Mutter und praktische Tierärztin –

kein einfacher Karriereweg

Tierärztin Tonia Olson
Autorin der Karriereplattform VetStage.de

Viele junge Frauen stehen vor der Entscheidung: Karriere oder Kinderwunsch – oder doch umgekehrt? Die Erwerbstätigkeit trotz Familie ist eine große Herausforderung und sollte nicht nur ein weibliches Problem sein.

Nach wie vor zählt Tierärztin zu den Traumberufen ­vieler Mädchen. So ist es nicht verwunderlich, dass das ­Studium der Veterinärmedizin bei Frauen besonders beliebt ist und der Frauenanteil an den tiermedizinischen ­Fakultäten europaweit stetig zunimmt – Anfang 2017 waren etwa an der Veterinärmedizinischen Universität Wien bereits über 70 Prozent der Studierenden weiblich. Was die meisten jungen Frauen bei der Wahl ihres Studiengangs jedoch nicht bedenken, ist die Tatsache, dass der tierärztliche Beruf u. a. aufgrund der langen Arbeitszeiten und der extrem hohen Belastung schwer mit der Gründung und Versorgung einer Familie zu vereinbaren ist.

Wenn das lange und arbeitsintensive Studium erfolgreich abgeschlossen ist, planen die wenigsten Frauen, eines Tages ihren Job als praktizierende Tierärztin an den Nagel zu hängen und stattdessen als (hoch qualifizierte) ­Mutter und Hausfrau zu Hause zu bleiben. Allerdings wird die Vollzeittätigkeit bei frischgebackenen Eltern noch weitgehend vom Vater aufrechterhalten, sodass einem Großteil der (Assistenz-)Tierärztinnen, die ihren Beruf weiter ausüben möchten, keine andere Wahl bleibt, als in Teilzeit oder andere, familienfreundlichere Bereiche (z. B. Pharma­industrie) zu wechseln oder gar eine berufsfremde Tätigkeit aufzunehmen. 

In den allermeisten Fällen sind es also nach wie vor die Mütter, die für die Kinderbetreuung zuständig sind und doppelt belastet werden, wenn sie trotz Familie erwerbstätig sind. Dies ist eine große Herausforderung und erfordert ein hohes Maß an Organisation, Belastbarkeit und Flexibilität. Damit für praktische Tierärztinnen die Karriere nicht am Kinderwunsch scheitert (und natürlich umgekehrt), müssen Wege gefunden werden, die es ihnen ermöglichen, trotz kleiner Kinder ihre Tätigkeit fort­zusetzen. 

LÖSUNGSANSÄTZE FÜR EINE BESSERE VEREIN­BARKEIT VON FAMILIE UND VETERINÄRBERUF

1. Erweiterung von (flexiblen) Kinderbetreuungsplätzen
Da die Väter in der Regel nach der Elternzeit haupt­beruflich tätig sind, können Tierärztinnen selten bei der Kinder­betreuung auf ihren Partner zurückgreifen. Wenn nun auch keine Großeltern oder andere Verwandte in der Nähe wohnen und sich um die Kinder kümmern können, müssen sich die Mütter während der Arbeitszeit auf ein belastbares Netzwerk durch Tagesmütter oder staatliche Einrichtungen verlassen können. Das Problem liegt hierbei jedoch nicht nur am Mangel an Betreuungsplätzen, sondern v. a. daran, dass die staatlichen Einrichtungen i. d. R. keine flexiblen Betreuungszeiten anbieten. Kaum eine Tierärztin hat jedoch die Möglichkeit, nur vormittags bzw. zu den regulären Öffnungszeiten der Kinderbetreuungsstellen zu arbeiten. Dies ist auch nicht in einer Kleintierpraxis mit geregelten Arbeitszeiten der Fall. Denn Tierarztpraxen müssen sich mit ihren Öffnungszeiten bzw. der Vergabe ihrer Termine an ihre Klienten anpassen und auch nach deren Feierabend und in unvorhersehbaren Notfällen für die kranken Vierbeiner da sein. 

2. Familienfreundlichere Arbeitsbedingungen
Die Arbeitszeiten in Tierarztpraxen und -kliniken verlangen oft zu viel Flexibilität, die von staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht gegeben wird (und auch nicht erwartet werden kann). Das bedeutet, dass Mütter nicht uneingeschränkt für den Arbeitgeber bzw. die Patientenbesitzer verfügbar sein können, sondern geregelte Arbeitszeiten und das Verständnis der Kollegen für ihre eingeschränkte Flexibilität benötigen. 

Müttern sollte außerdem die Möglichkeit gegeben werden, ihre Arbeitszeiten variabler zu gestalten, sodass sie beispielsweise ihr Kind im Krankheitsfall flexibler betreuen können. Unabdingbar ist auch hier die Unterstützung durch Kollegen, die z. B. durch eine Zusammenarbeit von Tierärzten erreicht werden kann. 

