Tierärztin Tanja Warter
Ausgabe 05/2023
Hochkarätige Vortragende, viele neue Erkenntnisse, rege Diskussionen und bewegende Momente: Das „Animalicum 2023“ machte das Altern zum Schwerpunkt – und begeisterte viele Tierärzt*innen.
Den Auftakt der eineinhalbtägigen Fortbildungsveranstaltung in Bregenz machte Alternsforscher Christoph Englert über den sonderbaren „Zahn der Zeit“. Der Professor für Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena leitet die Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns. Er ging unter anderem den Fragen nach, welche allgemeingültigen Mechanismen des Alterns es gibt, warum eine Schildkröte 200 Jahre alt werden kann, ein Hamster aber nur zwei – und was die Wissenschaft durch die Unterschiede bei verschiedenen Arten lernen kann. Dabei erklärte Englert auch, dass die allgemeine Regel „Größere Tiere leben länger als kleine Tiere“ zwar als übergeordnete Gesetzmäßigkeit ihre Berechtigung habe, aber innerhalb einer Art nicht gültig sei. Er erklärte so etwa das Phänomen, dass große Hunde schneller altern als Hunde kleiner Rassen.
Über kognitive Fähigkeiten, bei denen ältere Hunde in Tests besser abschneiden als junge Hunde, sprach Kognitionsbiologe Ludwig Huber, Leiter des Messerli Forschungsinstituts an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Gründer und Leiter der Abteilung für Vergleichende Kognitionsforschung. Dazu gehören Aufgaben, bei denen es um logisches Denken und ums Schlussfolgern geht – bei neuen, leichteren Aufgaben seien aber die Jungen im Vorteil. Anschließend widmete sich Svenja Springer vom Messerli Forschungsinstitut den Erwartungshaltungen der Tierbesitzer, den Schwierigkeiten von „Dr. Google“ und den Vor- und Nachteilen sowie der Unaufhaltsamkeit der Telemedizin.
„Wie man diese (die Telemedizin, Anm.) wirklich sinnvoll nutzen kann, gerade für den eigenen Patientenstamm, sollte man vorher genau für sich klären“, so Springer. Eine bereits bestehende persönliche Beziehung sei wichtig.
Anknüpfend an die Erwartungen der Tierbesitzer*innen leitete Svenja Joswig ihr Augenmerk auf die Themen Palliativmedizin und Hospiz. Als praktische Tierärztin im deutschen Hankensbüttel ist sie zertifiziert für Palliativmedizin und Tierhospiz und außerdem Deutschland-Repräsentantin der International Association for Animal Hospice and Palliative Care (IAAHPC). Joswig beantwortete in ihrem Vortrag jene Fragen, die im Zusammenhang mit Hospiz und Palliativmedizin immer wieder auftauchen: Wozu ist das gut? Wem nutzt das? Dem Tier – oder doch eher dem Besitzer? Dazu lieferte sie Fallberichte und resümierte, dass optimale medizinische Versorgung mit engmaschiger Betreuung oft mehr Lebenszeit bei gleichzeitiger besserer Lebensqualität mit sich bringen würde.
Rainer Hagencord, Biologe und Theologe, gründete und leitet das Institut für Theologische Zoologie in Münster. Er schlug im Hinblick auf unseren Umgang mit Tieren die Brücke zu Klimawandel und Artensterben: „Wir vernichten Tiere“, mahnte er und plädierte für den Bau von geschützten Lebensräumen im Sinne der Arche Noah. Auf diese Archen müssten dann alle Tiere mitgenommen werden – „nicht nur die Nützlichen und die Niedlichen, sondern auch die, die wir ekelig finden oder die unser Blut saugen.“ So plädierte Hagencord für eine Religion mit dem Blick zum Tier.
In den praktisch angelegten Einheiten „Hund Spezial“ und „Katze Spezial“ sprach Marion Mucha, Diplomate des European College of Veterinary Sports Medicine and Rehabilitation an der Vetmeduni, über Möglichkeiten und Chancen, ältere Tiere auch im hohen Alter fit zu halten. In Studien zeige sich, so Mucha, dass bis zu 91 % der Tiere im Alter von Arthrosen betroffen seien – Schmerztherapie sei dabei fundamental, aber die Gabe von Medikamenten nicht der alleinige Weg zu Verbesserungen.
Wie man die Ernährung beim alternden Tier anpassen kann, erläuterte Annette Liesegang, Lehrstuhlinhaberin des Instituts für Tierernährung und Diätetik an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich. So würden beispielsweise Salzsäure- und Gallenproduktion im Alter abnehmen und die Resorptionsoberfläche im Darm werde kleiner; gezieltere und hochwertigere Nährstoffversorgung sei die Konsequenz.
Den Abschluss bildete Peter Kunzmann, Professor für Angewandte Ethik in der Tiermedizin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. In seinem Vortrag „Sterben wie ein Hund“ beleuchtete er im Detail, wo es Parallelen zwischen Mensch und Tier im Umgang mit dem Tod gibt und wo die großen Unterschiede liegen. Das Thema einer eigenverantwortlichen Entscheidung für Leben und Sterben beim Menschen wurde philosophisch beleuchtet. Die Teilnehmenden diskutierten die Gratwanderung zwischen Leidensverlängerung und Lebenszeitverkürzung – und darüber, dass der „Schutz des Lebens“ in bestimmten Situationen nicht in Einklang damit zu bringen sei, ein Tier nicht leiden zu lassen.
Bei den Tierärztinnen und Tierärzten stieß das Animalicum 2023 auf enormes Interesse. Veranstalterin und Tierärztin Tanja Warter: „Diese Tagung hat wirklich zum Nachdenken angeregt und sehr berührt. Wer mit Tieren zusammenlebt oder arbeitet, ist irgendwann mit schweren Zeiten und großen Entscheidungen konfrontiert, aber auch mit Trauer oder mit Gedanken über die Unterschiede, die wir machen. Diesen zentralen Punkt traf das Animalicum in herausragender Weise.“
Tipp für diejenigen, die das Animalicum versäumt haben: Die Vorträge gibt es zum kostenpflichtigen Nachschauen unter www.animalicum.com
Einen Eindruck des Kongresses im Videoformat finden Sie hier.