Mag. Karin Egger, GPCert (sas)
Ausgabe 11/2021
Eine geschlossene Tibiaschrägfraktur einer 20 Wochen alten Harzer-Fuchs-Hündin wurde mittels geschlossener Reposition und elastischer Platten-Osteosynthese erfolgreich versorgt.
„Skarlet“, eine 20 Wochen alte, unkastrierte Harzer-Fuchs-Hündin, kam nach dem Freilauf mit einer Lahmheit der linken Hinterextremität von der Weide zurück. Zum Zeitpunkt der Vorstellung war Skarlet grundimmunisiert und regelmäßig entwurmt; keine Auslandsaufenthalte. Gefüttert wurde die Hündin mit handelsüblichem Welpenfutter.
Die Hündin zeigte eine Stützbeinlahmheit vierten Grades (von vier Graden). Im orthopädischen Untersuchungsgang fiel an der linken Tibia im mittleren Drittel eine Instabilität, eine Schwellung und Hyperthermie auf. Krepitation war nachweisbar und die Manipulation war schmerzhaft. Die oberflächliche und tiefe Palpation der beiden Hinterextremitäten ergab keine weiteren Auffälligkeiten. Die Oberflächensensibilität war an beiden Hinterextremitäten nachweisbar.
• Hüftgelenksdysplasie
• Durchblutungsstörungen (Legg-Calvé-Perthes, Aortenthrombose)
• Banddegenerationen/Rupturen (Kreuzbandriss, Gastrocnemius-Ausriss)
• Muskuläre Pathologien (Kontraktur des M. gracilis, Quadrizepskontraktur, Rhabdomyolyse)
• Deformationen (Patellaluxation)
• Osteochondrosis dissecans (Tarsus, Knie)
• Frakturen/Luxationen
• Neurologische Erkrankungen (degenerative Lumbosakralstenose, Myasthenia gravis, Neuritis)
• Neoplasie
• Fremdkörper, dermatologische Probleme (Corns)
• Hämatome
Ein Grundbilderpaar des linken Unterschenkels (53 kV und 5,0 mAs) wurde angefertigt (Abbildungen 1 und 2). Es zeigte sich eine Schrägfraktur der Tibia im mittleren Drittel der Diaphyse mit Lateral- und Kranialverlagerung sowie Torsion des distalen Segments. Auch eine Querfraktur der Fibula im mittleren Drittel der Diaphyse mit Kranialverlagerung war ersichtlich.
Die Diagnose lautet somit geschlossene lange Schrägfraktur der linken Tibiadiaphyse sowie geschlossene Querfraktur der linken Fibuladiaphyse. Als Therapie wurde die Versorgung durch Minimalinvasive Elastische Platten-Osteosynthese (MIPO) angestrebt. Die Prognose wurde als sehr gut bewertet.
Intraoperativ erhielt Skarlet 22 mg/kg Cefazolin intravenös (iv) und 0,2 mg/kg Meloxicam subkutan. Als Prämedikation wurden 0,01 mg/kg Medetomidin, 2 μg/kg Fentanyl sowie 0,5 mg/kg Diazepam iv verabreicht. Die Narkose wurde mit 2 mg/kg Propofol und 1 mg/kg Ketamin iv eingeleitet und mit Isofluran erhalten. Die intraoperative Analgesie wurde mittels eines Fentanyldauertropfs (3 μg/kg/h) weitergeführt. Während der Erhaltungs- und Aufwachphase erhielt die Hündin eine Infusion in einer Rate von 3 ml/kg/h. Das Operationsfeld wurde steril vorbereitet.
Die Epiphysenfuge wurde mittels Einmalkanüle (26G) aufgesucht. Durch Traktion wurde die Schrägfraktur geschlossen reponiert und mittels Repositionszange fixiert. Das Alignment wurde in der Sagittalebene überprüft, indem die Crista tibiae und der Calcaneus aufgesucht wurden. Die Crista tibiae soll leicht medial zu liegen kommen, während der Calcaneus leicht lateral zu liegen kommt. Zur Kontrolle der Rotationsachse wurden die Malleoli palpiert und die Ausrichtung des Knies überprüft. Die Position der Frakturenden wurde mittels Flouroskopie kontrolliert (Abb. 3, 4). Es wurden zwei Hautschnitte von circa 2 cm Länge knapp distal bzw. knapp proximal der markierten Epiphysenfugen gesetzt. Mit einer Metzenbaumschere wurde ein Weichteiltunnel über dem Periost kreiert, der die beiden Inzisionen miteinander verband. Eine winkelstabile Osteosyntheseplatte der Stärke 2,7 mm wurde von proximal nach distal durch den Weichteiltunnel geführt. Im proximalen Segment wurden vier Lockingschrauben der Stärke 2,7 bikortikal angebracht, im distalen drei. Sieben in der Mitte gelegene Schraubenlöcher wurden leer belassen, um ein elastisches Ergebnis zu erzielen. Das Operationsfeld wurde mit steriler Kochsalzlösung gespült. Der Wundverschluss erfolgte in zwei fortlaufenden Reverdin-Nähten. Kontrollröntgenbilder wurden angefertigt (Abb. 6 und 7) und zeigten eine angemessene Reposition und adäquate Schraubenlängen.
