Cauda-Equina-Syndrom

bei Hunden und Katzen

Bettina Kristof

Die Kompression der spinalen Nerven am Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein wird als Cauda-equina-Syndrom bezeichnet und stellt eine häufige Ursache für Schmerzhaftigkeit bei älteren Hunden dar.

Das Cauda-equina-Syndrom kann sowohl bei Hunden als auch bei Katzen auftreten und zu ausgeprägten ­Schmerzen bis hin zu neurologischen Ausfällen führen. Dr. Martin Riegler, Fachtierarzt für Kleintiere in der Tierklinik Sattledt und auf die Bereiche Chirurgie, Orthopädie und Neurologie spezialisiert, verriet uns in einem Interview Näheres über die degenerative lumbosakrale Stenose.

Herr Doktor Riegler, was genau ist das Cauda-equina-Syndrom?
Das Cauda-equina-Syndrom ist ein Krankheitsbild, das durch die Kompression der Spinalnerven im Bereich des lumbosakralen Übergangs verursacht wird. Die Folge sind akute oder chronische Schmerzen im Bereich des unteren Rückens und der Hinterbeine. Häufig treten auch mehr oder weniger starke Lähmungserscheinungen auf.

Der Begriff Cauda equina beschreibt die im Wirbelkanal verlaufenden Spinalnerven am Ende des Rückenmarks und bedeutet übersetzt „Pferdeschwanz“, da die Nerven von dorsal betrachtet diesem ähneln. Dass im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule nur mehr Spinalnerven verlaufen, liegt am Aufstieg des Rückenmarks durch das unterschiedliche Wachstum der Wirbelsäule im Verhältnis zum ­Rückenmark. Während bei großen Hunden das Rückenmark beim vierten Lendenwirbel endet, reicht es bei kleinen Hunden und Katzen bis zum letzten Lendenwirbel.

Welche Kleintiere sind vom Cauda-equina-Syndrom besonders betroffen?
Grundsätzlich können alle Hunde und Katzen etwa durch einen Bandscheibenvorfall Einengungen in der kaudalen Lendenwirbelsäule entwickeln. Speziell anfällig dafür sind jedoch größere Hunderassen; in der Literatur werden besonders der Deutsche Schäferhund und Retriever-Rassen angeführt. Nachdem es sich beim Cauda-equina-­Syndrom um eine degenerative Erkrankung handelt, sind vor allem ältere Patienten davon betroffen. Das Krankheitsbild entspricht beim Menschen dem klassischen Bandscheibenvorfall im unteren Lendenwirbelbereich mit einer eventuell einhergehenden Ischalgie.

Tritt diese Erkrankung häufig auf?
Radiologisch sehen wir bei älteren Tieren häufig Veränderungen in der lumbosakralen Region, diese sind aber nicht immer symptomatisch. Ob das Tier Schmerzen hat, hängt auch davon ab, wie schlimm die Veränderungen sind, wie sensibel das Tier ist und wie stark die Belastungen sind. In einer Studie wird die Prävalenz für die degenerative lumbosakrale Stenose bei Deutschen Schäferhunden mit sieben Prozent angegeben.

Was sind die Ursachen für die Entstehung dieser Erkrankung?
Durch Überlastung oder Instabilität im Bereich des lumbosakralen Übergangs kann es zu typischen pathologischen Veränderungen kommen. Häufig treten dabei Bandscheibenvorfälle und Spondylosen auf. Bei einer Foraminalstenose führen knöcherne oder bindegewebige Zubildungen zur Einengung des Nervenaustrittslochs und damit zu einem Einschnüren des an dieser Stelle austretenden Spinal­nervs. Weiters können sich die Weichteilstrukturen wie Bänder oder Gelenkskapseln der Zwischenwirbelgelenke verdicken. Die Symptome entstehen durch die Summe der Veränderungen und die damit einhergehende Einengung der Nerven. Durch die Lokalisation ist speziell der Nervus ischiadicus betroffen, sodass die Symptome der Ischalgie des Menschen ähneln. In besonders schweren Fällen können auch die Nerven für die Kontrolle des Kot- und Harnabsatzes betroffen sein. Es gibt auch angeborene Ursachen wie Übergangswirbel oder ein zu langes Wirbeldach des ersten Sakralwirbels, die für diese Erkrankung prädisponieren können.

