Hinschauen,

lernen!

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Dr. Alexander Rabitsch, Facharzt für Kleintiere und gerichtlich beeideter Sachverständiger für Veterinärwesen, engagiert sich seit vielen Jahren für einen besseren Schutz unserer Haus- und Nutztiere. Besonders wichtig ist es ihm, die Transportbedingungen europaweit zu verbessern und auf Missstände aufmerksam zu machen.

Sowohl in der EU als auch in Österreich selbst gibt es Gesetze, die Tiertransporte tierschutzgerecht gestalten sollen. Warum besteht immer noch so ein großer Handlungsbedarf?
Es gibt die europäische Tiertransportverordnung seit 2005, aber Teile davon werden nicht umgesetzt. Wichtig ist zum Beispiel, welche Fahrzeuge zum Transport zugelassen werden: Bei den Autobahnkontrollen finde ich etwa zweimal pro Jahr eingeklemmte Tiere, aber wenn sich ein Tier einklemmen kann, ist das Fahrzeug ja fehlerhaft. Also besteht bei vielen Transporten die Möglichkeit, dass sich ein Tier einklemmt. Doch es geschieht häufig nichts, obwohl die gesetzlichen Möglichkeiten da wären; sie werden nicht umgesetzt. Als Experte vor Ort kann man nur darauf hinweisen. Zuständig für Tiertransporte sind die Amtstierärzt*innen in den Bezirkshauptmannschaften, aber es ist die Pflicht der Transportunternehmer*innen, die Fahrzeuge verordnungskonform auszustatten.

Bei Kälbertransporten wäre eine gute Routenplanung besonders wichtig …
Langstreckentransporte für nicht entwöhnte Kälber sind nicht tiergerecht. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, darüber zu sprechen. Die Kälber werden im Stall üblicherweise zweimal pro Tag gefüttert – das ist ja schon ein Unterschied zur Mutterkuhhaltung, wo sie bis zu zwölfmal am Tag trinken würden. Wenn man nun aber dieses Zwölf-Stunden-Intervall der Fütterung beim Transport auch noch verlängert und stattdessen bestenfalls Elektrolyte gibt, leiden die Kälber erheblich. Das ist ein europaweites Problem – zum Beispiel werden die Kälber von Irland mit der Fähre nach Frankreich und weiter nach Spanien transportiert. Dabei sind sie 19 Stunden auf der Fähre und die Fahrer*innen können während der Reise gar nicht in den Laderaum, um sie zu versorgen.

Sie lehren auch an der Vetmeduni und möchten die Studierenden an das Thema Tierschutz heranführen. Was sollen sich die Studierenden für ihr Berufsleben vor allem mitnehmen?
Hinschauen, lernen! Nachdenken! Studierende kann man kaum darauf vorbereiten, was für Fälle da auf sie zukommen, das sieht man erst in der Praxis. Aber man kann die Wahrnehmung schulen, die Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Tiere lenken, man kann Dinge hinterfragen. Schweine zum Beispiel hört man schreien, wenn sie sich unwohl und bedroht fühlen oder verletzt sind.

Stierkälber und Ziegenböcklein aus der Milchproduktion gelten in Europa immer noch vielfach als wertlos …
Ja, sie werden in manchen Fällen medizinisch unterversorgt oder gar routinemäßig getötet. Auch bei Versicherungen gab es Probleme, da man das Ableben der Tiere versichern lassen kann. Die Schadensmeldungen über Todesfälle sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Auf Rückfrage wurde festgestellt, dass die Meldungen in erster Linie männliche Tiere betrafen.

Viele Rinderpraktiker*innen berichten von einem Wandel hin zu mehr Tierwohl, einer Bewusstseinsbildung bei den Landwirt*innen.
Hier sehe auch ich viel Positives. Die Haltung der Rinder in dunklen Ställen und die Anbindehaltung – das ist in Österreich fast vorbei. Das gesamtgesellschaftliche Interesse geht in Richtung Tierwohl, wir wünschen uns mehr Ethik in der Tierhaltung. Die wirtschaftlichen Partikularinteressen verschiedener Interessenverbände stehen dem jedoch im Weg. In einem Gutachten für die deutsche Bundesregierung1 wurde schon 2015 festgestellt: Die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere sind nicht zukunftsfähig.

Trotzdem gibt es immer noch Schnitzelwettessen und Fischstäbchen – verlieren wir den Bezug zum Tier als Quelle unserer Nahrung?
Ja, das ist ein Grundübel: „Wir essen zwar sehr viel Fleisch, aber keine Tiere mehr“, Zitat Bernhard Kathan.  Die Produktion wird von den Konsument*innen abgekapselt. Dabei könnte die Politik hier viel bewirken: Die Förderungen sind ein Hebel, wo man leicht ansetzen könnte. Wir als Gesellschaft müssen entscheiden: Welche Art der Tierhaltung soll mit unseren Steuern und mit den EU-Geldern gefördert werden?

Was können wir als praktizierende Tierärzt*innen tun, wenn wir mit Tierschutzfällen konfrontiert werden?
Sich einlesen, sich informieren, nicht wegschauen! Tierschutzfälle bei der Bezirkshauptmannschaft melden, also bei der oder dem zuständigen Amtstierärzt*in.

Ist Tierschutz eine Belastung für die Kolleg*innen im Alltag?
Aber ja! Auch Bedrohungen hat es schon gegeben, wenn etwa Missstände angezeigt wurden. Das kann bis zum -Suizid gehen. Umso wichtiger ist es, gezielt vorzugehen. Die Meldung sollte man in heiklen Fällen am besten gleichzeitig an mehrere Stellen schicken und das auch vermerken, also dazuschreiben: Dieses Schreiben ergeht nachrichtlich an die Bezirkshauptmannschaft, die Polizei und an die Tierschutzombudsstelle.

1 „Die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere sind nicht zukunftsfähig“: aus „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“. Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Deutschland, 2015.

Weiterführende Literatur
Diehl, E., Tuider, J. (Hrsg.): Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, 2019.


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