Tierschutz im Fokus:

Interview mit dem wissenschaftlichen Pionier Professor Josef Troxler

Dr. med. vet. Elisabeth Wagmeister

Als einer der Ersten etablierte Professor Troxler den Tierschutz als wissenschaftliche Disziplin – für sein Engagement wurde ihm vor Kurzem eine der höchsten staatlichen Auszeichnungen verliehen.

Tierschutz ist ein viel diskutiertes und aktuelles Thema der heutigen Zeit. Mit dem Inkrafttreten des bundeseinheitlichen österreichischen Bundesgesetzes über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz – TSchG, BGBl. I Nr. 118/2004) sind wesentliche Grundlagen zum Schutz des Lebens und Wohlbefindens der Tiere geschaffen ­worden. Dennoch bleiben Fragen offen: Hat sich in der Praxis wirklich ausreichend viel verbessert? Und gibt es noch Mängel zu überwinden?

Professor Josef Troxler war seit September 1996 Leiter des Instituts für Tierhaltung und Tierschutz (heute Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung) an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed­uni Vienna). Zu Beginn seiner Karriere an der Vetmeduni Vienna begründete und etablierte er dieses damals noch ganz neues Fachgebiet und Institut. Er war außerdem maßgeblich am Aufbau des Messerli Forschungsinstituts in Wien beteiligt, das sich der Mensch-Tier-Beziehung widmet. Im Juni 2021 erhielt Professor Troxler eine der höchsten staatlichen Auszeichnungen: das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, welches für Verdienste um die Wissenschaft mit außerordentlicher Bedeutung und Auswirkung verliehen wird. Im folgenden Interview beantwortet er Fragen rund um den Tierschutz.

Herr Professor Troxler, was hat sich in den letzten Jahren im Bereich Tierschutz verbessert?
Das Thema Tierschutz ist ein sehr breites Feld, daher ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Es gehören die Versuchs-, Zoo-, Heim- und Nutztiere, der Handel, Transport und vieles mehr dazu. Das Bundestierschutzgesetz von 2004 hat sicher vieles bewirkt und außerdem schon im Vorfeld der Entstehung eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit über Tierschutz ausgelöst. Die Leute sind für das Thema sensibilisiert. Es hat sich ein Bewusstsein für tiergerechte Haltung entwickelt und vieles hat sich bereits verbessert.

In den Medien wird heutzutage Tierschutz sehr häufig thematisiert – sowohl positiv als auch negativ. Vor allem Tierschutzorganisationen haben sich bemüht, über tiergerechte Haltung und Tierschutz zu informieren. Aus der gesetzlichen Verpflichtung heraus, den Tierschutz in der Öffentlichkeit zu fördern (§2 TSchG, Anm.) möchte ich hier „Tierschutz macht Schule“ erwähnen: Dieser Verein hat das Ziel, Lehrerinnen und Lehrer an Schulen auszu­bilden, damit sie schon früh Jugendlichen Tierschutzthemen nahelegen können. Dazu zählen etwa das Wissen über arttypische Eigenschaften der Tiere und der richtige Umgang mit ihnen sowie Anforderungen an die Haltung oder wie man erkennen kann, ob es einem Tier gut oder schlecht geht.

Auch in der landwirtschaftlichen Tierhaltung hat sich vieles getan; ich denke hier an die Gruppenhaltung der Sauen und Kälber oder das Verbot der Käfighaltung bei Legehennen. Die landwirtschaftliche Bauberatung hat Anstrengungen unternommen, um in den Baumerkblättern des ÖKL – Österreichisches Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung die Aspekte Verhalten und tiergerechte Haltung in den Mittelpunkt zu setzen. Bei den Nutztieren haben sich die Laufstallhaltung für Kühe und der Umgang mit den Tieren in Bezug auf Transport und Schlachtung verbessert. In Einzelfällen kommt es aber dann doch immer wieder zu Problemen. Darüber gibt es keine Statistik.

Werden die gesetzlich festgelegten Bestimmungen durch das Bundestierschutzgesetz ausreichend umgesetzt?
Ich denke schon, dass das Bundestierschutzgesetz beachtet und umgesetzt wird. Allerdings sind die festgelegten Mindest­anforderungen ein Resultat der damals beschlossenen Kompromisse. Inzwischen hat sich das Wissen um die Ansprüche der Tiere erweitert. Da sehe ich Handlungsbedarf zu Verbesserungen. Auch die Kontrollen der Betriebe sind meiner Einschätzung nach zu wenig flächendeckend. Bei den vorgeschriebenen Stichprobenkontrollen könnte es bis zu 20 Jahre dauern, bis ein Betrieb einmal drankommt. Ebenso wäre die Qualität der Tierschutzkontrollen, die ja von verschiedenen beauftragten Stellen wahrgenommen wird, umfassend zu evaluieren.