Was sind die typischen Symptome?
Das Leitsymptom ist der lumbosakrale Schmerz, der bis in die Beine ausstrahlen kann. Dieser tritt besonders dann auf, wenn die Wirbelsäule oder die Hüften gestreckt werden, weil es dadurch zu einer Einengung des Wirbel­kanals und der Neuroforamina kommt. So treten Symptome besonders beim Treppensteigen oder Springen auf; erst wenn die Erkrankung weiter fortgeschritten ist, kommt es zu Nervenausfällen. Typisch sind eine Paraparese der Hinterbeine, ein Sensibilitätsverlust mit Zehenschleifen oder in sehr weit fortgeschrittenen Fällen eine Harn- und Kotinkontinenz. Eine Besonderheit stellt ein Nerven­wurzelzeichen dar, sodass durch Druck auf eine Nervenwurzel der Schmerz in den betroffenen Fuß ausstrahlen kann und sich wie eine Lahmheit darstellt.

Wie wird das Cauda-equina-Syndrom diagnostiziert?
Wenn ein Hund typische chronische Symptome zeigt, kann man den Verdacht auf eine lumbosakrale Stenose äußern. Neben der allgemeinen Untersuchung ist eine entsprechende orthopädische und neurologische Untersuchung wichtig. Typisch sind dabei ein Druckschmerz in der hinteren Lendenwirbelsäule, Schmerzen bei der Hüftstreckung, eine Muskelatrophie im unteren Rücken oder in den Hinterbeinen. Neurologisch ist ein propriozeptives Defizit häufig, also ein Sensibilitätsverlust an der Hinterextremität. Außerdem kann der Flexorreflex vermindert sein, und eine Besonderheit ist, dass ­gleichzeitig der Patellarreflex gesteigert ist. Man spricht dann von einer Pseudohyperreflexie. Die weitere Diagnosefindung erfolgt mittels bildgebender Verfahren. Breit zugänglich ist das Röntgen – dabei können degenerative Veränderungen am lumbosakralen Übergang dargestellt werden. Das Ergebnis hängt jedoch stark von der ­Aufnahmetechnik sowie der Lagerung des Patienten ab; nicht alle Pathologien sind dabei ersichtlich. Weiters entspricht ein Röntgen­bild alleine nicht dem Schmerzempfinden des Tiers. Mithilfe eines Röntgenbilds kann man jedoch etwaige Differenzialdiagnosen wie eine Hüftgelenksdysplasie ausschließen. Sofern von der Klinik oder im Röntgenbild eine Problematik im Wirbelkanal vermutet wird, ist ein CT oder MRT zu empfehlen. Erst so kann man die diversen Veränderungen definitiv feststellen und eine entsprechende Therapie planen. Anders ausgedrückt: Ein Röntgenbild lässt vermuten, ein ­Schnittbildverfahren gibt Sicherheit. CT und MRT sind übrigens laut einer Studie bei pathologischen Befunden im Bereich des lumbosakralen Übergangs ziemlich übereinstimmend.

