„Mein Leben ist schön,

aber sehr anstrengend“

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Mag. med. vet. Julia Enichlmayr ist selbstständig in der Rinderpraxis tätig und Mutter von drei Kindern. Mit uns sprach sie über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Verantwortung als Arbeitgeberin gegenüber schwangeren Kolleginnen und den Rückhalt in der Großfamilie.

Sie haben vor Kurzem eine Stellungnahme verfasst, mit der Sie darauf aufmerksam machen möchten, wie unterschiedlich der Mutterschutz für selbstständige und angestellte Tierärztinnen gehandhabt wird.
Meine Angestellten werden freigestellt, sobald die Schwangerschaft bestätigt ist, da die tierärztliche Tätigkeit für das ungeborene Kind gefährlich werden kann. Ich fühle mich verantwortlich für meine Kolleginnen und möchte ihnen auch gönnen, ohne schlechtes Gewissen ihre Schwangerschaft genießen zu können – aber es ist ihnen bewusst, dass es für das restliche Team eine Belastung ist, wenn 40 Wochenstunden ausfallen. Soll ich dann 80 Wochenstunden arbeiten, um das zu kompensieren?

Der wirtschaftliche Druck ist für selbstständige Tierärzt*innen immer ein Thema … 
Ich habe Angestellte, deren Gehälter wir verdienen müssen. Wenn ich den Kundenstock nicht aufrechterhalten kann, weil die Zahl der Visiten nicht mehr machbar ist, zerstöre ich etwas, was wir über Jahre aufgebaut haben. Ich kann das nicht einfach „runterregulieren“ – ich habe ja auch Verantwortung für die Arbeitsplätze und die tierärztliche Versorgung in der Region.

Haben Sie selbst während Ihrer Schwangerschaften weitergearbeitet?
Ja, ich bin selbstständig und war jeweils nur zwei Monate in Babypause. Jemand muss den Arbeitsausfall ja kompensieren, die Überstunden der Kolleginnen musste ich bezahlen oder sie mussten durch Zeitausgleich abgebaut werden. Erst beim dritten Kind war das Team groß genug und der Betrieb gut aufgestellt, da konnte ich etwas länger pausieren. Zum Glück war ich immer fit und habe arbeiten können.

Welche Aspekte Ihrer Arbeit in der Rinderpraxis sind für Schwangere besonders bedenklich?
Hygienisches Arbeiten ist selbstverständlich; dass schwangere Frauen bei Röntgenaufnahmen keinesfalls anwesend sein dürfen, ist ja allgemein bekannt. Andere gefährliche Aspekte wie die Isoflurannarkose oder die Toxoplasmosegefahr betreffen vor allem Kolleginnen, die in der Kleintierpraxis tätig sind. Was Stöße und Schläge betrifft, so ist bei der Arbeit mit Pferden das Gefahrenpotenzial sicherlich größer; beim Nutztier kann ich mich darauf verlassen, dass die Kuh fixiert ist und ich vorher nicht zu ihr hineinmuss. Ich marschiere auch nicht quer durch die Herde – gut organisiert ist alles für mich vorbereitet.

Sollten Tierärztinnen also weiterarbeiten dürfen, wenn sie schwanger sind?
Nein, beim Kinderschutz können wir keine Abstriche machen, deshalb darf dieser Schutz nicht angetastet werden. Sonst kommt es zu dem Dilemma, dass eine Angestellte sich nicht traut, Nein zu sagen, und weiterarbeitet – aus Angst, den Job zu verlieren. Ich wünsche mir gleiche Rechte für alle: Auch die Kinder der Selbstständigen müssen geschützt werden.

Die Tätigkeit in der Rinderpraxis bringt es mit sich, dass Sie viel unterwegs sind. Wie schaffen Sie es, Zeit mit Ihrer Familie zu verbringen?
Die Nutztierpraxis hat Vorteile: Ich bin in der Aktivphase meiner Kinder zu Hause. Mittags können wir gemeinsam essen und ich helfe bei den Hausübungen. Mein Team springt ein, wenn ich dringend nach Hause muss, und auch die Visiten werden entsprechend eingeteilt. Mein Mann führt die Landwirtschaft und kann die Kinder abholen, wenn es nötig ist. Sie werden zur Selbstständigkeit erzogen und lernen, dass nicht immer sofort jemand da ist; damit müssen sie umgehen lernen.

Waren in den organisatorischen Abläufen der Praxis Änderungen notwendig, weil Sie Kinder haben?
Während der Stillzeit habe ich entschieden, keine Nachtdienste zu machen. Seither teilen wir uns die Dienste wieder auf, und ich übernehme die meisten. Unsere Bauern rufen aber nur bei echten Notfällen in der Nacht an.

Wie nehmen Ihre Kinder Ihre berufliche Tätigkeit wahr?
Die Große will selbst Tierärztin werden und ist sehr interessiert, sie fährt gerne mit zu den Visiten. Die Kinder bekommen natürlich mit, dass ich viel arbeite; sie merken, dass ich das Telefon immer bei mir habe. Wenn ich etwas versprochen habe, kann ich das oft nicht einhalten, weil z. B. eine Geburt dazwischenkommt. Das Unregelmäßige, Unvorhersehbare taugt ihnen nicht – immer kommt es anders als geplant. Aber andere Jobs haben auch Nachteile.

Was ist Ihnen in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders wichtig?
Ich möchte mich so abgrenzen, dass ich für meine Kinder wirklich da bin, wenn ich bei ihnen bin. Es hat ein paar Jahre gedauert, mir zu erarbeiten, dass ich nicht 24 Stunden am Tag verfügbar bin. Die größte Herausforderung ist, allen gerecht zu werden: Meinen Patienten soll es gut gehen – oder wieder besser gehen –, ich soll finanziell alles schaffen und ich möchte mich regelmäßig weiterbilden. Da bin ich ehrgeizig; es ist aber auch sehr zeitintensiv. Darum ist mein Leben schön, aber sehr, sehr anstrengend. Mein Mann unterstützt mich sehr, und auch meine Eltern tun das. Ohne den Großfamilien-Rückhalt würde es nicht gehen.


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