Fallbericht:

Ruptur des kranialen Kreuzbandes beider Kniegelenke bei einer 14-jährigen Jack-Russell-Terrier-Hündin

Tzt. Jernej Stavbar
Tierklinik Schwarzmann Rankweil

Eine simultane bilaterale Kreuzbandruptur (KBR) mit Paraparese wird häufig fälschlicherweise als akutes neurologisches Problem interpretiert [1]. Der Fallbericht beschreibt eine 14-jährige Jack-Russel-Terrier-Hündin (JRT), die wegen einer Paraparese überwiesen wurde. Im Rahmen der Untersuchung und Diagnostik wurde eine beidseitige KBR festgestellt und erfolgreich behandelt.

Anamnese und klinische Untersuchung

Eine 14-jährige kastrierte JRT-­Hündin wurde zur Abklärung einer therapie­resistenten Paraparese mit Verdacht auf eine Rückenmarksläsion überwiesen. Die Parese war eine Woche zuvor plötzlich beim Spielen aufgetreten. Eine Blutuntersuchung zwei Monate vorher war ohne auffälligen Befund. Die Hündin versuchte sich im Behandlungsraum mit gekrümmtem Rücken und Lastverteilung auf den Vorderextremitäten fortzube­wegen. Generell vermied die Hündin jegliche Bewegung und saß mit gestreckten Knie- und Sprunggelenken im Behandlungsraum. Bei der Allgemein­untersuchung fiel ein systolisches Herzgeräusch Grad drei mit Punctum maximum auf der linken Seite auf.

Die Propriozeption war auf allen Gliedmaßen prompt. Alle spinalen Reflexe waren vorhanden. An beiden Gliedmaßen zeigte sie eine Ober­flächenschmerzreaktion (Knurren). Motorik und Sensorik der Rute waren normal.

Palpatorisch war eine vermehrte Gelenksfüllung beider Kniegelenke und eine mediale Gelenksschwellung aufgefallen. Die Hündin zeigte einen Streckschmerz und die Kniescheibe war beidseits nach medial luxierbar. Beidseits war der vordere Schubladentest positiv.

Weiterführende diagnostische Verfahren und Diagnose

Beim Herzultraschall wurden endständig kaum verdickte Mitralklappen festgestellt. Beide Vorhöfe waren ca. gleich groß, es gab keinen Hinweis auf kardiovaskuläre Be­einträchtigung. Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule und Hüfte ergaben einen Normalbefund. Beide Kniegelenke zeigten eine vermehrte Gelenksfüllung und Zeichen einer Gonarthrose (Abb. 1, 2). Der gemessene Tibiaplateau-­Winkel nach Slocum hatte beidseits 28,8 Grad. Die Diagnose war eine bilaterale Ruptur der vorderen Kreuzbänder mit Gon­arthrose.

Therapie/chirurgische Behandlung

Die therapeutischen Möglichkeiten (Bandersatz, Osteo­tomie – Tibial Plateau Leveling Osteotomy [TPLO]) wurden mit dem Besitzer besprochen. Nach eingehender Beratung entschied sich der Besitzer aufgrund des Alters des Tieres und der finanziellen Möglichkeiten für einen lateralen Bandersatz. Die Kniegelenke wurden im Abstand von sechs Wochen separat operiert.

Intraoperativ wurden die Kniegelenke inspiziert. Die Bandreste des gerissenen kranialen Kreuzbandes wurden entfernt und das vorgefallene Hinterhorn des medialen Meniskus reseziert. Eine Kapselraffung wurde durchgeführt und der Bandersatz lateral von der Fabella bis zur kranialen Tibia möglichst isometrisch zum vorderen Kreuzband angebracht (Abb. 3, 4).

Postoperative Behandlung und Ergebnis

Die Hündin wurde am Abend des Operationstags ent­lassen. Die Nachbehandlung bestand aus Cefalexin, 21,4 mg/kg KM BID, und Carprofen, 3,6 mg/kg KM SID, für fünf Tage. Bis zum zweiten Operationstermin wurde sie ruhig gehalten und regelmäßig physiotherapeutisch behandelt.

