitsgemeinschaft der Norikerzüchter Österreichs ist nachzulesen, dass es 2020 in Österreich 395 eingetragene Tiger-Stuten, 24 eingetragene Tiger-Hengste (der Linien Elmar und Vulkan, also zwei von insgesamt fünf Hengstlinien) und ganze 418 Belegungen pro Tiger-Hengst gegeben hat.

Aktuelle Forschungsergebnisse aus den USA und Kanada haben nun leider bestätigt, was von Tierophthalmologen auch in Europa seit Langem beobachtet wird: Die wunder­schönen Tigerschecken haben tatsächlich genetisch bedingt ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko, an Equiner rezidivierender Uveitis (ERU, periodische Augenentzündung; „Mondblindheit“) zu erkranken. Eine Forschungsgruppe der University of California in Davis hat in Zusammenarbeit mit der University of Saskatchewan an Appaloosas und Knabstruppern bewiesen, dass die Genmutation LP nicht nur für die Fellfarbe, sondern auch für das Risiko, an ERU zu erkranken, verantwortlich ist – und dieses ist keineswegs gering: Homozygote Tigerschecken-Appaloosas (LP/LP) haben ein knapp 20-fach höheres Risiko, an ERU zu erkranken, als homozygote Nicht-Tigerschecken (lp/lp)!

Bei heterozygoten Appaloosas (Lp/lp) ist das Risiko immer­hin noch sechsfach erhöht, bei homozygoten Tiger­schecken-Knabstruppern (LP/LP) achtfach gegenüber Nicht-Tigerschecken (N/N). Das Risiko für ERU steigt bei Appaloosas mit jedem Lebensjahr um den Faktor 1,15, und je älter die Pferde bei der Diagnosestellung sind, desto fortgeschrittener ist der Verlauf.

ERU ist eine immunmediierte innere Augenentzündung mit einem chronisch-rezidivierenden Verlauf, der unbehandelt unweigerlich zur Erblindung führt. Die Erkrankung ist seit dem Mittelalter bekannt und stellt trotzdem immer noch weltweit die häufigste Erblindungsursache bei Pferden dar. Verantwortlich dafür ist nicht nur, dass es noch kein allwirksames Heilmittel gibt, sondern auch, dass betroffene Pferde häufig viel zu spät diagnostiziert werden. Das lässt sich ändern!

Es gibt verschiedene Ausprägungen der ERU mit unterschiedlichen Rasseprädispositionen. Die Uveitis ­anterior mit Hauptbeteiligung der Iris betrifft am häufigsten Warmblüter sowie Isländer und geht in der Regel mit der auffälligsten Schmerzsymptomatik einher (Epiphora, Photophobie, Blepharospasmus), weshalb sie am ehesten erkannt wird. Bei der typischen ERU-Form der deutschen Warmblutrassen mit Hauptbeteiligung des Ziliarkörpers befinden sich Entzündungsprodukte vor allem im Glaskörper. Leider ist die sogenannte schleichende ­Uveitis (engl. insidious uveitis, „Tigerscheckenuveitis“), die vor allem Tigerschecken, Isländer und Kaltblüter betrifft und oft bilateral auftritt, besonders schwer zu ­diagnostizieren. Die schleichende Uveitis verursacht ­keine auffälligen Schübe, schwelt aber auf niedrigem und zerstörerischem Niveau jahrelang unerkannt, bis das Auge erblindet oder es zu schmerzhaften ­Komplikationen kommt. Man kennt diese Fälle: der 18-jährige Appaloosa-­Wallach, der nach bilateraler Erblindung aufgrund von ERU euthanasiert wird; der zehnjährige Tigerschecken-­Noriker, bei der Erstvorstellung bereits bilateral blind mit Sekundärglaukom und luxierten kataraktösen ­Linsen; die erst sechsjährige Appaloosa-Stute mit einem schmerzhaften Schrumpfauge und einem bereits ent­zündeten anderen, noch visuellen Auge.

Es bedarf einiger Erfahrung, um subtile ERU-Symptome korrekt zu deuten – doch die Früherkennung ist wichtig, denn jeder Entzündungsschub verursacht Schmerzen und irreversible Schäden im Auge, und jedes Rezidiv erhöht das Risiko für Erblindung sowie Folgekomplikationen (Sekundärglaukom, Katarakt, Linsenluxation, Netzhautablösung, Phthisis bulbi). Um rechtzeitig Erkrankungsbeginne zu entdecken, ist eine jährliche Augenuntersuchung ab dem Alter von drei Jahren sinnvoll. Gegebenenfalls lohnt sich ein Gentest, um das Risiko besser einschätzen zu können und den Besitzern die Notwendigkeit der Vorsorgeuntersuchung näherzubringen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Tierarzt / jede Tierärztin und sogar manch ein/e Pferdebesitzer*in Verdacht auf eine beginnende ERU schöpfen und rechtzeitig einen Augenspezialisten hinzuziehen kann – und zwar, noch bevor es zu chronischen, offensichtlichen Veränderungen wie posterioren Synechien, Kata­raktbildung, einem Sekundärglaukom oder gar ­Phthisis bulbi (Schrumpfauge) gekommen ist. Zugegeben: Die Symptome eines akuten ERU-Schubes können teilweise sehr unspezifisch sein (z. B. Epiphora, Bindehautrötung, Photophobie und ggf. Blepharospasmus). Eindeutige Symptome wie eine Miose und entzündliches Exsudat in der vorderen Augenkammer sind mit freiem Auge leider nicht immer erkennbar, und zur Identifikation von Veränderungen im Glaskörper bzw. am Augenhintergrund (Entzündungsprodukte, Netzhautfalten oder Netzhautablösung) ist eine eingehende ophthalmologische Untersuchung unerlässlich. Aber für den Anfangsverdacht reicht eine fokale Lichtquelle und eine verdunkelte Umgebung!

