Bettina Kristof
Ausgabe 09/2021
Zur Abklärung neurologischer Erkrankungen bei Heimtieren ist eine ausführliche Anamnese besonders wichtig. Tierhalter*innen kennen ihre Gefährten zumeist sehr gut und können Veränderungen im Verhalten gut beschreiben – das erleichtert oft die Diagnose in heiklen Fällen.
Das Erkennen bestimmter neurologischer Erkrankungen gleicht oft einem Puzzlespiel: Erst die Kombination aus ausführlicher Anamnese, klinischer und neurologischer Untersuchung und (wenn nötig) weiterführenden bildgebenden Verfahren führt zur Diagnose. Deshalb sind die Neurologen auch die Detektive in der Tiermedizin. Mehr zum Thema neurologische Erkrankungen bei geriatrischen Patienten verriet uns Dr. med. vet. Andrea Fischer, Professorin für Tierneurologie und Leiterin der Neurologieabteilung am Zentrum für Klinische Tiermedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, in einem Interview.
Frau Professorin Fischer, welche neurologischen Probleme treten bei älteren Hunden und Katzen besonders häufig auf?
Bei älteren Hunden und Katzen sehen wir das ganze Spektrum neurologischer Symptome, von Bewegungsstörungen bis hin zu epileptischen Anfällen. Neben den häufigen Tumoren treten Schlaganfälle, Infarkte und Demenzerkrankungen sowie chronische Bandscheibenvorfälle häufiger auf. Besonders bei Katzen, aber auch bei sehr alten Hunden können durch Gefäßerkrankungen mit hohem Blutdruck Schlaganfälle oder Gehirnblutungen verursacht werden.
Bei welchen Symptomen sollten Tierhalter mit ihrem Tier beim Tierarzt, bei der Tierärztin vorstellig werden?
Mir ist wichtig, zu betonen, dass Tierhalter*innen oft zu spät zum Tierarzt oder zur Tierärztin gehen. Sie stellen zwar fest, dass sich das Tier verändert, Mobilitätsprobleme hat, weniger frisst oder langsamer wird, fürchten aber, dass das Tier einen Tumor hat und man nichts dagegen tun kann – oder aber, dass das veränderte Verhalten auf den Alterungsprozess zurückzuführen ist, den man auch nicht beeinflussen kann. Beides ist jedoch falsch und entspricht nicht dem Tierwohl. Erkrankungen bei alten oder älteren Tieren sind meist komplex und multifaktoriell sowie durch degenerative und chronisch-entzündliche Krankheitszustände kompliziert, auch aufgrund von Zahnproblemen. Kurz gesagt: Ein verändertes Verhalten älterer Tiere kann viele Ursachen haben und Tierhalter*innen sollten ihren Tierarzt, ihre Tierärztin konsultieren, wenn sie ein verändertes Verhalten oder eine reduzierte Leistungsfähigkeit bemerken. Eine gute neurologische Untersuchung beim Tierneurologen kann oft Klarheit bringen, ob eine neurologische Erkrankung oder Schmerzen vorliegen und welche Therapieoptionen es gibt. Es ist wichtig, das Tier ganzheitlich zu betrachten.
Im Fokus der Forschung stehen zusehends eingeschränkte Lebensqualität und Mobilität durch chronische Bandscheibenerkrankungen und Osteoarthrose bei alten Tieren. Hier bieten Physiotherapie und Rehabilitation gute Behandlungskonzepte, die Schmerzen lindern und die Lebensqualität und Mobilität des Tiers verbessern können. Wir haben im Neurologie-Service an der LMU zwei Ansprechstellen mit Sprechstunden: In unserer Epilepsie-Sprechstunde sind wir telefonisch, online oder vor Ort für unsere Patienten und die Tierhalter da, in unserem Zentrum für Tiermobilität steht Physiotherapie für Patienten mit eingeschränkter Mobilität im Vordergrund. Die Behandlungen sind ambulant oder stationär möglich. Aktuell ist die Teilnahme an einer Studie zur Stoßwellentherapie des Lumbosakralsyndroms über das Zentrum für Tiermobilität möglich.
Wie werden neurologische Erkrankungen diagnostiziert?
Zur Diagnose neurologischer Erkrankungen bei alten Patienten geht man Schritt für Schritt vor. Man nimmt zuerst eine ausführliche Anamnese mit Fokus auf Wesens- und Verhaltensänderungen sowie auf Veränderungen der Mobilität und dann eine körperliche und eine neurologische Untersuchung vor. Abhängig vom Schweregrad der Symptome und den möglichen Ursachen wird man im zweiten Schritt eine bildgebende Untersuchung durchführen.