Nach der zweiten Operation wurde die postoperative Behandlung inklusive Physiotherapie auf dieselbe Weise durchgeführt. Ab der dritten Woche post OP wurden die Spaziergänge an der Leine wöchentlich ausgedehnt.

Sechs Wochen nach der zweiten OP zeigte die Hündin beidseits eine konstante Extremitätenbelastung. Die kyphotische Körperhaltung war nicht mehr feststellbar, der Sitztest war aber weiterhin positiv. Palpatorisch waren beide Kniegelenke mittelgradig verdickt, sie zeigten jedoch keine vermehrte Temperatur, der Schubladentest war beidseits negativ, eine Druckdolenz bzw. ein Streckschmerz konnte nicht ausgelöst werden.

Diskussion

Nach einem Bagatelltrauma wollte die Hündin die Hinter­beine nicht mehr belasten. Gekrümmter Rücken, kurze Schritte und ein generelles Vermeiden jeglicher Bewegung haben zur Vermutung einer Wirbelsäulenproblematik ­geführt. Obwohl die Hündin beim Abtasten des kaudalen Rückens Abwehrbewegungen machte, führte der palpatorische Kniegelenksbefund (Gelenksschwellung, Streckschmerz, positive Schublade) zur richtigen Diagnose.

Akut traumatisch bedingte Verletzungen des vorderen Kreuzbandes sind selten. Die meisten Hunde leiden primär an einer degenerativen Gelenkserkrankung (Arthrose). Deswegen sind auch bei sogenannten akuten Verletzungen chronische Veränderungen in beiden Kniegelenken erkennbar [2]. Im vorliegenden Fall ist interessant, dass im Vorbericht keine eindeutige Lahmheit erwähnt wurde. Eine mögliche Erklärung ist, dass sie durch die bilaterale Gon­arthrose maskiert wurde, da beide Extremitäten gleicher­maßen schmerzhaft waren. Bei genauerem Nachfragen bestätigte der Besitzer, dass die Hündin seit Monaten beim Sitzen die Knie gestreckt hielt.

Eine konservative Therapie führt selten zu einem be­friedigenden Behandlungsergebnis. Um die optimale Funktion der Gliedmaße zu gewährleisten, ist bei Patienten jeder Größe eine chirurgische Intervention empfehlenswert [3]. In unserer Klinik wird die TPLO als Standardbehandlung für die vordere KBR mit sehr guten Ergebnissen durch­geführt. In bestimmten Fällen wird jedoch auch ein extrakapsulärer Bandersatz angeboten. Die Ergebnisse des late­ralen Bandersatzes sind bei strenger Indikationsstellung (nicht zu schwer adipöse Tiere und nicht zu steiler Tibiaplateau-Winkel) und guter Platzierung des Bandes, um die Ausrichtung des Kreuzbandes bestmöglich zu imitieren, zufriedenstellend bis gut [4,5].

Literaturverzeichnis
[1] Fossum TW. Chirurgie der Kleintiere. Elsevier Health Sciences; 2020
[2] Grierson J, Asher L, Grainger K. An investigation into risk factors for bilateral canine cruciate ligament rupture. Vet Comp Orthop Traumatol 2011; 24: 192–196
[3] Koch D, Fischer MS. Lahmheitsuntersuchung beim Hund: Funktionelle Anatomie, Diagnostik und Therapie. 2. aktualisierte und ­erweiterte Edition. Thieme; 2019
[4] Cook JL, Luther JK, Beetem J, et al. Clinical Comparison of a Novel Extracapsular Stabilization Procedure and Tibial Plateau ­Leveling Osteotomy for Treatment of Cranial Cruciate Ligament ­De­ficiency in Dogs. Veterinary Surgery 2010; 39: 315–323
[5] Gordon-Evans WJ, Griffon DJ, Bubb C, et al. Comparison of lateral fabellar suture and tibial plateau leveling osteotomy techniques for treatment of dogs with cranial cruciate ligament disease. Journal of the American Veterinary Medical Association 2013; 243: 675–680