Der Bewegungsapparat des Pferdes –

neue Wege in der Pferde-Reha

Lisa Reichenauer

Ohne Zweifel zählt der Bewegungsapparat des Pferdes zu den wichtigsten Bausteinen für die Gesunderhaltung des Vierbeiners, jedoch führen unterschiedliche genetische Beschaffenheiten sowie Haltungs- und Reitbedingungen heutzutage häufig zu orthopädischen Erkrankungen des elementaren Funktionskörpers unserer Reitpferde. Vor allem muskuläre Defizite sind laut Tierärzt*innen nicht selten für fortwährende Probleme bei den beliebten Freizeittieren ausschlaggebend.

„Die Muskulatur hat neben der Fortbewegung auch die wichtige Funktion, den Bewegungsapparat zu stabilisieren. Nur mit einer den Anforderungen des individuellen Pferds angemessen ausgebildeten Muskulatur können die Gelenke, Bänder und Sehnen optimal funktionieren und vor ­Beschädigungen geschützt werden“, so Dr. Julia Rohrbach. Die deutsche Tierärztin praktiziert seit 15 Jahren in unterschiedlichen renommierten Tierkliniken in unserem nördlichen Nachbarland, vorwiegend im Bereich Orthopädie und Rehabilitation. Neben der klassischen schul­medizinischen Orthopädie, die schmerzhafte Veränderungen in den Strukturen des Bewegungsapparats diagnostiziert und lokal entzündliche, degenerative oder traumatische Gewebe­verletzungen therapiert, ist es laut Dr. Rohrbach auch wichtig, „im Rahmen der modernen Rehabilitationsmedizin den Patienten langfristig in die Lage zu versetzen, einen biomechanisch korrekten Bewegungsablauf zu erlangen, um künftige Fehl- oder Überbelastungen zu vermeiden. Dabei spielt die korrekt ausgebildete Muskulatur eine zentrale Rolle.“

Auch bei Muskelstoffwechselerkrankungen, die zum Teil vererblich sind, wie PSSM 1 (Polysaccharidspeicher­myopathie) und dem PSSM-2-Komplex, sowie auch Krankheiten, die nicht primär die Muskulatur beeinträchtigen, wie z. B. EMS (Equines Metabolisches Syndrom) oder auch RAO (Recurrent Airway Obstruction), wäre laut Dr. Rohrbach ein angemessenes und systematisches Training wichtig für die Gesunderhaltung der Patienten. Einen möglichen ­neuen Ansatz im Muskelaufbautraining bietet hier etwa das Konzept der „Equikinetic“: Diese Methode wurde im Jahr 2013 von Michael Geitner, einem erfahrenen Pferde­trainer aus Deutschland, entwickelt und beruht auf Erkenntnissen der Trainingsphysiologie, dem isokinetischen Prinzip. Durch geführtes Longieren in einer sogenannten „Quadratvolte“ und mithilfe eines Intervalltimers sowie durch ständigen Handwechsel (Dualaktivierung) soll die Muskulatur des Pferds möglichst effektiv aufgebaut werden und so die Gesunderhaltung des Vierbeiners gefördert werden. Für Dr. Rohrbach, deren Schwerpunkt funktionelle Biomechanik ist, könnte das neuartige Muskel-Intervalltraining in vielen Fällen eine mögliche Methode in der Pferde-­Rehabilitation darstellen: „Systematische Trainingskonzepte sind in der Pferdewelt, abgesehen vom Leistungssport, noch nicht sehr weit verbreitet. Die allermeisten Pferde werden nach sehr subjektiven Kriterien trainiert, und wir wissen aus Studien, dass die Einschätzung der Leistungs­fähigkeit der Pferde und der Trainingsbelastung häufig sehr ungenau oder auch völlig falsch ist. Ein einfach zu erlernendes Trainingsprogramm, das systematisch und effektiv die wichtige sogenannte Core-Muskulatur – also die stabilisierende Rumpfmuskulatur –, die Herz-Kreislauf-Fitness und die Propriozeption trainiert, ist ein wichtiger Baustein innerhalb von Rehabilitationskonzepten, insbesondere nach orthopädischen Erkrankungen. Meiner Ansicht nach erfüllt Equikinetic diese Kriterien, sodass ich diesen Zugang häufig therapiebegleitend bei meinen Patienten empfehle.“

Neue Methode in der Pferde-Rehabilitation

Auch in Österreich weckt die neu entwickelte Methodik in der Pferde-Gesunderhaltung das Interesse von Veterinärmedizinern. So führte etwa die Wiener Tierärztin Dr. Marion Thurner im Jahr 2015 in Zusammenarbeit mit einer Equikinetic-Trainerin eine Untersuchung zur Veränderung der Musculi multifidi durch. Als Messungsgrundlage diente dabei die am College of Veterinary Medicine der Michigan State University publizierte Methode von Narelle Stubbs. Demnach wurde mittels Ultraschall an jeweils sechs Stellen (5. Lendenwirbel, 18., 16., 14., 12. und 10. Brustwirbel) an genau definierten anatomischen Merkmalen links und rechts die „breiteste“ Stelle der Mm. multifidi gemessen.

