Das liegt nicht am Wetter!

Saisonale Kolik aus der Sicht einer Chirurgin

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Der Sommer ist da, und das ist für einige Pferde­besitzerinnen ein Grund zur Sorge – denn ihre Pferde sind wetterfühlig, und die nächste Kolik kommt vermeintlich „so sicher wie der nächste Wetterumschwung“.

Wir sprachen mit Chirurgin Nicole Verhaar, Fachtierärztin für Pferdechirurgie, über ihre Erfahrungen an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, neue OP-Techniken und vorbeugende Maßnahmen.

Welche saisonalen Koliken sehen Sie an der TiHo?
Im Frühling sehen wir häufiger Aufgasungskoliken, wobei im Winter und Herbst die Sandkolik regelmäßig vorkommt. Im Falle einer Sandkolik wird zunächst eine konservative Therapie mit Gabe von Paraffinöl, isotonen Salzlösungen und/oder Flohsamen über die Nasenschlundsonde durchgeführt. Wenn operiert werden muss, ist das Risiko einer Darmruptur intraoperativ etwas höher als bei anderen Dickdarmkoliken, sodass die konservative Therapie grundsätzlich, wenn möglich, versucht werden sollte. Nach der OP steht besonders im Vordergrund, eine erneute Sandaufnahme zu verhindern, da sonst Rezidive auftreten können.

Bei uns in Österreich führen Pferdebesitzer eine Kolik oft auf einen Wetterwechsel zurück – die sogenannte Kreislaufkolik nimmt als Ursache der Kolik eine Kreis­laufschwäche an: „Durch die Wetterveränderung wird der Kreislauf schwach und damit verlangsamt sich der Verdauungstrakt; das löst dann eine Kolik aus.“
Kreislaufkolik – diesen Begriff kennen wir hier im Norden Deutschlands eher nicht. Natürlich kann eine schwere ­Kolik zum Kreislaufzusammenbruch führen, aber das ist mit diesem Begriff wahrscheinlich nicht gemeint. Obwohl wir auch den Eindruck haben, dass wir bei Wetter­wechseln mehr Pferde mit Kolik überwiesen bekommen, konnte ein Einfluss des Wetters bisher in Studien nicht belegt werden. Als auslösende Faktoren wurden vielmehr zum Beispiel Futterwechsel, schlechte Heuqualität, Boxen­ruhe, Stress, Parasiten oder eine zu geringe Wasseraufnahme identifiziert.

Da die Anfahrt zu den Ställen oft lange dauert, wird, bis die Tierärztin da ist, erst mal mit Kaffee oder sogar Energydrinks therapiert, um den Kreislauf des Pferds zu „stärken“ …
Das ist bei uns tatsächlich eher unüblich. Vielleicht deshalb, weil eine wetterbedingte Kolik bei uns nicht als Kreislaufkolik bezeichnet wird? Ich halte es auf jeden Fall nicht für sinnvoll, den Pferden solche Substanzen zuzuführen. Ein besonders schlimmer Fall ist mir in Erinnerung: Einem neonatalen Fohlen wurde Bier als Mittel gegen die Koliksymptome eingeflößt, wobei der Zustand des Fohlens sich danach noch weiter verschlechterte.

Wenn das Pferd in die Klinik transportiert wird, ist der Anfahrtsweg oft lang. Wie soll man antherapieren?
Die Vorbehandlung ist vom Kolikgrad zu Hause und eventuell von der Anfahrtszeit zur Klinik abhängig. Stärkere NSAIDs sollten bei geringgradigen Koliksymptomen besser nicht gegeben werden, da das die Symptome verschleiern kann. Bei intermittierenden oder geringgradigen Symptomen ist es am besten, nicht viele Medikamente im Vorhinein zu verabreichen; so kann in der Klinik eine bessere Einschätzung erfolgen. Zeigt das Pferd hochgradige Koliksymptome und geht es ständig nieder, empfehlen wir eine Sedierung mit einem α2-Agonisten und/oder Butorphanol, damit sich das Pferd beim Transport nicht hinlegt.

Sehen Sie bei bestimmten Rassen Prädispositionen für Koliken?
Das betrifft tatsächlich eher die Größe und das Alter des Pferds als die Rasse – zum Beispiel sehen wir öfter Ponys mit einer Obstipation des Colon descendens, während bei einem großrahmigen Warmblut vorrangig Dickdarm­verlagerungen auftreten. Bei älteren Pferden werden Dünndarmstrangulationen häufig durch ein gestieltes Lipom verursacht.

Was empfehlen Sie Pferdebesitzerinnen und -besitzern zur Rezidivvorbeugung?
Das kommt auf die Art der Kolik an. Zum Beispiel sollten bei einer Ileumobstipation eine Zahnkontrolle und eine gründliche Entwurmung in Betracht gezogen werden. Häufig gibt es aber keine eindeutigen Auslöser für die Kolik, sodass es keine spezifischen Maßnahmen gibt. In solchen Fällen empfehlen wir vor allem die Fütterung von Raufutter guter Qualität und eine möglichst stressfreie Haltung mit regelmäßiger Bewegung.

Gibt es auch OP-Techniken, mit denen wir einem Rezidiv vorbeugen können?
Ja! So ist zum Beispiel eine Kolik aufgrund einer Hernia foraminis epiploici des Dünndarms extrem schmerzhaft, und eine Kolikoperation ist bei dieser strangulierenden Darmverlagerung indiziert. Kopper sind für diese Art der Kolik prädisponiert und es besteht ein Rezidivrisiko nach der Kolikoperation von zwei bis 14 Prozent. Es wurde vor einigen Jahren eine Technik entwickelt, die wir auch an unserer Klinik erfolgreich anwenden: Während der OP wird ein Netz eingesetzt und verhindert so einen erneuten Vorfall. Verschiedene Techniken sind auch für Patienten mit rezidivierenden Dickdarmverlagerungen beschrieben, dazu zählt zum Beispiel auch der laparoskopische Verschluss des Milz-Nieren-Raums.

Weiterführende Literatur:
Curtis, L., Bayes, T., England, G., Burford, J. & Freeman, S. (2014): Systematic Review of Risk Factors for Equine Colic. Equine Vet J, 46: 21–21. https://doi.org/10.1111/evj.12323_47

Salem, S.E., Proudman, C. J. & Archer, D. C. (2016): Prevention of post operative complications following surgical treatment of equine colic: Current evidence. Equine Vet J, 48: 143–151. doi.org/10.1111/evj.12517


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