Ist Österreich in Bezug auf Tierschutz Vorbild?
Ich habe wenig Einblick in andere Länder, daher kann ich das im Vergleich schwer beurteilen. Aber das Bundestierschutzgesetz in Österreich ist in Bezug auf die um­fassenden Vorschriften sicherlich vorbildlich, auch innerhalb Europas. Eine positive Besonderheit in Österreich ist die „Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz“. Sie wurde auf Basis des Tierschutzgesetzes zur Bewertung und Kennzeichnung von Haltungssystemen, Ausstattung und Zubehör für Nutztiere und Heimtiere eingerichtet. Alle Produkte, die neu auf den Markt kommen, müssen durch die Fachstelle begutachtet werden. Es wird geprüft, ob sie den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und den darauf beruhenden Verordnungen entsprechen oder als neuartiges Produkt aufgrund des anerkannten Standes der Wissenschaft und der Technik als diesen gleichwertig einzustufen sind.

Welche Maßnahmen können zur weiteren Verbesserung beitragen? Wo sehen Sie noch akuten Handlungsbedarf?
Eines der schwierigsten Themen ist die Masttierhaltung sowohl im Geflügel-, Schweine- wie auch im Rinder­bereich. Da gibt es noch viele Defizite bezüglich Platzangebot, tiergerechter Böden, weicher Liegeflächen, Beschäftigung und der Strukturierung des Lebensraums – wie die Trennung von Kot- und Liegeplätzen. Hier wird Tierschutz noch nicht in allen Bereichen beachtet. Vielleicht liegt es daran, dass die Tiere nur kurz leben oder wirtschaftliche Interessen Vorrang haben.

Es wird versucht, Platz einzusparen, Arbeitszeiten zu verkürzen und die Intensivierung noch weiter zu steigern. Dadurch entstehen große Probleme bei den Tieren.

Ein weiteres großes Thema ist die Qualzucht. Das betrifft sowohl die Heimtiere als auch die Nutztiere. Beim Geflügel beispielsweise führt die hohe Legeleistung wie auch die intensive Mast zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit und zu zuchtbedingten Schäden. Zu den Folgeschäden zählen Bein-, Muskelwachstums- oder Stoffwechselprobleme.

Außerdem bringt der Klimawandel neue Probleme mit sich. Auch die Tiere sind davon stark betroffen. Besondere Schwierigkeiten gibt es bei der Anpassung an die hohen Sommertemperaturen, mit Hitzestress, beim Transport von Tieren und unter Umständen auch mit Futtermangel bei zunehmender Trockenheit. Da wird noch einiges auf uns zukommen.

 

Was sind Ihre persönlichen Interessenschwerpunkte?
Mein persönlicher Interessenschwerpunkt lag immer bei den Rindern und Schweinen, im Rahmen des Studien­gangs Pferdewissenschaften an der Vetmeduni Vienna kamen dann noch die Pferde hinzu. Verhalten und tiergerechte Haltung sind mir ein großes Anliegen – Fehler bei der Haltung verursachen Schäden am Tier, beispielsweise Verletzungen an den Extremitäten, Krankheiten und Verhaltensstörungen. Das führt zu Leiden, verminderter Tiergesundheit und letztendlich zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit. Tierschutzmaßnahmen sind für mich als Tiermediziner immer auch Präventivmedizin und Prophylaxe. Tierschutz lohnt sich – das war mir immer schon wichtig darzustellen und zu vermitteln.

Sie haben sich viel mit Nutztierhaltung beschäftigt. Was ist besonders zu beachten und woran erkennt man, dass ein Tier leidet?
Zunächst ist es sicherlich wichtig, festzustellen, ob Mindest­anforderungen erfüllt sind. Dazu zählen technische Messungen von Platzangebot, Länge und Breite von Stallungen, Lichtmenge et cetera. Diese Mindestanforderungen garantieren aber nicht immer auch das Wohlbefinden der Tiere. Dafür muss man etwas genauer hinsehen. Für die Beurteilung des Wohlbefindens gibt es tierbezogene Indikatoren, etwa auffälliges Verhalten, Krankheiten oder Schäden an den Tieren.

Tiere empfinden Emotionen – Freude, Leiden, Angst – und zeigen Schmerz. Durch die Kognitionsforschung kann dies auch wissenschaftlich erfasst werden. Schmerz und Leiden werden tierartlich unterschiedlich ausgedrückt, das ist in den letzten Jahren gut erforscht worden. Das Schmerzgesicht wurde für viele Tierarten definiert, zum Beispiel für Mäuse, Kaninchen, Rinder und Schafe bis hin zu den Pferden.

Bei Rindern erkennt man Schmerzen vor allem an der Körperhaltung: ein gekrümmter Rücken, hängender Kopf und hängende Ohren und Augenlider. Ziegen schreien eher; Schweine zeigen Zähneknirschen bei großem, lang andauerndem Schmerz. Die Mimik ist bei Schweinen schwer zu beurteilen – eine sitzende Haltung, ein hängender Kopf und geschlossene Augenlider sind typische Anzeichen für Schmerzen bei Schweinen, aber auch Folge von eintöniger Haltung.

