Dr. med. vet. Astrid Nagl
Ausgabe 06/2023
Dr. med. vet. Silvia Stadler, DACVO und Fachtierärztin für Pferde, beantwortet Fragen zum Thema Augenheilkunde, die uns im Praxisalltag beschäftigen.
Welche Augensalbe ist bei welchem Patienten indiziert? Was tun, wenn das Pferd bei der Ankaufsuntersuchung die Augen zusammenkneift? Ist eine feuchte Augenmaske wirklich hilfreich? Dr. med. vet. Silvia Stadler geht im Vetjournal-Interview auf diese und weitere Fragen im Detail ein.
Pferdebesitzer*innen zitieren oft den Satz: „In jede Hausapotheke gehört eine Gentamicin-Salbe“ – und wünschen sich eine entsprechende Verschreibung. Wann, wie oft und wie lange soll denn nun wirklich geschmiert werden?
Der Einsatz antibiotischer Augensalben muss kritisch hinterfragt werden. Wenn sie eingesetzt werden, dann in einem Zeitraum, der möglichst kurz ist, und in diesem dann oft, also etwa viermal täglich, fünf Tage lang; und nur dann, wenn wirklich eine Infektion vorliegt. Bei oberflächlichen Defekten verwende ich inzwischen nur mehr befeuchtende Medikamente, Hyaluronsäure und Ähnliches – ein Antibiotikum ist dafür nicht nötig. Auch kortisonhaltige Augensalben sollten nur für wenige Tage gegeben werden, langfristig ist ihr Einsatz nur bei Mondblindheit, also bei chronischer Uveitis, indiziert. Das muss aber kontrolliert und reevaluiert werden.
Bei welchen Rassen müssen wir auf Prädispositionen für Augenerkrankungen achten?
Häufig sehen wir Plattenepithelkarzinome beim Haflinger. Tiere mit dem Tigerschecken-Gen, Leopard Complex, sind häufig von Mondblindheit betroffen, also zum Beispiel Appaloosa, Knabstrupper oder British Spotted Pony. Die Prognose ist signifikant schlechter als bei anderen Rassen. Zu Beginn ist die Uveitis oft nicht schmerzhaft – wir sprechen von einer sogenannten „Insidious Uveitis“. Doch je früher die Krankheit diagnostiziert wird, desto mehr Zeit kann man gewinnen. Die bisher bekannten Therapien wie etwa Prednisolon-Injektionen in die Sklera wirken nur zeitlich begrenzt und können helfen, Schübe besser zu kontrollieren – aber das Pferd wird auf jeden Fall blind.
Die Augenuntersuchung im Rahmen der Ankaufsuntersuchung hat eine besondere Bedeutung und kann rechtliche Folgen haben, wenn bei einem Pferd nach dem Kauf Mondblindheit – Equine rezidivierende Uveitis, ERU – diagnostiziert wird. Wie können wir dieser Entwicklung in der Praxis vorbeugen?
In Deutschland kommt es inzwischen deshalb häufiger zu Klagen gegen Tierärzt*innen, weil diese die klinischen Befunde falsch interpretiert hätten. Am wichtigsten ist bei der Ankaufsuntersuchung eine gründliche Dokumentation. Veränderungen sollten genau beschrieben werden, also nicht einfach „o. b. B.“ ankreuzen! Das ist vor allem bei unklaren Fällen wichtig, wenn unspezifische Veränderungen vorliegen und eine eindeutige Interpretation dieser Veränderungen nicht möglich ist. Dann muss die Ankaufsuntersuchung abgebrochen und die Augenuntersuchung bei einer Spezialistin oder einem Spezialisten wiederholt werden. Aufgrund der möglichen rechtlichen Folgen ist auch eine Überbefundung von Fotos nicht sinnvoll.
Das heißt, die Diagnose ERU kann bei der Ankaufsuntersuchung gar nicht gestellt werden?
