Die Mortellaro’sche Krankheit –

eine Herausforderung für Rind und Mensch

Ao. Univ.-Prof. Dr. Johann Kofler, Dip. ECBHM
Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien

Die Mortellaro’sche Krankheit (Dermatitis digitalis, DD) stellt bei Milchrindern und auch bei Mutterkühen in Österreich eine häufige Lahmheitsursache dar. Neue Auswertungen zeigen eine Prävalenz auf Herdenebene von circa 50 Prozent in Regionen mit intensiver Milchviehhaltung. 1, 2

Die Mortellaro’sche Krankheit (Dermatitis digitalis, DD) ist eine infektiöse Erkrankung der Haut über dem Klauenschuh und im Zwischenzehenspalt 3–5. Neben der „Hautform“ treten in infizierten Herden vermehrt DD-­assoziierte („nicht heilende“) Klauenhornläsionen (­DD-aKHL) auf. Dabei wird die bei Weiße-Linie-­Defekten, Geschwüren und Horn­spalten frei liegende Lederhaut mit den DD-spezifischen Treponemen infiziert 6. Die aus den stets schmerzhaften ­akuten M2-Stadien und DD-aKHL resultierenden ­finanziellen Einbußen werden wegen der Produktions­verluste und des zusätzlichen Behandlungsaufwands im Mittel mit 120 Euro pro Kuh und Jahr beziffert 7.

DD ist eine Faktorenkrankheit an der Klauenhaut, ­wobei spezifische Anaerobier (Treponema pedis, T. phagedenis, T. medium u. a. m.) das ätiologische Agens darstellen 3, 8. Begünstigende Faktoren sind schlechte hygienische Zustände im Lauf- und Liegebereich und die durch Stress bei Über­belegung und abrupter Umstellung der Kalbinnen in die Herde verursachte verminderte körpereigene Immun­abwehr sowie schlechte Silagequalität und Hitzestress 9, 10.

Die Genetik hat einen Einfluss

DD tritt gehäuft in den ersten Wochen post partum auf, wenn viele Kühe eine negative Energiebilanz aufweisen, sowie vorzugsweise bei Kalbinnen und Erstlingskühen 11. Neue Studien wiesen zudem eine genetisch bedingte Anfälligkeit für DD nach: Typ-1-Tiere zeigen niemals DD, Typ-2-­Tiere haben nur selten schmerzhafte DD-Läsionen und Typ-3-Tiere haben häufig rezidivierende akute DD-­Läsionen im Zwei- bis Sechs-Wochen-Intervall 12, 13. In einer infizierten Herde gilt es, diese drei Typen zu detektieren, um die Risikotiere (Typ 3) zu identifizieren und somit Therapie- und Vorbeugemaßnahmen zielgerichtet steuern zu können 12, 14. Bislang noch DD-freie Herden werden häufig durch zugekaufte Rinder infiziert 15, aber auch mangelnde überbetriebliche Personal- und Werkzeughygiene stellen ein Infektionsrisiko dar 16, 17.

Die klinischen Erscheinungsbilder der DD werden mit den M-Stadien beschrieben 3: Man differenziert M1- (Früh-), M2- (akutes), M3- (Übergangs-), M4- (chronisches) und M4.1-Stadium (Abb. 1). Definitionen und zahlreiche Abbildungen der M-Stadien und der DD-aKHL (= M2-­Stadien; Abb. 2–5) sind in Appendix 1 und 2 des „ICAR Atlas der Klauengesundheit“ enthalten 5, 6.

Die Diagnose wird anhand des klinischen Erscheinungsbilds an den typischen Lokalisationen gestellt; auch der pene­trante, stinkende Geruch bei akuten M2-Stadien und DD-aKHL ist typisch 5, 6. Im Melkstand konnten nach gründlicher Reinigung der Klauen und unter Verwendung eines abgewinkelten Spiegels bis zu 90 % der DD-­Läsionen korrekt diagnostiziert werden 18. Kühe mit DD zeigen meist eine gering- bis mittelgradige Lahmheit, ­wohingegen ­Rinder mit oft über viele Monate bis über ein Jahr lang bestehenden DD-aKHL mittel- bis hochgradig lahm sind. Die ­definitive Diagnosestellung gelingt an dem im Klauenpflege­stand ­fixierten Rind 1, 2, 19.

