Chiropraktik

beim Hund

Dr. Petra Peer und Dr. Ilse Frühwirth
Chiropraktikerinnen für (Sport-)Hunde und Pferde

Die Tierchiropraktik ersetzt die traditionelle Veterinärmedizin nicht, bietet jedoch unter anderem bei der Diagnose und Behandlung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule eine sinn­volle Ergänzung zur Schul­medizin. Diese Disziplin ist in Österreich ausschließlich TierärztInnen vorbehalten.

 
Was ist Chiropraktik?

Chiropraktik ist die Wissenschaft, ärztliche Kunst und Philosophie, die die Gesundheit des Körpers durch Untersuchung und Behandlung des Nerven-Muskel-Systems ohne Medikamente und chirurgische Eingriffe wiederherstellt bzw. erhält. Im Mittelpunkt steht das Auffinden und Auflösen/Beheben von sogenannten „Subluxations-komplexen“ oder „Blockaden“ im Bereich von Gelenken.

Tierchiropraktik ersetzt die traditionelle Veterinärmedizin nicht, bietet jedoch insbesondere bei der Diagnose und Behandlung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule sowie bei vielen akuten und chronischen Schmerzzuständen mechanischen Ursprungs eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin. Chiropraktik ist eine manuelle Behandlungsmethode, die bei vielen Gesundheits- und Leistungsproblemen Einsatz findet.

Tierchiropraktik darf in Österreich nur von Tierärzten ausgeführt werden, die eine spezielle Ausbildung absolviert haben. Derzeit gibt es weltweit vier von der IVCA (International Veterinary Chiropractic Association), der Internationalen Tierchiropraktiker-Vereinigung, anerkannte Schulen, die diese Ausbildung anbieten. Dass in Österreich nur Tierärzte chiropraktische Untersuchungen und Behandlungen durchführen dürfen, gewährleistet, dass alle Aspekte der Veterinärmedizin einfließen und das Tier bestmöglich behandelt werden kann.

Die Wirbelsäule

Die Wirbelsäule des Hundes besteht aus sieben Hals-, dreizehn Brust-, sieben Lenden-, drei zum Kreuzbein verwachsenen Kreuzwirbeln und je nach Rasse unterschiedlich vielen Schwanzwirbeln. Die einzelnen Wirbel sind durch Gelenke miteinander verbunden (man zählt an der Wirbelsäule des Hundes ca. 200 Gelenke) und werden durch eine Vielzahl von Bändern unterstützt. Die Wirbelsäule bildet eine sehr komplexe Struktur aus Knochen, Bändern und Muskeln. Sie umgibt und schützt einen wichtigen Teil des Nervensystems: das Rückenmark.

Was ist eine Blockade und was bewirkt sie?

Chiropraktiker verstehen unter einer Blockade die funktionelle Fehlstellung eines Wirbels bzw. die Bewegungs-einschränkung eines oder mehrerer Zwischenwirbel-gelenke – damit geht die optimale Funktion der Wirbelsäule verloren. Die damit in Zusammenhang stehenden Muskelverspannungen sind als Verhärtungen rechts und links der Wirbelsäule spürbar.

Vom Rückenmark zweigen paarige Nervenbahnen ab. Diese Spinalnerven verlassen den Wirbelkanal durch Austrittsöffnungen, die durch zwei aufeinander folgende Wirbel gebildet werden (sogenannte Intervertebrale Foramen, IVF). Diese Nerven übertragen Informationen zwischen Gehirn und Organen, Muskeln, Haut und anderen Teilen des Körpers in beide Richtungen. Da das zentrale Nervensystem alle Organe und Gewebe überwacht und steuert, muss der ungestörte Informationstransport in beide Richtungen gewährleistet sein, um alle Körperfunktionen optimal aufrechtzuerhalten. Eine Blockade kann sich auf die Nervenstränge, die zwischen zwei Wirbeln aus dem Rückenmark austreten, auswirken. Eine Beeinträchtigung der Nervenfunktion kann die Reizleitung, die für die Koordination der Körperfunktionen und Muskelkontraktionen notwendig ist, negativ beeinflussen. 