Bei einer akuten Symptomatik können Sie eine Miosis, also die Engstellung der Pupille, und eine hochgradige Schmerzhaftigkeit feststellen, aber da werden die Pferde nicht verkauft, sondern erst später. Bei der Ankaufsuntersuchung sehen Sie daher eher unspezifische Veränderungen, zum Beispiel Linsentrübungen oder Hyperpigmentation der Iris. Um hier eine Diagnose zu stellen und zwischen angeborenen und später aufgetretenen Veränderungen zu unterscheiden, ist eine Spaltlampe nötig.
Augenmasken werden stark beworben und als Lösung für verschiedene Probleme empfohlen. Was steckt dahinter – sind die Augenmasken empfehlenswert?
Bei konkreten Indikationen kann der Einsatz einer Augenmaske sinnvoll sein, zum Beispiel als UV-Schutz bei Depigmentierungen der Lider; jedoch nur, wenn die Sonne scheint, nicht im Stall. Auch bei einer hohen Fliegenbelastung kann eine Augenmaske hilfreich sein, denn die Fliegen können eine eosinophile Keratokonjunktivitis auslösen. Bei schmerzhaften Augenerkrankungen ist es hingegen besser, die Dosierung des Schmerzmittels zu erhöhen: Wenn ein Pferd reibt, braucht es Schmerzmittel, keine Augenmaske! Ich verwende sie dafür gar nicht mehr, vor allem empfehle ich keine Masken aus Plastik, diese sind innen feucht und warm – dadurch entsteht ein Milieu, das Bakterien- und Pilzwachstum fördert.
Die bakteriologische Untersuchung ist unauffällig, die Augen tränen weiter – welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es, wenn der Tränen-Nasenkanal verlegt ist?
Wird bei einem Fohlen eine Aplasie des Tränen-Nasen-kanals festgestellt, kann ein Katheter gesetzt werden, nach drei bis vier Wochen ist das Problem gelöst. Bei erwachsenen Pferden ist hingegen zur Abklärung eigentlich ein CT notwendig. Eine primäre bakteriell bedingte Konjunktivitis wird beim Pferd sehr selten diagnostiziert. Es muss also eine Verlegung oder Obstruktion ausgeschlossen werden. Auch Pollen können zum Beispiel die Schleimbildung verstärken. Der erste Schritt ist es, den Tränen-Nasenkanal von der Nase her zu spülen. Von mehrfachen Spülungen würde ich jedoch absehen, denn sie reizen das Gewebe. Die Patienten können mit dem obstruierten Tränen-Nasen-kanal langfristig gut leben, es ist eher ein kosmetisches Problem.
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf Augenheilkunde bei Pferden spezialisiert haben?
Der Enthusiasmus für die Pferde und das Reiten waren schon in der Kindheit immer da. Während des Studiums habe ich mich aber eher auf die Kleintiere konzentriert und mich erst im Internship wieder mehr für die Pferde interessiert. Durch meine Arbeit in einer Pferdeklinik wurde mir bewusst, dass ein Bedarf an Augentierärzt*innen besteht. Ich habe beschlossen, mich in der Ophthalmologie weiterzubilden, und eine Residency in Zürich bei Prof. Bernhard Spiess absolviert. In der Pferdeklinik Tillysburg haben wir jetzt eine neue Augenstation eröffnet: Diese ist für Pferde und Kleintiere gedacht – und für alle anderen Tiere, die eine Augentierärztin brauchen.
Gibt es Fälle, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
Ich mag die Vielfalt und behandle auch gerne Rinder und Ziegen oder Wildtiere, das macht Spaß! Der Fokus ändert sich, man lernt von allen Patienten etwas. Ein Zirkuselefant hatte zum Beispiel eine Katarakt mit Kalziumablagerungen in der Hornhaut. Die Therapie konnten wir unter Lokalanästhesie durchführen, weil er so perfekt gefolgt hat. Bei einem Okapi im Zoo Basel hat die geplante Narkose nicht ausreichend gewirkt; es wollte nicht schlafen. Trotzdem konnten wir es schließlich untersuchen. Es war eine längere Therapie erforderlich – am Schluss durfte ich ganz alleine zu ihm hinein, um das Auge mit der Spaltlampe anzuschauen.