Die metronomische Chemotherapie –

ein alternativer Weg für Tumorpatienten

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Dr. Alexandra Rosé, Dipl. ACVIM, ist Oberärztin der Abteilung für innere Medizin und Onkologie in der Tierarztpraxis am Stadtpark in Wien. Sie gab dem Vetjournal einen Überblick über eine alternative Form der Chemotherapie: die metronomische Chemotherapie.

Dr. Alexandra Rosé ist eine international anerkannte ­Spezialistin für innere Medizin mit besonderer Liebe zur Onkologie, wie sie betont. „Die Onkologie war schon am Anfang meines Berufslebens das, was mich begeistert hat“, sagt Dr. Rosé einleitend über ihr Spezialgebiet.

In der Onkologie hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es stehen meist mehrere Optionen zur Verfügung, Tieren mit Neoplasien medizinisch zu helfen. Eine Möglichkeit ist die metronomische Chemotherapie: „Das Konzept der metronomischen Chemotherapie wurde vor etwa 20 ­Jahren in der Humanmedizin entwickelt und schließlich auch in die Tiermedizin übernommen. Bei der metronomischen Chemotherapie werden Chemotherapeutika in kurzen Intervallen und sehr niedrigen Dosen verabreicht“, führt die Tierärztin aus.

Den Unterschied zur klassischen Chemotherapie erklärt sie wie folgt: „Bei der klassischen Chemotherapie werden hohe Dosen der Medikamente verwendet, der Tumor wird somit direkt bekämpft. Bei der metronomischen Form versucht man hingegen, vor allem die Umgebung des Tumors zu beeinflussen, indem die Angiogenese durch die Hemmung des Gefäßwachstums und in weiterer Folge das Wachstum des Tumors gehemmt werden. Die zweite Säule der Wirkungsweise der metronomischen Chemotherapie ist eine Modulation des Immunsystems: Bei Patienten mit Neoplasien ist die Anzahl der regulatorischen T-Zellen, kurz T-regs, die das Immunsystem und die körpereigene Tumorbekämpfung unterdrücken, sehr hoch. Diese Zellen werden wiederum durch die metronomische Chemo­therapie gehemmt – so kann das eigene Immun­system bei der Tumorbekämpfung unterstützt werden.“

Welche Medikamente stehen für diese Form der Chemotherapie zur Verfügung? Darauf antwortet Dr. Rosé: „Es werden vorwiegend alkylierende Chemotherapeutika verwendet, beispielsweise Cyclophosphamid, das alternierend mit COX-2-Hemmern wie Meloxicam jeden zweiten Tag verabreicht wird. Auch COX-2-Hemmer haben antiangio­genetische Effekte und wirken synergistisch mit den Chemotherapeutika bei der Hemmung des Tumorwachstums. Bei der metronomischen Chemo­therapie werden immer orale Medikamente eingesetzt, das heißt, sie werden zu Hause vom Tierhalter eingegeben; im Gegensatz zur klassischen Chemotherapie, bei der die meisten Medikamente intravenös vom Tierarzt appliziert werden. Einer der wichtigsten Vorteile der metronomischen Chemotherapie ist das niedrige Nebenwirkungspotenzial. Cyclophosphamid ist eines der Medikamente, die ich sehr gerne für die metronomische Chemotherapie einsetze, denn in den niedrigen Dosierungen gibt es kaum Nebenwirkungen. Das heißt, ich möchte nur die guten Eigenschaften des Wirkstoffs nutzen – das macht diese Therapieform für mich so interessant.“

Eine gute BehandlungsOption

Die Vorteile dieser alternativen Form der Chemo­therapie liegen zusammengefasst bei wenigen Nebenwirkungen, geringen Kosten und wenig Aufwand. „Bei der herkömmlichen Chemotherapie mit hohen Dosen der Medikamente werden die Tumorzellen direkt angegriffen“, geht Dr. Rosé ins Detail, „der Nachteil dabei ist aber, dass auch alle anderen sich schnell teilenden Zellen im Körper betroffen sind, vor allem im Magen-Darm-Trakt und im Knochenmark. Deswegen müssen die Patienten auch engmaschig kontrolliert werden. Mittels Blutbild sieht man, wann die maximale tolerable Dosis erreicht ist. Danach braucht der Patient eine Pause, im Normalfall liegen zwei bis drei Wochen zwischen den Chemotherapien.“ Dr. Rosé führt weiter aus: „Für das metronomische Protokoll dagegen ist die Dosis sehr niedrig. Bei Cyclophosphamid zum Beispiel wird nur etwa ein Zehntel der herkömmlichen Dosis verwendet, dadurch hat man kaum Nebenwirkungen, somit ist auch das nötige Monitoring viel unaufwendiger. Bei der klassischen Chemotherapie sind zudem wegen des ­höheren Toxizitäts­potenzials und des höheren Aufwands, weil das Tier ­öfter zum Tierarzt muss, die Kosten um ein Vielfaches höher, auch weil hohe Dosen des Medikaments selbst mehr ­kosten.“