Große Probleme in der Nutztierhaltung sind die häufig bestehende Beschäftigungsarmut und reizarme Um­gebung. Das hat zur Folge, dass die Tiere Stereotypie und andere Verhaltensstörungen zeigen, abstumpfen, teilnahmslos werden und im Extremfall ihre Umwelt gar nicht mehr wahrnehmen.

Ein Problem ist auch, dass Nutztiere in der Regel früh von ihrer Mutter getrennt werden. Durch die mutterlose Aufzucht entstehen oft Verhaltensstörungen bei den Jung­tieren. Ferkel zeigen beispielsweise auf der Suche nach dem Gesäuge ihrer Mutter gegenseitige Bauchmassage und Besaugen. Sie führen dabei Stoß- und Massage­bewegungen an Artgenossen oder Gegenständen und gegen Wände aus, weil die Gesäugemassage an der Muttersau nicht möglich ist. Diese Ersatzhandlungen führen aber natürlich nie zum Erfolg – es kommt nie Milch.

Auch bei Kälbern kommt das gegenseitige Besaugen häufig vor. Probleme dabei sind Hunger und ein Energie­defizit. Typische Verhaltensstörungen bei Absetzferkeln und Mastschweinen sind außerdem stereotypes Scheinwühlen an Buchtgenossen oder am Boden und Schwanzbeißen, was Ausdruck von erfolglosem Suchverhalten und Beschäftigungsmangel ist. Es stellt kein Aggressions­verhalten dar, wie es oft fälschlicherweise zu lesen ist. Bei Sauen zeigt sich unter den gleichen Bedingungen am häufigsten Leerkauen, Stangenbeißen und Weben.

Woran erkennt man Stress bei den Tieren?
Stress zu erfassen ist nicht einfach, außerdem muss Stress immer in Beziehung zu der Situation beurteilt werden und die gemessenen Werte müssen zu einem Ausgangswert in einer nicht gestressten Situation gesetzt werden. Denn es gibt nicht nur negativen, sondern auch positiven Stress sowie Akutstress und lang andauernde Stresssituationen. Mit Hormonmessungen oder Herzfrequenzvariabilität kann anhaltender Stress festgestellt werden. Dies ist meist Ausdruck einer Überforderung der Anpassungsfähigkeit der Tiere. Etwa bei der Interpretation der gemessenen Cortico­steroidwerte oder der Abbauprodukte sind der Tagesrhythmus, die Entnahmeumstände und vieles Weitere zu berücksichtigen. Typische Situationen, die bei Tieren immer negativen Stress verursachen, sind der Transport, eine falsche Gruppierung neuer Gruppen, fehlende Ausweichmöglichkeiten, ungenügend Platz an Futterstellen oder ein grober Umgang mit den Tieren.

Was bedeutet Tierschutz in der Kleintierpraxis?
Tierschutz in der Kleintierpraxis ist vor allem eine Frage des Umgangs mit dem Tier. Es sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, die beim Tier möglichst wenig Stress verursacht. Beispielsweise sollte auf eine Trennung von Hunden und Katzen im Wartebereich geachtet werden.

Was können Tierärztinnen und Tierärzte konkret beitragen?
Tierärztinnen und Tierärzte sollten noch mehr Mut zeigen, Tierschutzprobleme im Alltag offen anzusprechen. Die Tierhalterinnen und Tierhalter müssen gut aufgeklärt werden. Dies beginnt bei starkem Übergewicht von Kleintieren, geht über zu Qualzuchten, die Hunde, Katzen, Ziervögel, Zierfische und Nutztiere betreffen, bis hin zu Haltungsproblemen.

Ich verstehe die Befürchtung der Tierärztinnen und Tierärzte, beim Hinweis auf Tierschutzprobleme die Tierhalter verärgern oder als Kunden verlieren zu können. Doch ich bin auch davon überzeugt, dass die Tierärztinnen und Tierärzte ausreichend Erfahrung im Umgang mit ihren Kunden haben und diese Themen angemessen vermitteln können. Um im Tierschutz etwas zu erreichen, ist gute Beratung und Aufklärungsarbeit durch Tierärztinnen und Tierärzte ganz wichtig.

Sie waren viele Jahre als Professor für Tierhaltung und Tierschutz an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig. Bleiben Sie der Vetmeduni Vienna weiter verbunden?
Das stimmt, bis Ende 2017 war ich tätig; anschließend war ich noch ein Jahr Leiter der Tierversuchskommission des Bundes. Die Vetmeduni Vienna war 22 Jahre lang Tag für Tag ein großer Teil meines Lebens.

Jetzt bin ich auch froh darüber, nicht mehr die vielen Verpflichtungen zu haben und nun auch anderen Interessen nachgehen zu können. Zu Kolleginnen und Kollegen habe ich weiterhin Kontakt, treffe mich mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Institut und gehe gerne in die Bibliothek. Der Vetmeduni Vienna bleibe ich weiterhin verbunden.


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