Da DD eine Faktorenerkrankung ist, müssen im Rahmen einer effizienten Therapie und Prophylaxe v. a. vorhandene Mängel in der Hygiene und der Beschaffenheit der Lauf- und Liegeflächen, der Fütterung, zu hohe Besatzdichte und jegliche Stressbelastung, auch Hitzestress, möglichst beseitigt werden 8, 9, 11. Wichtige Voraussetzung jedes ­Therapiekonzepts in infizierten Herden und hoher DD-Prävalenz ist eine fachgerechte funktionelle Klauenpflege der Rinder drei- bis viermal jährlich 1, 2. Je nach vorliegendem M-­Stadium werden die Rinder entweder einer Einzeltier- oder Herdenbehandlung unterzogen 5, 6.

Die Einzeltierbehandlung ist stets indiziert bei Rindern mit akuten M2-Stadien bzw. mit DD-aKHL. Die an ­diesen schmerzhaften DD-Läsionen erkrankten Tiere sollten rasch identifiziert und mittels lokaler Medikation therapiert werden.

1. Tetrazyklinspray bzw. antibiotikafreie Gels ohne oder mit Verband: Nach gründlicher Reinigung und Trocknung der M2-Läsion wird ein Tetrazyklinspray bzw. ein antibiotikafreies Gel aufgetragen 1. Die Heilungsrate von M2-­Läsionen war bei diesen Medikationen doppelt so hoch, wenn zusätzlich ein Verband angelegt wurde 20.

2. Salizylsäurepaste und Verband: Auf die gereinigte und getrocknete M2-Läsion wird eine circa 5 mm dicke Schicht Salizylsäurepaste aufgetragen und stets ein Verband angelegt, der nach fünf bis sieben Tagen gewechselt wird 1. Mit Salizylsäurepaste konnten die besten Erfolge bei Therapie von M2-, M4- und M4.1-Läsionen und v. a. bei Behandlung einer Limax mit aufsitzender M2-Läsion erzielt werden 21.

3. Auch kleinflächige, erst wenige Wochen bestehende DD-aKHL können mittels lokaler Medikation mit Salizylsäurepaste, Anlegen eines Verbandes und Kleben eines Klotzes auf die Nachbarklaue erfolgreich behandelt werden. Zuvor muss alles lose Horn um den Defekt sorgfältig mit dem Hufmesser (Abb. 5) entfernt werden, sodass das applizierte Medikament die dort sitzenden Treponemen abtöten kann 2, 6.

4. Bei allen seit vielen Monaten bestehenden groß­flächigen DD-aKHL ist ein chirurgisches Wunddebridement unter Lokalanästhesie und Kleben eines Klotzes auf die Nachbarklaue die einzig erfolgversprechende Methode 2, 6. Damit kann unter völliger Schmerzfreiheit und guter Sicht alles lose Horn um den Defekt sowie anschließend mit dem Skalpell die infizierte Lederhautschicht restlos chirurgisch entfernt werden. Auf die saubere Wunde wird Tetrazyklinspray appliziert und ein Druckverband angelegt, der die Wunde vor neuerlicher Infektion ­schützen muss. Unter guten Haltungsbedingungen kommt es je nach Größe des Horndefekts innerhalb von zwei bis acht Wochen zur völligen Verhornung. Bei allen schmerzhaften DD-Läsionen wird zusätzlich die systemische Gabe von NSAIDs für ein bis drei Tage empfohlen 1, 2, 5, 6, wohingegen eine systemische Antibiose bei keiner Erscheinungsform der DD medizinisch indiziert ist 1, 2, 4.