Für welche Tumorarten kann dieses Konzept ­angewendet werden? „Dazu gibt es in der Veterinärmedizin kaum ­wissenschaftliche Daten“, betont die Onkologin, „selbst in der Humanmedizin ist diese Therapieform noch relativ neu, nachdem sie erst seit etwa 20 Jahren eingesetzt wird. Generell sind die Daten, die uns für die ­onkologische ­Veterinärmedizin zur Verfügung stehen, sehr überschaubar. Die Studien werden meist retrospektiv mit einer kleinen Patientenzahl von 20 bis 30 Tieren gemacht, noch dazu ist es oft eine sehr heterogene Gruppe, wo die individuellen Patienten nur schwer miteinander vergleichbar sind. Oft sind es sogar nur einzelne Fallberichte, die existieren. In der Humanmedizin werden solche Studien viel größer, homogener und prospektiv angelegt. Das ­bedeutet, wir müssen mit dem arbeiten, was wir an wissenschaft­lichen Daten haben, und diese kritisch hinterfragen, vor allem, was die Erfolgsrate und die Nebenwirkungen betrifft.“

Oft orientiert sich Dr. Rosé deswegen auch an human­medizinischen Studien. Sie erklärt: „Bei Tumorarten, bei denen die herkömmliche Chemotherapie laut den vorhandenen Studien keine guten Erfolge oder ein sehr hohes Nebenwirkungspotenzial hat, ist die metronomische Form für mich eine sehr sinnvolle Alternative. Es ist für mich in solchen Fällen gut vertretbar, offen zu sein und trotz ­wenig wissenschaftlicher Evidenz Dinge ­auszuprobieren, weil Nebenwirkungen, Kosten und Aufwand bei der metronomischen Chemotherapie gering sind.“ Konkret weiß die Spezialistin einige Beispiele: „Ein Tumor, der in Studien sehr gut auf die Therapie mit COX-2-Hemmern anspricht, ist das Übergangsepithelkarzinom in der Harnblase. Die Gabe von Meloxicam hatte hier eine ähnliche Erfolgsrate wie eine klassische Chemotherapie mit Carbo­platin. Auch im humanmedizinischen Bereich gibt es Tumorarten, bei denen die metronomische Chemo­therapie in großen Studien gleiche Outcomes hatte wie die klassische Form. Für mich macht es demnach Sinn, bei solchen Tumoren die metronomische Therapie anzuwenden. Weniger Nebenwirkungen, Aufwand und Kosten sind bei ähnlicher Erfolgsrate sicher zu bevorzugen. Anders ist es wiederum bei Tumorarten wie dem Lymphom beim Hund, bei denen die konventionelle Chemotherapie sehr hohe Erfolgsraten hat. In solchen Fällen empfehle ich die metronomische Alternative nicht.“ Außerdem gibt die Tierärztin zu bedenken: „Wenn ich eine Katze betreue, bei der ich die metronomische Chemotherapie einsetzen möchte, ist es für mich sehr wichtig, dass die tägliche Eingabe der Medikamente keinen Stress für Katze und Besitzer bedeutet. Wenn die Katze sich nur sehr schwer orale Medikamente eingeben lässt, ist das eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität. Dann ist zu überdenken, ob nicht andere Therapieformen eine bessere Alternative wären.“