„In der Humanmedizin gehörte diese Methode damals im angelsächsischen Sprachraum zur Evaluierung der Wirksamkeit von Rehabilitationsmaßnahmen vor allem bei chronischen Rückenschmerzen. Obwohl wir zu Beginn zehn Pferde zur Verfügung hatten, blieben dann leider nur drei Pferde für die zweite Messung nach drei Monaten Equi­kinetic-Training übrig. Da es ja leider keine Doppelblindstudie war, konnten wir unsere Ergebnisse nur empirisch verwerten und zeigen: Equikintic beeinflusst die Mm. multi­fidi positiv! Mich erstaunte es sehr, dass in nur drei Monaten mit zweimal pro Woche Equikinetic ein solcher Effekt zu erzielen war“, erläutert Dr. Thurner, Fachtier­ärztin für Chiropraktik. Vor allem bei älteren oder krankheitsgeschwächten Pferden kann laut Dr. Thurner das neue Muskelaufbautraining eine Symptommilderung bewirken. „Bei Geriatrie- und auch Arthrosepatienten zeigt diese Methode, dass die stabilisierende Muskulatur positiv beeinflusst wird. Der Sog aus Schonung, Lahmheit, Schmerzen, Stoffwechselentgleisungen oder überschüssiger Medikamentengabe kann somit wirksam verlangsamt werden. Daher kann ich Equikinetic auch meinen Fachkolleg*innen empfehlen, ­natürlich nur nach Abklärung der Ursachen und entsprechender Begleittherapie“, so Dr. Thurner.

Erfolge für ältere Patienten

Für Equikinetic-Erfinder Michael Geitner liegt der positive Effekt vor allem in der Geriatrie auf der Hand: „Wir wissen heute aus der Human-Forschung, dass Krafttraining – nicht Bodybuilding! – das biologische Alter um bis zu 15 Jahre verlängern kann. Zum Beispiel hat mir ein befreundeter Humanmediziner, ein Geriatriespezialist, erzählt, dass er häufig Patienten bekommt, deren Organe zwar noch völlig in Ordnung sind, die aber aufgrund ihrer schwachen ­Muskulatur oft nur noch wenige Jahre zu leben haben. Bei Pferden ist das nicht anders. Das Tier läuft bei Equi­kinetic eben in der Acht-Meter-Volte, zeitlimitiert, im Schritt­tempo und gerade gerichtet; das heißt, die Sehnen werden so besser durchblutet und die Muskulatur gestärkt. Deshalb sind wir in der Reha so erfolgreich – und was mich selbst oft wundert: Manchmal werden die Übungen nicht ganz korrekt ausgeführt und trotzdem zeigen sich ­Erfolge.“ Dieses Phänomen liegt laut Geitner aber an der einzigartigen Zusammensetzung des Trainings. Ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezepts ist für ihn aber der Intervalltimer, denn dieser sorgt laut dem Pferdetrainer für die wichtige ­Dopaminausschüttung während der Trainingseinheit.

„Das Training wurde auch schon ohne Timer absolviert – ohne Erfolg. Deshalb kann die effektive Wirkung beim ‚nor­malen‘ Longieren definitiv nicht erreicht werden“, ist ­Geitner überzeugt. Zudem sollen ihm zufolge unterschiedliche Messungen auch gezeigt haben, dass die Gehirnaktivität bei Equikinetic zunimmt und das myofasziale Katapultsystem, also der Dehnungs-Verkürzungs-­Zyklus, bei langsamen Trabeinheiten im Training „deaktiviert“ wird und so auch in der schnelleren Gangart zu sichtbaren Erfolgen im Muskelaufbau führt. Um langfristige Erfolge dieser Muskelaufbautherapie sowie die Gesunderhaltung der Pferde gewährleisten zu können, hält die Wiener Veterinärin Dr. Marion Thurner eine ständige Fortbildung der Trainer dieser Methodik für essenziell.


Weitere Artikel zum Thema:

Schmerzerkennung Pferd
Artikel
Erkenne den Schmerz
des Pferdes
Pferdegesundheit im Bundesheer
Artikel
Im Dienste der Pferdegsundheit
40 Jahre Zusammenarbeit: Vetmeduni und Bundesheer
Vibrationstraining beim Pferd
Studie
Vibrationstraining
Förderung des Hufwachstums bei Pferden