Genauso wichtig für den Therapieerfolg wie die geschilderten Methoden der lokalen Behandlung ist die konsequente Nachsorge dieser Fälle mit täglicher Kontrolle durch den Tierhalter 1, 2.

Herdenbehandlung: Rinder mit nicht schmerzhaften M1-, M3-, M4- und M4.1-Stadien gilt es, im Melkstand durch regelmäßige Kontrolle im Zwei-Wochen-Intervall zu identifizieren 14, sodass man Vorbeugemaßnahmen ergreifen kann, um die Neuentwicklung akuter M2-Stadien zu verhindern 22. Dazu bieten sich für diese Indikation zugelassene Biozide an, für die keine Wartezeiten bestehen und die man daher bei Kalbinnen, trockenstehenden und laktierenden Kühen zur Prophylaxe einsetzen kann. Biozide werden entweder am Einzeltier lokal und zielgerichtet (mit Obstbaumspritze) im Melkstand appliziert, was v. a. bei kleineren Herden sinnvoll ist. Alternativ können sie in ­großen Herden auch als Klauenbad eingesetzt werden 16, wobei ein effektives Klauenbad eine optimale Breite von 0,6 m am Boden, schräg gestellte Seitenwände und eine Länge von 3,5 m aufweisen muss 23, 24.

Für DD-infizierte Herden muss de facto ein an die jeweilige Betriebssituation und an Perioden mit erhöhter Einwirkung von Risikofaktoren angepasstes Schema für Klauenbäder mit der passenden Mindestfrequenz und der korrekten Konzentration der Biozidlösung entworfen werden 22. Eine ausschließliche Anwendung von Klauenbädern in DD-infizierten Herden bleibt erfolglos; eine nachhaltige Reduktion der DD-Prävalenz tritt erst ein, wenn wesentliche im „Fünf-Punkte-Plan zur Kontrolle der DD“ 16 angeführte Maßnahmen zur Verbesserung der externen und internen Biosicherheit, des Kuhkomforts, der Früherkennung und raschen und konsequenten Therapie im Betrieb umgesetzt werden 8.

Eigene Beobachtungen in heimischen Betrieben sowie Studien 14, 19 belegen zudem, dass die intensive Schulung und Weiterbildung aller die Herde betreuenden Berufsgruppen im Themenfeld Klauengesundheit und DD ­fundamental sind, um nachhaltige Erfolge in der Verbesserung der Klauengesundheit und der Reduktion der DD-Prävalenz zu erzielen.

 

Literatur:

1 Kofler J. (2020a): Die Mortellaro-Krankheit im Griff – dank syste­matischer Prophylaxe und Therapie. Klauentierpraxis 28 (3): 89–97.
2 Kofler J. (2020b): Das „neue“ Gesicht der Mortellaro-Krankheit – Rinder leiden bis zu 12 Monate und länger an DD-assoziierten Klauenhornläsionen. Klauentierpraxis 28 (4): 145–157.
3 Döpfer D. et al. (1997): Histological and bacteriological evaluation of digital dermatitis in cattle, with special reference to spirochaetes and Campylobacter faecalis. Vet Rec 140: 620–623.
4 Refaai W. et al. (2013): Infectious diseases causing lameness in cattle with a main emphasis on digital dermatitis (Mortellaro disease). Live-stock Sci 156: 53–63.
5 Kofler J. et al. (2020a): ICAR Claw Health Atlas – Appendix 1 – Digital Dermatitis Stages (M-stages). Online at ICAR Webpage: www.icar.org/Documents/ICAR-Claw-Health-Atlas-Appendix-1-DD-stages-M-stages.pdf (Zugriff: 30. 8. 2021).
6 Kofler J. et al. (2020b): ICAR Claw Health Atlas – Appendix 2 – Digital Dermatitis-associated Claw Horn Lesions. Online at ICAR Webpage: www.icar.org/Documents/ICAR-Claw-Health-Atlas-Appendix-2-DD-associated-Claw-Horn-Lesions.pdf (Zugriff: 30. 8. 2021).

Die gesamte Literaturliste ist beim Autor erhältlich.


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