Gefahr aus der Mundhöhle:

Risiko Zahnerkrankungen bei Kleintieren

Bettina Kristof

Es ist bekannt, dass die Zahnpflege bei Hunden und Katzen für die langfristige Gesunderhaltung des Tiers besonders wichtig ist. Wir haben mit Dr. Lorenz Schmid, Tierzahnarzt und Leiter der Tierklinik Oberhaching bei München, über Zahnerkrankungen und Trends in der Zahn­medizin gesprochen.

Herr Doktor Schmid, Sie sind seit vielen Jahren Tierzahnarzt. Wie kam es dazu, dass Sie sich auf diesen Bereich der Tiermedizin spezialisiert haben?
Ich habe 1989 in einer kleinen Tierarztpraxis begonnen und ein Jahr später bereits die ersten Fortbildungen für Tierzahnheilkunde besucht. Ich habe mich langsam in das Thema eingearbeitet. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung war ein Gerät für intraorale Röntgen­aufnahmen, das ich bekommen habe. Das war damals etwas ganz Besonderes, das hatte kaum jemand. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu meiner Spezialisierung waren die Fort­bildungen bei Peter Fahrenkrug. Seine mit­reißende Art und seine spannenden Vorträge haben mich für die Tierzahn­heilkunde begeistert.

Welche Bereiche der Tierzahnmedizin bieten Sie in der Tierklinik Oberhaching an?
Wir bieten das komplette Portfolio der Tierzahn­medizin an, beginnend bei der Reinigung über Zahnfleischbehandlungen bis hin zu Extraktionen. Wir kümmern uns um den Erhalt der Zähne unserer tierischen Patienten, im Grunde ist es das gleiche Prinzip wie beim Menschen. Wir verwenden in der Tiermedizin die gleichen Materialien und Geräte wie die Human­mediziner. Wir führen auch endodontische Versorgungen von wichtigen Zähnen durch, die so ein Tierleben lang erhalten werden können, obwohl sie abgebrochen sind. Wenn die Pulpa eröffnet ist, muss der Zahn gezogen oder mit einer Wurzelkanalfüllung versorgt werden.
 
Korrigieren Sie auch Kieferfehlstellungen bei Hunden und Katzen?
Wir führen in unserer Klinik viele kieferorthopädische Behandlungen durch, aber ausschließlich mit einer medi­zinischen Indikation – das heißt, wenn ein Hund oder eine Katze eine Zahnfehlstellung hat, die zu einer Infektion oder zu Schmerzen führt, dann korrigieren wir das. Wenn der Unterkiefer zu kurz ist, würden sich die Unterkiefereckzähne in den Oberkiefer hineinbeißen und zu schmerzhaften Entzündungen führen. Das kann man verhindern, indem man die Zahnstellung während des Wachstums verändert. Mithilfe von Klammern oder Brackets oder mit Kunststoffaufbauten kann man die Position der Zähne korrigieren. Wir machen allerdings keine kosmetischen kieferorthopädischen Eingriffe. Diese werden zwar manchmal von Züchtern gewünscht, wir lehnen dies jedoch aus ethischen Gründen ab.

Was immer wieder vorkommt, sind Tumoroperationen im Bereich des Mauls und der Lippen. Hier gibt es viele Tumore, manche sind gutartig, manche bösartig. Wenn man diese früh genug entdeckt, kann man gut helfen, indem man ein Stück des Kiefers entfernt. Das macht man aber nur dann, wenn man nach der OP eine sehr gute Lebensqualität für das Tier erwartet.  

Wie sehen Sie den Einsatz von Implantaten bei Kleintieren?
Wir sind der Meinung, dass Hunde und Katzen eine gesunde Mundhöhle brauchen, aber keine künstlichen Zähne. Deshalb machen wir bei Kleintieren keine Implan­tate. Die Einbringung eines Zahnimplantats ist ein Eingriff mit mehreren Operationen, das ist aus unserer Sicht in der Tiermedizin nicht vertretbar. Die Behandlung ist mit großen Risiken behaftet, weil die Anatomie von Hunden und Katzen anders ist als beim Menschen. Der Mensch hat mehr Knochen, man kann ein Implantat daher besser befestigen als beim Hund. Wir arbeiten aber grundsätzlich zahnerhaltend. Wenn wir befürchten, dass ein wichtiger Zahn – also beispielsweise ein Eckzahn oder ein Reißzahn – verloren geht, dann überkronen wir ihn.