Jede Bewegung – vom leichten Zucken der Lefzen bis zum Luftsprung beim Fangen eines Balls – wird durch die Synchronisation vieler Muskeln ermöglicht. Wenn die Nervenfasern, die diese Muskeln innervieren, in ihrer Funktion gestört sind, bricht die Koordination zusammen. Kleine Störungen werden meist nur eine geringfügige Beeinträchtigung verursachen, können jedoch bewirken, dass der Hund nicht seine volle Leistung erbringen kann. Fehltritte in Folge mangelnder Koordination können dazu führen, dass weitere Gelenke und Sehnen oder Bänder am Bein verletzt werden.

Bei Blockaden versucht der Hund, die fehlende Flexibilität der Wirbelsäule zu kompensieren, indem er seine Bewegungen und die Körperhaltung verändert, um Schmerzen zu vermeiden. Dadurch werden andere Teile der Wirbelsäule oder die Gliedmaßen vermehrt belastet. Sekundär können so weitere Blockaden und eine Verschlimmerung des Zustandes hervorgerufen werden.

Wie äußert sich eine Blockade?

Das häufigste Symptom einer Blockade ist der Schmerz.Allerdings steht am Beginn oftmals keine akute Schmerzäußerung seitens des Hundes. Dem Besitzer fällt beispielsweise bei Arbeitshunden eine Verschlechterung der Leistung auf, ohne dass dafür medizinische Ursachen gefunden werden. Viele Tiere bewegen sich in Schonhaltung, haben einen steifen, gebundenen Gang mit mangelnder Koordination. Passgang ist ein Hinweis auf Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparats. Hunde, die aufgrund einer Problematik im Bereich des Rückens oder der Hüfte ihre Zehen schleifen, zeigen unterschiedlich stark abgenützte Krallen. Viele Hunde äußern Schwierigkeiten oder Schmerzen beim Aufstehen – manche „gehen sich dann nach einigen Schritten ein“. 

Besteht die Problematik schon längere Zeit, kann die Muskulatur an bestimmten Stellen atrophieren, also weniger werden. Es empfiehlt sich für den Besitzer, den Hund regelmäßig bewusst auf etwaige Asymmetrien der Muskulatur abzutasten. Andere Hunde wiederum werden durch ungewöhnlichen Juckreiz an bestimmten Körperstellen auffällig. Mögliche Symptome sind weiters Schwierigkeiten beim Springen ins Auto oder beim Treppensteigen, Berührungsempfindlichkeit an bestimmten Körperstellen bis hin zu Verhaltensänderungen etc.

Wie kann eine Blockade entstehen?

Der Chiropraktiker spricht von drei großen Ursachen für Blockaden: Trauma, Toxine und Stress. Zu einer Blockade kann etwa ein großes Trauma wie ein Autounfall führen. Weit häufiger sind es jedoch die vielen kleinen alltäg-lichen Traumen, die sich summieren und letztendlich in einer Blockade enden: Das erste Trauma im Leben stellt die Geburt dar; beim Junghund ist zu beachten, dass wiederholtes Ausrutschen auf glatten Böden besonders viele Schäden am wachsenden Bewegungsapparat verursachen kann. Daher sollte man dem jungen Hund (ebenso wie dem erwachsenen Hund) möglichst rutschfeste Böden bieten – durch das Auflegen von Antirutschmatten, geeigneten Teppichen usw.

 

Bewegungsmangel und Übergewicht – Couch-Potatos gibt es nicht nur bei uns Zweibeinern! – sind oft an der Entstehung von Blockaden ursächlich beteiligt. 

