Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin
Ausgabe 05/2022
Schwere allergische Reaktionen sind für den Patienten potenziell lebensgefährlich und eine große Belastung – daher ist es wichtig, jeden Fall individuell zu beurteilen und das tatsächliche Infektionsrisiko einzuschätzen.
Zwei Fälle aus der Praxis: Ein Akita-Inu-Welpe bekommt innerhalb von zwei Stunden nach der zweiten Grundimmunisierung Atemnot und ein Gesichtsödem; eine fünf Jahre alte Maltipoo-Hündin, die bekanntermaßen anaphylaktisch auf verschiedene Impfstoffe reagiert, wurde bisher trotzdem jährlich geimpft. Wir alle sind uns wohl einig, dass Impfungen unsere Patienten vor gefährlichen Erkrankungen schützen und eine gewisse Herdenimmunität gewährleisten. Schwere Impfreaktionen sind äußerst selten und „die gefährlichste Impfung ist immer noch die, die nicht gegeben wird“. Aber was tun mit den Patienten, die von diesen seltenen Impfreaktionen betroffen sind? Sind Impfungen in diesen Fällen überhaupt ratsam?
Anaphylaxie ist eine Typ-I-Allergie, eine Allergie vom Soforttyp. Das Zielvirus der Impfung ist selten der Auslöser einer allergischen Reaktion – der Körper von allergischen Patienten reagiert auf sogenannte Non Target Antigens, also auf Proteine aus der Kultur, die benutzt wird, um das Virus für den Impfstoff zu züchten. Auch andere Adjuvantien wie z. B. Stabilisatoren können diese Reaktion auslösen. Allergische Patienten bilden nicht nur IgG-Antikörper, sondern auch IgE-Antikörper.
Diese IgE binden an Rezeptoren auf Mastzellen in der Lunge, auf der Haut und im Gastrointestinaltrakt und bleiben dort monatelang. Darum wirkt sich die anaphylaktische Reaktion vor allem auf diese Organe aus. Wenn dem Körper erneut ein unspezifisches Antigen präsentiert wird, löst das eine Degranulation der Mastzellen aus: Histamin und Leukotriene werden freigesetzt und wirken vasoaktiv, die Kapillarpermeabilität wird gesteigert. Oft ist das erste Anzeichen einer Anaphylaxie beim Hund die Schwellung der Schnauze und/oder Urticaria. Erst bei einer weiteren Exposition, also bei der nächsten Impfung, folgt die systemische Reaktion mit den bekannten Symptomen: Atemnot, Gesichtsödem, Erbrechen und/oder plötzlich auftretender Durchfall.
Eine solche schwere allergische Reaktion ist potenziell lebensgefährlich und für den Körper eine große Belastung. Daher ist es wichtig, jeden Fall individuell zu beurteilen und das tatsächliche Infektionsrisiko einzuschätzen. Wie wahrscheinlich ist eine Ansteckung? Im Fall der Maltipoo-Hündin, die ja bereits grundimmunisiert wurde, wäre es besser, jährlich den Impftiter zu bestimmen und dann zu entscheiden, ob geimpft wird. Zur Beurteilung des Impftiters genügt es prinzipiell, dass ein Titer vorhanden ist, die Höhe ist nicht entscheidend. Sind die Patientenbesitzer verlässlich und können sie potenzielle Ansteckungsquellen meiden? Die Leptospirose ist eine Zoonose, die auch in Österreich vorkommt; Staupefälle sind bei uns wiederum eher selten.
Und der kleine Akita Inu? Hat er nach der Grundimmunisierung genug Schutz aufgebaut? Auch hier empfiehlt es sich, eine Titerbestimmung durchzuführen und nur dann nachzuimpfen, wenn kein Titer vorhanden ist. Ein Impfstoffwechsel kann versucht werden. Die Tollwutimpfung hat der Welpe bisher noch nicht bekommen. Da diese Impfung aber wichtig und für Patienten, die ins Ausland reisen, auch verpflichtend ist, sollte die Grundimmunisierung durchgeführt werden.
Wenn ein Hund, der schwer allergisch reagiert, geimpft werden muss, ist eine gute Vorbereitung besonders wichtig. Einige Autoren empfehlen, den Impfstoff bei bekannter Allergie vorher intradermal zu testen: Dafür eine Hautstelle rasieren, 0,1 ml des Impfstoffs intradermal injizieren, an einer anderen Stelle eine Negativkontrolle mit NaCl sowie eine Positivkontrolle mit Histamin setzen. Nach 10–15 Minuten inspizieren: Entsteht an der Hautstelle eine Schwellung, ist das ein Beweis für eine Allergie. Der Impfstoff triggert die IgE-Antikörper auf den Mastzellen.
Eine anaphylaktische Reaktion tritt normalerweise innerhalb von 5–15 Minuten auf. Reaktionen, die später als drei Stunden nach der Impfung auftreten, sind wahrscheinlich nicht mehr vom Typ 1. Patienten mit bekannter Überempfindlichkeit gegen Impfstoffe oder andere Medikamente sollten deshalb nach der Impfung unter Beobachtung behalten werden. Am besten werden die Besitzer schon im Vorhinein darauf hingewiesen, dass sie länger als üblich in der Ordination bleiben müssen.
Dann vor der Impfung einen Venenzugang setzen und die Notfallmedikamente in der richtigen Dosierung griffbereit haben! Glucocorticoide sollten nicht prophylaktisch gegeben werden, da nur die Schockdosierung (also 10 mg/kg) sinnvoll wäre. Ein Antihistaminikum (Diphenhydramin) vor der Impfung i. v. zu verabreichen ist hingegen eine Möglichkeit.
Wenn die anaphylaktische Reaktion eintritt, ist eine schnelle Behandlung lebensrettend. Zuerst wird Epinephrin verabreicht: i.v., in leichteren Fällen i. m. (auch intrakardial und intratracheal ist möglich) – wenn nötig, kann dies alle 5–15 Minuten wiederholt werden. Epinephrin wirkt als Vasopressor und führt dadurch zur Erholung des Kreislaufsystems. Danach die Sauerstoffversorgung sicherstellen, gegebenenfalls intubieren und mit der Infusionstherapie in Schockdosierung beginnen. Zusätzlich können auch Antihistaminika und Bronchodilatatoren gegeben werden, sowie Glucocorticoide, um eine Spätphasenreaktion zu verhindern.
Weiterführende Literatur:
Gershwin, L.J. (2018): Adverse reactions to vaccination: from anaphylaxis to autoimmunity. Veterinary Clinics: Small Animal Practice 48.2, 279–290.
Tizard, I.R. (2021): Adverse consequences of vaccination.
Vaccines for veterinarians 115.
Shmuel, D.L. & Cortes, Y. (2013): Anaphylaxis in dogs and cats. Journal of Veterinary Emergency and Critical Care 23, 377–394.