Praktische Tierärzte führen im Rahmen der jährlichen Untersuchung auch einen Check der Zähne durch. Worauf sollten sie da besonders achten?
Das ist ein ganz wesentliches Thema. Wir empfehlen, die Zähne bei der jährlichen Kontrolle gründlich an­zuschauen. Dabei ist es elementar, alle Zähne zu kontrollieren, auch die hinteren Backenzähne, denn dort beginnt meistens der Entzündungsprozess. Im Oberkiefer sind die Reißzähne und die unmittelbar dahinter liegenden Zähne besonders heikel. Das sind die Zähne, die bei vielen Tieren saniert werden müssen. Ein häufiges Problem bei Kleintieren sind Zahnfrakturen. Bei der Katze sind die Eckzähne davon betroffen, beim Hund die Eck- und Backenzähne. Dabei wird oftmals unterschätzt, dass es bei einer Fraktur zur Freilegung der Pulpa kommt – und zu daraus resultierenden Entzündungen und Schmerzen.

Wie erkennt der Tierhalter, dass sein Tier ein Zahnproblem hat?
Zahnprobleme sind für den Tierhalter schwer zu er­kennen, denn die Tiere fressen trotz Zahnschmerzen. Anzeichen für eine Zahnerkrankung können Mundgeruch, nächtliche Unruhe, erhöhter Schlafbedarf oder Rückzug des Tiers sein.

Viele Tierhalter schrecken vor einer Zahnstein­behandlung ihres Tiers zurück, weil diese in Narkose erfolgt. Warum ist diese aber so wichtig?
Das Kriterium für eine Operation ist nicht primär der Zahnstein, sondern eine Entzündung des Zahnfleischs. Diese Behandlung muss in Narkose erfolgen, weil man dabei unter das Zahnfleisch geht. Wenn man entzündetes Zahnfleisch früh genug behandelt, kann man die Zähne erhalten; wenn man zu lang wartet, muss man sie ziehen. Außerdem kann sich eine umfangreiche nicht behandelte Parodontitis auf die Organe schlagen. Wir sehen häufig Herzklappenprobleme oder veränderte Leberwerte, hervorgerufen durch eine Parodontitis. Das sind Schäden, die sich auf das gesamte Organsystem auswirken. Es kann auch zu Gelenksentzündungen kommen, weil die Keime über die Blutbahn im Körper verteilt werden.

Welche Aspekte verdienen besondere Aufmerksamkeit, wenn praktische Tierärzte die Zähne ihrer Patienten kontrollieren?
Die gründliche Kontrolle der Zähne ist von großer Bedeutung, um Probleme rechtzeitig zu erkennen. Kleine Hunde und bestimmte Katzenrassen sind besonders anfällig für Zahnerkrankungen, da sollte man sich die Zähne am besten zweimal jährlich genau ansehen. Es kommt allerdings vor, dass zu spät eingegriffen wird. Viele haben Angst, ihr älteres Tier in Narkose legen zu lassen, aber unbehandelt wird das Problem immer schlimmer.

Wie wichtig ist es, die Zähne vor der Behandlung zu röntgenisieren?
Lassen Sie es mich so formulieren: Eine Zahnbehandlung bei Hunden und Katzen ohne vorheriges intraorales Röntgen ist nicht mehr zeitgemäß. Man sollte die Nar­kose nutzen, um alle Zähne zu röntgen, denn 20–30 % der Zahnprobleme sind nur im Röntgen zu erkennen. Eine Narkose ist immer ein Risiko, aber es gibt gute Möglichkeiten zur Narkoseüberwachung, die die Gefahr minimieren. Eine Inhalationsnarkose ist gut steuerbar, wir kombinieren sie mit einer Lokalanästhesie. Dabei kann der Patient relativ oberflächlich schlafen und wir schalten den Schmerz am Nerv aus.

