Teleradiologie –

bildgebende Diagnostik im Zeitalter der Digitalisierung

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Die Digitalisierung hat viele Neuerungen in der Veterinär­medizin gebracht – vor allem die Möglichkeiten der bild­gebenden Diagnostik haben sich in den letzten 20 Jahren rasant weiterentwickelt. Der Radiologe Dr. med. vet. Thorsten Rick, DipECVDI, gibt dem Vet­journal einen Einblick in das spannende Feld der Teleradiologie.

Morgens um acht Uhr früh im Büro von Dr. Thorsten Rick: Die Jalousien werden geschlossen, die fünf Bildschirme in Betrieb genommen. „Das ist die Umgebung, in der wir ­Radiologen uns am wohlsten fühlen“, erklärt der Tierarzt augenzwinkernd. Er hat nach seinem Diplom- und Doktoratsstudium der Veterinärmedizin in Wien eine inter­nationale Facharztausbildung in Form eines Residency­-Programms im Fachgebiet der Radiologie in Gent, Belgien, absolviert. Nach Beenden dieser dreieinhalbjährigen Ausbildung arbeitet er nun sowohl als Teleradiologe als auch klinisch in einer Kleintierklinik in der Nähe von Köln.

Stichwort Teleradiologie – was kann man darunter verstehen und wie funktioniert sie? Die Digitalisierung macht es uns möglich, Bilder übers Internet weltweit an Spezia­listInnen zu verschicken; zusätzlich nimmt die bildgebende Diagnostik aufgrund der sich stetig weiterentwickelnden technischen Verbesserungen der bildgebenden Verfahren einen immer größeren Stellenwert in der Medizin ein. Der Radiologe berichtet: „In der Veterinärmedizin steigen mit den verbesserten technischen Möglichkeiten der Anspruch und auch die Verantwortung, aus den Bildern, welche im Zuge der Abklärung eines Patienten erstellt werden, möglichst alle Informationen herauszuholen und das Risiko, etwas zu übersehen, minimieren zu können. Dank der Teleradiologie muss ein Radiologe respektive eine Radiologin nicht mehr vor Ort sein, sondern bekommt die digitalen Bilder einfach übers Internet zugeschickt. So kann dieser Teil der Diagnostik sehr einfach ausgelagert werden. Es gibt mittlerweile viele Teleradiologie­firmen, die ihre Leistungen Klinikerinnen und Klinikern zur Verfügung stellen. Diese Entwicklung hat in den letzten fünf Jahren enorm zugelegt. Viele Radiologen wechseln in den Bereich der Teleradiologie, da sie ihr Fachwissen so sehr effizient einsetzen können. Die Nachfrage wird immer größer – zurzeit gibt es sogar zu wenige Radiologen, um dem extrem schnell wachsenden Markt gerecht werden zu können.“

Die meisten großen und mittelgroßen Kliniken sind bereits mit einem Computertomographen und/oder einem Mag­netresonanztomographen ausgestattet, und ein hoher Anteil ­dieser Kliniken nutzt die Möglichkeit der Teleradiologie, da Schnitt­bilder ohne entsprechende Ausbildung und Erfahrung nicht adäquat beurteilt werden können.

Externe Befundung im Trend

Auch immer mehr österreichische TierärztInnen nehmen das Angebot der Teleradiologie in Anspruch. Dr. Rick erklärt: „Jeder klinische Kollege kann digitale Röntgen-, Ultraschall- und natürlich auch CT- und MRT-Schnittbilder an einen Teleradiologieanbieter schicken. Diese werden dann einem mitarbeitenden Radiologen zugewiesen, der dann einen Befund erstellt.“ Weiters schildert Rick, dass in Deutschland und Österreich hauptsächlich die Befundung von Schnittbildern gefordert wird, in den USA hingegen sei es jedoch bereits üblich, jegliche bildgebende Diagnostik von Teleradiologen beurteilen zu lassen. Er geht weiter ins Detail: „In den Vereinigten Staaten ­schicken Tierärzt­innen und Tierärzte häufig auch alle Röntgen- und Ultraschallbilder zur Befundung. Prinzipiell sind auch Ultraschall­bilder kein Problem, es ist nur wichtig, dass bei der Untersuchung gewisse Standardschnitte der Organe angefertigt werden, um diese anschließend gut beurteilen zu können. Zusätzlich erleichtern uns Videoclips die Befundung von Ultraschall­bildern, da diese Untersuchungsmethode eine sehr dy­namische ist.“

Wie lange dauert es im Schnitt, bis Veterinäre in der Praxis den gewünschten Befund erhalten? Das hängt, so der Radiologe, von der sogenannten „Turnaround Time“ ab – viele Firmen bieten einen Routine- und einen Notfall­service an, je nachdem, wie schnell der Befund benötigt wird.

„Die großen Teleradiologiefirmen beschäftigen weltweit Radiologen und bieten somit rund um die Uhr und sieben Tage die Woche ihren Service an. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wird gearbeitet, was mithilfe eines internatio­nalen Teams aufgrund der Zeitverschiebung sehr gut abzudecken ist. Zu Stoßzeiten sind hier häufig 30 bis 40 Radiologen gleichzeitig im Dienst“, führt der Spezialist aus.