Skarlet erhielt 0,1 mg/kg Meloxicam per os für sieben Tage. Die Fäden wurden zehn Tage post operationem entfernt. Zu diesem Zeitpunkt konnte eine Lahmheit zweiten Grades festgestellt werden. Vier Wochen post operationem konnte keine Lahmheit mehr festgestellt werden. Ein Kallus war palpatorisch nachweisbar. Die übrige orthopädische Untersuchung war unauffällig. Kontrollröntgenbilder wurden angefertigt (Abb. 8 und 9) und zeigten reichlich Kallusbildung. Die Fraktur verheilte komplikationslos.
Der dargelegte Fall ist sehr repräsentativ, denn Spiral- und Schrägfrakturen sind die häufigsten Frakturen der Tibia und mehr als 50 % der Patienten mit Tibiafrakturen sind jünger als ein Jahr (Boone et al., 1986).
Der Vorteil der MIPO im Vergleich zu konventionellen Platten-Osteosynthesen ist durch zahlreiche Studien belegt (Guiot und Déjardin, 2011; Johnson et al., 1989; Dudley, 1997; Rozbruch et al., 1998). Der Grundgedanke der MIPO ist, das Frakturhämatom unangetastet zu belassen, weil es entscheidend für eine optimale Knochenheilung ist (Guiot et al., 2018). Dies wird erreicht, indem die Fraktur geschlossen reponiert und die Platte durch kleine Hautinzisionen über einen Tunnel angelegt wird. Die anatomisch korrekte Ankonturierung ist nicht entscheidend für die Stabilität bei winkelstabilen Plattensystemen. Die MIPO zielt darauf ab, lange Platten zu verwenden, mit einer herabgesetzten Anzahl an Schrauben pro Segment. Schrauben werden nur im proximalen und distalen Bereich platziert.
Zwei bis drei Lockingschrauben (Minimum drei Kortizes) pro Fragment führen in der Regel zu einer adäquaten Stabilisierung (Guiot et al., 2018). Die Distanz der ersten (dem Frakturspalt nächsten) Schraube definiert die Arbeitslänge der Platte. Längere Arbeitslängen sind bei elastischer Platten-Osteosynthese erwünscht, weil ein elastisches Ergebnis die Frakturheilung begünstigt (Stürmer, 1996). Wichtig ist, dass nicht die Größe des Hautschnitts eine minimalinvasive Osteosynthese ausmacht (Guiot, 2018). Das Gewebehandling während der gesamten Operation inklusive der Waschung und Lagerung tragen entscheidend zur erfolgreichen MIPO bei. Die Frakturversorgung in diesem Fall war angemessen und der Heilungsverlauf sehr zufriedenstellend. Eine Einschränkung der Funktionalität ist nicht zu erwarten.
Literatur:
Boone E. G., Johnson A. L., Montavon P., Hohn R. B. (1986) Fractures of the tibial diaphysis in dogs and cats. Journal of the American Veterinary Medical Association 188 (1) 41-45
Dudley M., Johnson A. L., Olmstead M., Schaeffer D. J., Abbuehl U. (1997) Open reduction and bone plate stabilization, compared with closed reduction and external fixation, for treatment of comminuted tibial fractures: 47 cases (1980–1995) in dogs. Journal of the American Veterinary Medical Association 211 (8) 1008-1012
Guiot L. P., Dejardin L. M. (2011) Prospective evaluation of minimally invasive plate osteosynthesis in 36 nonarticular tibial fractures in dogs and cats. Veterinary surgery 40 (2) 171-182
Guiot L. P., Déjardin L. M., Guillou R. P. (2018) Overview of minimally invasive osteosynthesis principles. Kapitel 43 in Veterinary Surgery: Small Animal, Auflage 2 (Peck J. N., Kent M.: section editors; Johnston S. A., Tobias K. M.: Editors), Missouri, Elsevier GmbH. 721–737
Johnson A. L., Kneller S. K., Weigel R. M. (1989) Radial and Tibial Fracture Repair with External Skeletal Fixation: Effects of Fracture Type, Reduction, and Complications on Healing. Veterinary Surgery 18 (5) 367–372
Rozbruch R. S., Müller U., Gautier E., Ganz R. (1998) The Evolution of Femoral Shaft Plating Technique. Clinical Orthopaedics and Related Research 354 195–208
Stürmer K. M. (1996) Die elastische Plattenosteosynthese, ihre Biomechanik, Indikation und Technik im Vergleich zur rigiden Osteosynthese. Der Unfallchirurg 99, 816–829