Kann das Cauda-equina-Syndrom mit anderen Krankheiten verwechselt werden?
Einige Differenzialdiagnosen können ein sehr ähnliches Krankheitsbild aufweisen. Orthopädisch sind die Symptome bei einer Hüftgelenksdysplasie oder einem beidseitigen Kreuzbandriss sehr ähnlich. Hier ist das Röntgen besonders gut geeignet, um diese auszuschließen oder gar multiple Problemstellen aufzuzeigen. Unter den neuro­logischen Erkrankungen kann das Cauda-equina-­Syndrom leicht mit einer degenerativen Myelopathie verwechselt werden. Beide Erkrankungen führen zu langsam fortschreitenden Nervenausfällen, die ein ähnlich ataktisches oder paretisches Gangbild hervorrufen. Die degenerative Myelopathie ist laut Definition allerdings nicht schmerzhaft und kann durch eine Blutabnahme mittels Gentest festgestellt werden. Auch weiter kranial liegende Bandscheibenvorfälle können zu Schmerzen und neurologischen Ausfällen führen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Wenn der Hund oder die Katze leichte oder nur gelegentlich auftretende Symptome und keine deutlichen neurologischen Ausfälle hat, ist ein konservatives Vorgehen indiziert. Bei akuten Schmerzen schont man das Tier und gibt Schmerzmittel wie Entzündungshemmer oder Opioide. Als Akuttherapie ist auch die epidurale Infiltration der Spinalnerven mit Cortison möglich. Sind die Schmerzen chronisch, was aufgrund des progressiven Verlaufs häufig eintritt, wird oftmals auch eine Dauertherapie notwendig. Hierfür setzen wir häufig Gabapentin und ­versuchsweise CBD-Tropfen ein. Ein neuer innovativer Therapieansatz ist der monoklonale Antikörper Bedinvetmab, der besonders bei osteoarthrosebedingten Schmerzen helfen soll. Wir sammeln gerade in einer klinikinternen Studie unsere Erfahrungen mit diesem Präparat. Einen großen Stellenwert nimmt auch eine gezielte Physiotherapie ein, die beim Menschen oft die Grundlage bei ähnlicher Problematik darstellt. Gezieltem Muskelaufbau mittels spezieller Übungen, dem Unterwasserlaufband und der Entspannung der verkrampften Rückenmuskulatur kommt dabei große Bedeutung zu. Auch diverse alter­native Behandlungsansätze sind ergänzend möglich.

In welchen Fällen sind operative Methoden anzuraten?
Wenn die konservative Therapie nicht ausreicht, also bei starken, wiederholt auftretenden Schmerzen und bei deutlichen neurologischen Ausfällen. Eine Operation kann auch bei bestimmten akuten Pathologien empfehlenswert sein, sofern diese durch eine Operation weitgehend behoben werden können. Dazu zählen etwa ein akuter lateraler Bandscheibenvorfall in das Neuroforamen oder ein zu langes Wirbeldach des ersten Kreuzbeinwirbels.

Ziel einer Operation ist die Dekompression der statisch oder dynamisch eingeklemmten Nerven. Die Standardeingriffe hierfür sind je nach ­Pathologie die dorsale ­Laminektomie und die Foraminotomie. Bei der Foraminotomie wird das Neuroforamen nach cranial erweitert, damit der Spinalnerv nicht durch die knöchernen oder bindegewebigen Zubildungen bei Streckung der Wirbel­säule eingeklemmt wird. Bei der dorsalen Laminektomie wird das Wirbeldach von oben aufgefräst, sodass die Band­scheibe die Spinalnerven nicht mehr dagegen­drücken kann. Wenn die Bandscheibe stark protrahiert ist, kann die Vorwölbung auch teilweise entfernt werden. Bei einer schweren Instabilität kann etwa mittels Verplattung der lumbo­sakrale Übergang stabilisiert werden. Ein neuerer Ansatz ist die lumbosakrale Distraktion, bei der ein Implantat in den Zwischenwirbelspalt eingesetzt und dadurch der Abstand vom lumbosakralen Gelenk erweitert wird.

Wie sieht die Prognose bei der Behandlung des ­Cauda-equina-Syndroms aus?
Es handelt sich dabei um eine progressive Erkrankung, die sich generell mit dem Alter verschlechtert. Bei den meisten Patienten reicht die konservative Therapie für eine gute Lebensqualität aus. Bei Patienten mit starken Schmerzen und geringen bis mittelgradigen neurologischen Ausfällen kann durch eine OP oft bereits kurz nach dem Eingriff eine wesentliche Verbesserung erreicht werden – wobei dies immer von der vorliegenden Pathologie abhängt. Bei starken neurologischen Ausfällen ist die Prognose mittelmäßig bis vorsichtig, denn es kann sein, dass auch nach einer gelungenen OP keine große Besserung eintritt, weil sich die geschädigten Nerven nicht mehr ausreichend regenerieren. Die Schmerzen können aber in den meisten Fällen deutlich reduziert werden.

Worauf sollten Tierhalter achten?
Treten typische Symptome wie Schmerzen im unteren ­Rücken und den Hinterbeinen oder ein wackeliges Gangbild mit Zehenschleifen auf, sollte das Tier beim Tierarzt vorstellig werden, damit eine Diagnose gestellt und das weitere Vorgehen besprochen werden kann.


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