Um die Arbeit in der Teleradiologie noch effizienter zu machen, wird bereits vor allem in der Humanmedizin (aber auch immer stärker in der Veterinärmedizin) künstliche Intelligenz zur Unterstützung eingesetzt. „Über gewisse Algo­rithmen kann der Computer bestimmte Auffällig­keiten erkennen und den Radiologen dabei helfen, effizienter zu arbeiten. Dies steckt in der Tiermedizin noch in den Kinder­schuhen, vor allem, weil auch der Datenpool im Gegensatz zur Humanmedizin extrem heterogen ist“, so Dr. Rick. „Ich arbeite hier hauptsächlich mit Programmen, die mir bestimmte Messungen wie den Vertebral Heart Score oder TPLO-Winkelmessungen abnehmen. Zusätzlich verwende ich eine medizinische Spracherkennungssoftware, das heißt, ich diktiere und die Software schreibt. Diese Unterstützungen helfen mir dabei, Zeit zu sparen und möglichst effizient zu arbeiten. Effektivität, also hohe Qualität bei gleichzeitiger Zeitersparnis, ist das A und O bei meiner Arbeit – sehr viele Tierärzte warten auf ihre Befunde, welche so schnell wie möglich fertig werden sollten“, sagt der Radiologe.

Sehr wichtig für die Zusammenarbeit mit den Tierärzt*innen, so betont der Experte, sei vor allem die Kommunikation miteinander. „Ein guter Vorbericht hilft mir als ­Radiologe sehr bei meiner Arbeit – nur so bekomme ich einen Eindruck von den klinischen Befunden des Tiers. Für jegliche Rückfragen von den zuweisenden Kolleg­*innen stehen die Redionlogen natürlich zur Verfügung. Ich persönlich schätze den direkten Kontakt mit den auftrag­gebenden Tierärzten sehr, denn nur so bekomme ich auch Feedback und kann meine Arbeit weiter verbessern. Ich telefoniere auch immer wieder gerne bei einzelnen ­Fällen aus Eigeninteresse mit den Kollegen, um zu erfahren, wie die Krankengeschichte weiter verlaufen ist.“

Historische Betrachtung

Machen wir aber nun kurz einen Zeitsprung zu den Anfängen im Reich der Schatten: Vor mehr als 125 Jahren, im Jahr 1895, entdeckte der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen ein bildgebendes Verfahren mithilfe der nach ihm benannten elektromagnetischen Strahlen, was ihm später den Nobelpreis sicherte. Der Wiener Arzt Guido Holzknecht war ein Pionier im Bereich der klinischen Radiologie – er eröffnete kurz nach der Erfindung des Röntgengeräts das ­radiologische Institut im Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Zusätzlich begann er bereits, Strahlen bei der Therapie von Neoplasien einzusetzen.

Sigmund Freud, der an einem Gaumenkarzinom litt, war einer seiner ersten Patienten. Holzknecht erfand auch das erste Messgerät, das die Menge der abgegebenen Strahlen bestimmen konnte, das Chromoradiometer. Trotz seines Bewusstseins über den Zusammenhang zwischen der Strahlen­menge und möglichen Strahlenschäden wurde Holzknecht selbst ein Opfer seines Berufs: Der Mediziner starb nach der Amputation mehrerer Finger und schließlich eines gesamten Arms an Krebs.

Auch die Tierärztliche Hochschule in Wien leistete Pionierarbeit und erwarb bereits 1897, nur zwei Jahre nach dessen Erfindung, das erste Röntgengerät. Ein paar Jahre später konnten die Wiener Tierärzte ein Fachpublikum ­begeistern, als sie bei einem Naturforscherkongress Röntgenbilder von Frak­turen und Fremdkörpern in Organen von Groß- und Kleintieren präsentierten.

Zur Entwicklung der Radiologie im 21. Jahrhundert meint Dr. Rick: „Die Digitalisierung von Röntgenbildern hat mein Fachgebiet revolutioniert. Die Qualität der Bilder kann im Nachhinein optimiert werden, was die dia­gnostische Aus­sagekraft enorm verbessert. Auch die technischen Fortschritte der Geräte selbst in allen radiologischen Gebieten – egal ob Röntgen, Ultraschall oder Schnittbild – nahmen in letzter Zeit rapide zu; die Auflösung der Bilder wird immer besser und die Geräte werden auch preislich immer erschwinglicher. Diese Voraus­setzungen zusammen mit der Möglichkeit, jederzeit spezialisierte Tele­radiologen zu haben, haben dazu geführt, dass sich dieser Markt so stark entwickeln konnte.“

Zukunftsperspektive der Radiologie

Dazu meint der Tierarzt, dass sich die Schnittbilddiagnostik und damit die Möglichkeit, Organe nicht nur zwei-, sondern dreidimensional darstellen und beurteilen zu können, immer weiter verbreiten wird. „In Zukunft werden wir mit dem technischen Fortschritt auch Bilder fusionieren können, um die Vorteile von verschiedenen Modalitäten zu verbinden. Dies gelingt zum Beispiel bei der Fusion von CT- und MRT-Bildern, wo Organe dann gleichzeitig sowohl mit einem guten Knochen- als auch mit einem guten Weichteilkontrast beurteilt werden können. Auch an der Darstellung von dynamischen Prozessen wie der Verbild­lichung von Stoffwechselvorgängen wird intensiv geforscht.“

Zum Schluss betont Dr. Rick, dass er Tierärzt*innen mit Interesse an der Radiologie eine Facharztausbildung auf diesem Gebiet empfehlen kann, denn die technischen Möglichkeiten und die Nachfrage nach Radiolog*innen wachse stetig und werde auch in Zukunft für genügend (tele-)radiologische Arbeit in der Veterinärmedizin sorgen.

 


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