Ich empfehle eine routinemäßige Überprüfung mittels Ophthalmoskopie aus der Distanz: dazu im ­dunklen Stall einfach ein Otoskop, direktes Ophthalmoskop, eine Taschenlampe oder die Handylampe nehmen, die Lichtquelle neben dem eigenen Kopf parallel zur eigenen Blickrichtung halten und aus ein bis zwei Meter Entfernung dem Pferd in die Augen leuchten (Abb. 1). Wenn in beiden Augen ein gleich starker Fundusreflex aus gleich großen Pupillen zu sehen ist, ist das ein gutes Zeichen für eine tendenzielle Entwarnung. Diese Methode kann jedoch auch zahlreiche Hinweise auf eine bestehende ERU geben! Bei einer Miose ist eine Pupille kleiner, bei einer einseitigen Erblindung unter Umständen größer und bei Synechien möglicherweise verformt. Wenn sich entzündliches Infiltrat im Kammerwasser oder Glaskörper befindet, ist der Fundusreflex häufig dunkelgelb bis orangefarben. Bei getrübten Medien (Hornhauttrübung, Katarakt etc.) kann der Fundusreflex undeutlicher oder sogar nicht mehr vorhanden sein. Gerade bei schleichender Uveitis lohnt sich immer auch ein Blick aus der Nähe, da manchmal nur eine dunklere Irisfarbe oder weiße „Wölkchen“ am Pupillarrand (histologisch als Amyloidablagerungen nachvollziehbar) vorhanden sind (Abb. 2).

ERU benötigt in jedem Stadium eine adäquate Therapie und ist immer eine Überweisung zum Ophthalmologen wert*. Seit 30 Jahren bemühen sich diverse Forschungsgruppen in Deutschland und den USA um die genaue Ätiopathogenese bei ERU und den besten Therapieansatz. Es herrscht insbesondere Uneinigkeit darüber, ob bei ­einer durch Leptospiren ausgelösten ERU eine Vitrektomie notwendig ist. Man gelangt zunehmend zu der Erkenntnis, dass unterschiedliche Formen der ERU potenziell andere Ursachen haben könnten und sich die bestmögliche Therapie für jede Form unterscheiden kann. Für einen guten Überblick über aktuelle Therapieoptionen darf ich auf die Übersichtsarbeit „Medical and Surgical Management of Equine Recurrent Uveitis“ (McMullen & Fischer 2017) verweisen. An der Vetmeduni Vienna sind seit Jahren intra­vitreale Gentamicininjektionen (4 mg) unter Sedierung im Stehen die minimalinvasive Behandlungsoption der ersten Wahl, mit einem geringen Komplikationsrisiko bei zugleich circa 80 Prozent Rezidivfreiheit. Die Vitrektomie oder das suprachoroidale Ciclosporinimplantat werden erst bei Nichtansprechen vorgenommen. Egal, welche Therapie gewählt wird – Hauptsache, sie erfolgt frühzeitig vor irreversiblen Schäden!

Ein Plädoyer zum Schluss: Gerade die blinden und geschrumpften End-Stage-Augen (Abb. 3), bei denen es vermeintlich bereits „egal“ ist, stellen eine oft ­unerkannte Schmerzquelle dar, weil die chronischrezidivierende Entzündung ja weiterläuft. Wenn Geld eine Rolle spielt oder kein Augenspezialist zur Verfügung steht, kann diesen Pferden und ihren Besitzer*innen schon sehr geholfen werden, indem solch ein Auge enukleiert wird. Dann hat der Spuk ein Ende – sofern das andere Auge nicht auch betroffen ist …

* Auf der Website des Arbeitskreises Veterinärophthalmologie Österreich (AKVO) sind die Mitglieder inklusive aller in Österreich praktizierenden Diplomates des European College of Veterinary Ophthalmology (ECVO) nach Bundesländern aufgelistet. Zusätzlich gibt es weitere ophthalmologisch erfahrene Kolleg*innen, die auf Empfehlung oder im Internet gefunden werden können.

Literatur:


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