„Frau Doktor!“

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Jede Einzelne von uns gestaltet jeden Tag das Frauenbild „Tierärztin“ mit – und bietet damit neue Rollenbilder für die kommenden Generationen.

„Die Tierärztin hat unseren Igor gerettet!“, erzählte mein Großvater begeistert, nachdem sie seinen Jagdhund nach einem Autounfall in einer langen OP wieder „zusammengeflickt“ hatte. In derselben Praxis durfte ich dann während der Schulzeit volontieren und habe viel von besagter Kollegin gelernt (danke, Michi!). Ich gehöre somit zu einer Generation, die nicht nur James Herriot als Identifikationsfigur zur Verfügung hatte, sondern bereits viele aktiv praktizierende Tierärzt*innen erleben konnte. Der demografische Wandel innerhalb der Tierärzteschaft hin zu einer Vielzahl von Frauen, die in diesem Beruf tätig sind, hat sich in den letzten rund 50 Jahren vollzogen und zu einer Veränderung des Berufsbilds geführt.

Zu hause sein, bevor die Kinder schlafen gehen

Derzeit sind 58 % der aktiven Tierärzt*innen Frauen, davon haben sich 61 % für eine freiberufliche Tätigkeit entschieden; im Vergleich zu 80 % bei den männlichen Kollegen. Viele Tierärztinnen sind in einem Anstellungsverhältnis tätig – hier finden wir einen Frauenanteil von 80 %.

Die Daten einer IHS-Studie aus dem Jahr 2019 zeigen, dass gar nicht so wenige Frauen im Nutztierbereich tätig sind, nämlich etwa 25 %. Es dürfte laut Umfragen weniger der häufig in Diskussionen genannte Aspekt der schweren körperlichen Arbeit sein, der Frauen davon abhält, sich für den Nutztierbereich zu entscheiden, vielmehr geht es wie so oft um die Arbeitszeiten und somit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Eine Art Ausweg finden einige von uns in der zunehmenden Spezialisierung: Als Fachtierärztin kann frau die Arbeitszeiten selbst gestalten und somit selbstständig tätig sein – ohne Nacht- und Wochenenddienste und ständige Anwesenheit.

Gegenwind

Ist Diskriminierung in unserem Beruf überhaupt noch ein Thema, wenn der Frauenanteil ohnehin so hoch ist? Der Landwirt, der die weiblichen Studierenden damit schreckt, dass da eine Kuh im Laufstall sei, die keine Frauen mag, ist eine harmlose Variante; ebenso wie der Professor an der Uni, der uns erklärte: „Die Damen im Hörsaal kennen diese Handbewegung vom Umrühren im Kochtopf!“ Im beruflichen Alltag wird es dann schon unangenehmer: Aus aktuellen Studien geht hervor, dass zumindest im anglophonen Raum Tierärztinnen signifikant weniger in Klinikleitungen und anderen Führungspositionen vertreten sind. Aus Österreich gibt es dazu keine vergleichbaren Daten.

„Ist der Herr Doktor heute nicht da?“

„Es kommt immer noch häufig vor, dass junge Tier­ärztinnen gefragt werden: ‚Sind Sie überhaupt schon Tierärztin?‘“, berichtet die Kommunikationsexpertin Ute Grundt, die sich auf die Zusammenarbeit mit Tierärzt*innen spezialisiert hat (siehe dazu auch den Podcast „Bessere Kommunikation in der Praxis“). Sie empfiehlt, mit einem knappen, aber festen „ Ja!“ zu antworten und sich auf keine weitere Diskussion einzulassen. Das Problem betrifft nicht nur die Tierbesitzer*innen: Eine britische Studie unter Arbeitgeber*innen im veterinärmedizinischen Bereich zeigte, dass es immer noch einen deutlichen Gender-Pay-Gap gibt – Tierärztinnen bekamen für die gleiche Arbeit weniger Geld angeboten als ihre männlichen Kollegen. Diese wurden bei gleicher Qualifikation auch als kompetenter wahrgenommen als Tierärztinnen.

Krise als Chance

Umso wichtiger ist es, unsere Rolle bewusst wahrzunehmen. Wenn ich zugunsten meiner Familie entscheide, keine Nacht- und Wochenenddienste anzubieten, trage ich zur Veränderung des Berufsbilds bei. Im Hinblick auf die Gewährleistung der veterinärmedizinischen Versorgung, die derzeit heiß diskutiert wird, finde ich es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass diese Veränderung nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten muss – es kann sich auch etwas zum Besseren verändern.

Angesichts vieler „ausgebrannter“ Tierärzt*innen und beunruhigender Suizidraten ist es vielleicht nicht schlecht, wenn sich der Beruf so verändert, dass Mann und Frau ihn mit einem normalen Sozial- und Familienleben vereinbaren können.

Wir haben einen sehr schönen Beruf gewählt, in dem wir viel Verantwortung tragen. Er bietet uns die Möglichkeit, als Frau mit Autorität und Selbstbewusstsein aufzutreten und auch so wahrgenommen zu werden. Jede Einzelne von uns gestaltet jeden Tag das Frauenbild „Tierärztin“ mit – und bietet damit für die kommenden Generationen neue Rollenbilder.

Quellen:

IHS-Studie „Veterinärmedizinische Versorgung in Österreich“ (2019): www.tieraerztekammer.at/interner-bereich/kammer-intern/gutachten-und-studien/

Begeny, C. T., Ryan, M. K., Moss-Racusin, C. A., & Ravetz, G. (2020): In some professions, women have become well represented, yet gender bias persists – perpetuated by those who think it is not happening. Science Advances, 6 (26), eaba 7814.

Tindell, C., Weller, R., & Kinnison, T. (2020): Women in veterinary leadership positions: their motivations and enablers. Veterinary Record, 186 (5), 155.


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