Was ist bei der Behandlung von Zahnfrakturen besonders zu beachten?
Es ist wichtig zu wissen, dass die Pulpa bei Tieren sehr nah an die Oberfläche kommt, wodurch sie beim Tier nicht so geschützt ist wie beim Menschen. Deshalb kommt es immer wieder zu komplizierten Kronenfrakturen, bei denen die Pulpa eröffnet wird; das wird oft unterschätzt. Ein weiterer Punkt ist, dass man einen Zahn ziehen muss, wenn man ihn nicht retten kann, sonst leiden die Nachbarzähne unter der Ausbreitung der Infektion. Das wird von Tierärzten vielfach falsch eingeschätzt. Bei Entzündungen in der Mundhöhle werden häufig Medikamente gegeben, obwohl es längst offensichtlich ist, dass ein Zahn gezogen werden muss.

Dabei macht vor allem Cortison bei einem kranken Zahn keinen Sinn. Der erste Schritt bei Entzündungen ist eine Röntgenaufnahme, das ist für die Diagnose entscheidend. Auch nach der Zahnextraktion sollte im Zweifel nochmals geröntgt werden, um zu sehen, ob die Wurzeln komplett entfernt sind.

Welche Zahnerkrankungen sind besonders gefährlich für das Tier?
Zahnstein und die daraus resultierenden Zahnfleisch­entzündungen setzen den Tieren am meisten zu. Bei Katzen kommt es zusätzlich häufig zu einer Zahnresorption, bei der sich der Zahn beispielsweise im Bereich des Zahn­halses auflöst. Diese Problematik geht mit einer Entzündung einher. Beim Hund treten oft Zahnfrakturen auf, aber auch Zahnstein und Zahnfleischentzündungen können für Hunde gefährlich werden. Wenn man eine Entzündung des Zahnhalteapparats übersieht, dann geht diese immer tiefer und ist ab einem gewissen Punkt nicht mehr reversibel.

Welche Zahnprobleme werden oft zu spät entdeckt?
Zahnfehlstellungen beim jungen Hund, die zu traumatischen Entzündungen führen können. Deshalb muss man bereits bei der ersten Untersuchung des Welpen die Zahnstellung genau anschauen. Beim Zahnwechsel erfolgt die zweite Untersuchung des Gebisses.

Welche Trends gibt es in der Zahnmedizin?
Ein neuer Trend ist Cone Beam, dabei handelt es sich um einen Computer­tomografen, der sehr detaillierte Auf­nahmen machen kann. Damit kann man den Schädel milli­metergenau rekonstru­ieren, das ist sozusagen der Goldstandard in der bild­gebenden Diagnostik. Wir verwenden Cone Beam beispiels­weise bei Tumoroperationen, um den Abstand zum gesunden Gewebe millimetergenau auszurichten. Die dreidimensionale Darstellung mit Cone Beam ist eine spektakuläre Neuerung in der Medizin. Auch Entzündungen kann man damit in einem frühen Stadium erkennen, oder Zähne, die an einer falschen Stelle liegen, genau orten.

Welche neuen Behandlungsmöglichkeiten wenden Sie an?
Wir haben in letzter Zeit zunehmend verschiedene Geräte aus der Humanmedizin zur endodontischen Behandlung eingesetzt, das erleichtert die Wurzelkanalfüllung. Wir schauen ständig, dass wir mit den Materialien, die wir einsetzen, so nahe wie möglich an der Humanmedizin sind. Das betrifft auch die Füllmaterialien.

Haben Sie eine Botschaft an die Tierärzte in Österreich?
Wenn man die Zahnheilkunde ernst nimmt, gibt es viel Arbeit für die Tierärzte. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Spaß macht es. Man verbessert die Lebens­qualität seiner Patienten, wenn man sich Wissen aneignet. Es gibt keine Erkrankung, die so häufig ist wie die Erkrankung der Mundhöhle. In den USA ist die Zahn­heil­kunde seit letztem Jahr ein obligatorisches Kernfach mit eigener Kompetenz in der Tierheilkunde. Die Ameri­kaner sind auf diesem Gebiet Vorreiter. Ein Tierzahnarzt geht an eine Extraktion anders heran als ein Chirurg, deshalb ist die spezielle Ausbildung wichtig. In Österreich gab es mit Professor Zetner * einen Pionier in diesem Bereich, man könnte daran anknüpfen.

* Die „Wiener Tierzahnheilkunde“ blickt auf eine lange Tradition zurück. Der international anerkannte Prof. Dr. Karl Zetner, Dipl. EVDC, ist Begründer der Abteilung Zahn- und Kieferchirurgie der Vetmeduni Vienna und Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Publikationen.


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