Diskospondylitis kann oft bereits im Wirbelsäulenröntgen diagnostiziert werden. Bei akuter schwerer Lähmung, bei Anfällen im Alter und bei Gleichgewichtsstörungen wird man häufig ein MRT machen, bei Verdacht auf Polyneuropathie jedoch ein EMG. Besonders beim alten Hund sollte aber auch die therapeutische Konsequenz vor der Planung eines MRT mit dem Besitzer besprochen werden.
Ob eine Gehirnblutung vorliegt, kann im MRT recht gut dargestellt werden. Eine Bereicherung für die Diagnose von Schlaganfällen oder Infarkten ist der Einsatz spezieller Sequenzen beim MRT. Mit dem Gradientenecho kann man Blutungen darstellen, mit der diffusionsgewichteten Sequenz kann man ischämische Infarkte besser differenzieren.
Welche Ursachen sind oft Auslöser neurologischer Erkrankungen im Alter?
Gerade bei alten Katzen sind Gefäßveränderungen in Kombination mit hohem Blutdruck (hypertensive Enzephalopathie, Anm.) häufig Auslöser für akute schwere neurologische Symptome durch einen Infarkt oder Schlaganfall. Bei Hunden über zwölf Jahren spielt das idiopathische geriatrische Vestibularsyndrom, bei dem Hunde initial für einige Tage Unterstützung mit Infusionstherapie brauchen, eine große Rolle. Daneben sind natürlich bei beiden Tierarten auch Gehirntumore, chronische Bandscheibenerkrankungen und die eine oder andere Entzündung, möglicherweise fortgeleitet von Zähnen oder Ohren, sowie ein fortschreitender Abbau der kognitiven Funktionen im Alter häufig.
Welche Therapien gibt es?
Bei neurologischen Erkrankungen und besonders nach Schlaganfällen und Infarkten sind Physiotherapie und Rehabilitation ganz wichtige Maßnahmen, um die Tiere wieder auf die Beine zu bekommen. Bei Schmerzzuständen werden auch Medikamente zur Therapie von neuropathischem Schmerz wie Gabapentin und Pregabalin häufig begleitend eingesetzt. Eine langfristige Kortisongabe im Alter ist kritisch, weil diese zu Muskelabbau führt. Bei Gehirntumoren wird oft außer einer palliativen Therapie auch eine Strahlentherapie angeboten. Bei Katzen mit Meningeomen raten wir zur operativen Resektion, da hier sehr gute Langzeitverläufe dokumentiert sind.
Gibt es neue Studien oder Forschungsergebnisse zu dem Themenkreis?
Es gibt aktuell eine gute Studienlage, die die Ernährungstherapie mit mittelkettigen Fettsäuren unterstützt. Ein Futter, das in einer ganz definierten Konzentration mit mittelkettigen Fettsäuren angereichert ist, kann nicht nur zur begleitenden multimodalen Therapie der idiopathischen Epilepsie eingesetzt werden, sondern führt auch zur Verbesserung kognitiver Funktionen. Es kann sich daher vor allem im Frühstadium einer kognitiven Dysfunktion, etwa einer Demenzerkrankung, günstig auswirken.
Es wird auf dem Gebiet viel geforscht. Neue Forschungsergebnisse gibt es zur Diagnose von kognitiver Dysfunktion. Bei diesem Krankheitsbild ist natürlich die Anamnese in der tierärztlichen Sprechstunde wichtig: Fragen an den Tierhalter, die Tierhalterin, ob sein, ihr Tier zunehmend desorientiert ist, ob es Veränderungen in der Interaktion mit dem Tierhalter oder Tierhalterin gibt, ob sich der Schlaf-wach-Rhythmus verändert hat, ob es Probleme mit der Reinheit gibt, sollten bei jedem Besuch eines älteren Tiers gestellt werden. Neben der wichtigen Ausschlussdiagnostik bei diesen Symptomen fokussiert sich die Forschung auch darauf, Biomarker zu finden, an denen man die Diagnose kognitive Dysfunktion festmachen kann. Zum einen verwendet man Biomarker im MRT, hier ist etwa die Größe des Thalamus – Adhaesio interthalamica – durchaus aussagekräftig. Offene Fragen bestehen zur Bedeutung von Mikroblutungen im Gehirn.
Spannende Ergebnisse können auch Biomarker im CSF oder Blut, etwa Amyloid-β, NLC, liefern, aber die Verwendung beim individuellen Patienten ist noch Zukunftsmusik und aktuell Inhalt verschiedener Studien.