In der Großtierpraxis ist es sicherlich schwieriger, als ­Mutter zu arbeiten, da eine höhere Flexibilität als im Kleintierbereich vorausgesetzt wird und man für Notfälle (z. B. Geburtshilfe) auch nachts und am Wochenende einsatzbereit sein muss. In diesen Fällen hilft nur eine flexible Kinderbetreuung. Aber in der Schweine- und Rinder­praxis kann man Müttern entgegenkommen, indem gut planbare Termine, z. B. für regelmäßige Routinekontrollen, auf bestimmte Tage und Zeiten gelegt werden, in denen sich die Kinder in Betreuungseinrichtungen befinden. 

3. Anerkennung des „angestellten Tierarztes“ als gleichwertiges Karrieremodell 
Tierärztinnen, die Mütter geworden sind, können aufgrund ihrer begrenzten zeitlichen Flexibilität oft nur noch als Angestellte und nicht (mehr) als Selbstständige tätig sein. Dieses Karrieremodell des „angestellten ­Tierarztes“, also eine permanente und nicht nur vorübergehende Tätigkeit als Assistenztierärztin, wird bedingt durch den hohen Frauenanteil in Zukunft immer mehr zunehmen. Dies erfordert ein Umdenken in der Tierärzteschaft, dass auf die Assistententätigkeit nicht automatisch die eigene Praxis folgen muss. Stattdessen wäre es wichtig, dass der angestellte Tierarzt als vollwertige tierärztliche Berufsausübung und gleichwertig zum selbstständigen Tierarzt anerkannt wird.

Damit dieses Modell jedoch funktioniert, müssen tierärztliche Arbeitgeber bessere Arbeitsbedingungen (­flexible Arbeitszeiten, faire Entlohnung) schaffen, um die Zufriedenheit der angestellten Tierärzte und damit den wirtschaftlichen Erfolg der Praxis durch eine langfristige Anstellung zu sichern und zu steigern.

 

5. Schaffung neuer Teilzeit- Beschäftigungsmodelle 
Teilzeitstellen sind in der Veterinärmedizin nach wie vor eher eine Seltenheit. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden, dass man nicht nur als Praktizierender tätig sein kann, wenn man bereit ist, rund um die Uhr zu arbeiten. Es ist auch notwendig, neue Teilzeitstellen zu schaffen, die auch tatsächlich halbe Stellen sind und keine flexiblen Überstunden auf „Abruf“ beinhalten. Außerdem sollten Teilzeitstellen besser bezahlt werden. Denn wer geht nach Abschluss des langen und intensiven Tiermedizinstudiums schon gerne arbeiten, wenn er mit dem Verdienst kaum für die Betreuung seiner Kinder aufkommen kann? 

6. Zusammenarbeit mit anderen Tierärzten/tierärztlichen Praxen
Um (selbstständigen) Tierärztinnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, besteht die Möglichkeit, mit anderen Tiermedizinern oder einer anderen Tierarztpraxis zusammenzuarbeiten. Dies kann der Zusammenschluss mehrerer eigenständiger Tierärzte in einer Praxisgemeinschaft, die Zusammenarbeit mit Spezialisten in einer Überweisungspraxis oder der Zusammenschluss von Kapitalgebern und praktischen Tierärzten (Franchise-­Praxis) sein. 

Der Vorteil dieser Kooperationen liegt zum einen darin, dass die Arbeit geteilt und damit die berufliche Belastung reduziert wird. Es bleibt also mehr (Frei-)Zeit für die Familie und Kinder. Zum anderen kann man sich im Falle von Abwesenheitszeiten durch Urlaub, Fortbildung oder Krankheit in einer Praxisgemeinschaft (ebenso wie in einer Gemeinschaftspraxis) rechtzeitig gegenseitig vertreten. Dies ist besonders für Tierärztinnen mit Kindern sehr hilfreich.

GRENZEN ERKENNEN

Obwohl sich schon seit Jahren ein enormer Wandel im tierärztlichen Berufsstand vollzieht, hat sich bisher nicht viel geändert und die Ziele zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurden nur ansatzweise umgesetzt. Dies ist jedoch dringend erforderlich, um dem steigenden Frauenanteil unter den Tierärzten gerecht zu werden. 

Wer in der Tiermedizin erfolgreich Karriere machen möchte, muss sich also gut überlegen, ob sich dies mit einem Kinderwunsch vereinbaren lässt. Viele Hebel können und müssen in Bewegung gesetzt werden, um den tierärztlichen Beruf familienfreundlicher zu gestalten, aber manche Barrieren sind leider einfach nicht überwindbar. Denn: Die Veterinärmedizin ist nun einmal ein Dienstleistungsberuf, bei dem die Wünsche der zahlenden Kunden berücksichtigt werden müssen. Es ist ein 24/7-Job mit Fortbildungspflicht und der Notwendigkeit, präsent zu sein. Dies sollte bei der Wahl des Studiums bzw. der Zukunftsplanung berücksichtigt werden.