Jeder Patient mit einer Neoplasie ist ganz individuell hinsichtlich der möglichen Therapieoptionen zu betrachten. Dr. Rosé hebt hervor, dass sich jede Therapieempfehlung aus komplexen Zusammenhängen ergibt: „Für mich ­spielen viele Faktoren eine Rolle bei meiner Therapieempfehlung: Tumorart und -lokalisation, genaues Staging bezüglich Metastasen, mögliche Therapieoptionen, deren Erfolgsrate, Kosten und Aufwand und vor allem auch die gesundheitliche Situation des individuellen Tiers sowie die finanziellen und aufwandsbezogenen Möglichkeiten seiner Besitzer. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe einen Hund mit einem malignen Melanom am Unterkiefer und Me­tastasen im Lymphknoten betreut. Der Tumor war aufgrund der Lokalisation chirurgisch sehr schwer ­resezierbar. Es wäre eine Option gewesen, den Hund trotzdem in die Chirurgie zu schicken, was eine große und schwierige Operation bedeutet hätte. Die Studien zu solchen Fällen geben eine mittlere Überlebenszeit von fünf bis zwölf Monaten nach der OP an. Diese Daten ­überzeugen mich jedoch wenig für so viel Aufwand. Oft haben Besitzer auch limitierte finanzielle Möglichkeiten und der ­Patient noch weitere gesundheitliche Probleme. Für ­solche Patienten ist eine metronomische Chemotherapie eine sehr gute Alternative. In dem genannten Beispiel hat der Hund noch sechs Monate bei sehr guter Lebensqualität gelebt, mit sehr wenig Aufwand und auch vergleichsweise geringen Kosten.“

Es gibt verschiedene weitere Indikationen, um die metro­nomische Chemotherapie anzuwenden. Dr. Rosé: „Zu nennen sind hier Patienten, bei denen die Besitzer generell Operation, konventionelle Chemotherapie oder Bestrahlung ablehnen, oder solche, die schon überall im Körper Metastasen haben. Mit Glück sprechen ­diese Patienten auf die metronomische Chemotherapie an und haben eine verlängerte Überlebenszeit bei guter ­Lebensqualität. Selbiges gilt für Tumorarten, die niedrige Erfolgsraten bei der klassischen Chemotherapie haben, das heißt, wenn bei einem hohen Prozentsatz der Tumor nicht auf die Chemotherapeutika reagiert, aber trotzdem das Risiko von schweren Nebenwirkungen gegeben ist“, zählt die Spezialistin auf. Außerdem sei die metronomische Chemotherapie nicht nur eine mögliche Alternative zu anderen Therapieoptionen, sondern könne auch mit diesen kombiniert (also nach einer Operation, klassischen Chemotherapie oder Bestrahlung eingesetzt) werden, erklärt die Tierärztin.

im Alltag ist Vorsicht geboten

Im Hinblick auf die Vorsichtsmaßnahmen, die zu ­Hause im Umgang mit dem Tier getroffen werden sollten, stellt Dr. Rosé klar: „Der Besitzer muss die Medikamente zu ­Hause mit Handschuhen eingeben. Diese sind eigens für den ­Patienten dosisabgestimmt abgekapselt; diese Kapseln dürfen auch nicht geöffnet oder geteilt werden. Streicheln und Schmusen sind erlaubt, Vorsicht ist nur bei der Entsorgung der Ausscheidungen gegeben. Hier sollte der Besitzer Handschuhe tragen oder ein Plastiksackerl verwenden, was für die allermeisten Besitzer aber sowieso selbstverständlich ist. Familien mit Kleinkindern würde ich allerdings zu keiner Chemotherapie für ihr Tier raten, auch nicht in der metronomischen Form. Wir wissen einfach viel zu wenig über die potenziellen toxischen Effekte für Kleinkinder.“

Zusammenfassend betont die Onkologin: „Das Wichtigste bei der Therapieentscheidung ist immer die ­Lebensqualität des individuellen Patienten in Kombination mit den Möglichkeiten der Besitzer. Ab dem Zeitpunkt, an dem es den Patienten mit der gewählten Therapieform nicht mehr gut geht, muss man sich überlegen, ob es noch Alternativen gibt – oder es Zeit ist, den Patienten gehen zu lassen. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn Besitzer nicht alle Möglichkeiten in Anspruch nehmen wollen oder können; es macht keinen Sinn, jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen.“

Abschließend sagt Dr. Rosé: Das Ziel der onkologischen Therapie muss immer sein, noch eine gute Zeit für das Tier und seine Besitzer zu gewinnen. Es ist keine Option für mich, eine Therapieform zu wählen, bei der bei geringer oder moderater Erfolgsrate viele Nebenwirkungen oder Komplikationen zu erwarten sind. Deswegen bin ich von der metronomischen Chemotherapie auch in vielen Fällen so begeistert, weil die Lebensqualität der Patienten stark davon profitieren kann.“


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