Andererseits kann es auch durch die hohen Anforderun­gen im Leistungssport zu Block­aden kommen, oder auch durch die täglichen Anforderungen an den Haushund: oftmaliges Aus- und Einsteigen ins Auto, lange Autofahrten auf weichen, schiefen Rückbänken, schlecht sitzendes Geschirr, ungeeignete Schlafplätze…

Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, sind beispielsweise der Körperbau (Tiere mit langem Rücken und kurzen Beinen sind naturgemäß anfälliger) und das Alter (mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Blockaden). Zu bedenken ist auch, dass in einer Narkose durch die Relaxation der Muskulatur der Schutzmechanismus dieser wegfällt (ein Gelenk wird zum Großteil durch die Muskulatur stabilisiert und nicht durch Bänder und Sehnen) – daher ist es nach einer Narkose besonders sinnvoll, den Hund chiropraktisch zu behandeln. Schließlich kann jede subklinische und klinische Lahmheit (z. B. bei einem Kreuzbandriss) zu einer Blockade im Bereich der Wirbelsäule führen. Auch falsche Ernährung oder psychischer Stress sind mögliche Auslöser.

Wie kann der Chiropraktiker eine Blockade lösen?

Die Korrektur der Blockade, auch Justierung genannt, erfolgt durch einen sehr schnellen, kurzen Stoß in Richtung der Gelenksflächen, direkt am entsprechenden Wirbel. Dies erfordert eine genaue Kenntnis der anatomischen Gegebenheiten – der Chiropraktiker führt die Justierung an einem jeweils genau vorgegebenen Knochenpunkt in einer durch die Stellung der Gelenksflächen definierten Richtung aus. Die sehr schnelle und mit wenig Kraft ausgeführte Behandlung bewegt das betroffene Gelenk im physiologischen Bereich, ohne die anatomischen Grenzen zu überschreiten. Sie wird an den (in der Untersuchung gefundenen) blockierten Wirbeln direkt ausgeführt. Es wird nur das jeweils blockierte Gelenk behandelt. Die Chiropraktik ist somit eine sehr sanfte und sehr spezifische sowie sichere Methode. 

Welche Einsatzmöglichkeiten für Chiropraktik gibt es?

Alle Blockaden im Bereich der Extremitäten, der Rippen, des Kiefergelenks und der Wirbelsäule (siehe oben) sind chiropraktisch zu lösen. Zusätzlich können Tiere mit klinisch abgeklärten und behandelten Lahmheiten und Arthrosen unterstützend chiropraktisch behandelt werden. Chiropraktik stellt eine wichtige Ergänzung zur Physiotherapie dar. Nach jeder Vollnarkose empfiehlt es sich, das Tier chiropraktisch zu untersuchen bzw. zu behandeln. Auch zur Therapie von Inkontinenz ist Chiropraktik vielversprechend, wenn diese auf Blockaden im Bereich des Kreuzbeins oder des zweiten Lendenwirbels zurückzuführen ist. Andere Einsatzgebiete sind die Leistungs­optimierung bei Sport- und Arbeitshunden, die Begleitung von geriatrischen Patienten und das Cauda-­equina-Syndrom. Sehr gute Erfolge lassen sich bei der Behandlung der HD erzielen: Ein Pfeiler in der Therapie ist die Begleitung beim Junghund, wenn festgestellt wurde, dass Hüftgelenkspfanne und Oberschenkelkopf nicht optimal gebaut sind. Hier sind wiederholte chiropraktische Behandlungen in relativ kurzen Abständen, kombiniert mit Gymnastik, sinnvoll. Auch beim erwachsenen Hund mit HD-Problematik lässt sich die Funktionalität des Hüftgelenks durch regelmäßige chiropraktische Behandlung und gezielten Muskelaufbau möglichst lange erhalten.

Wo sind die Grenzen der Chiropraktik?

Vom Chiropraktiker nicht angetastet werden: Frakturen, Neoplasien, Tiere mit akuten Infektionen und Stoffwechselstörungen, strukturelle Defekte wie Missbildungen, Gelenkserkrankungen, denen keine mechanischen Ursachen zugrunde liegen, und Weichteilerkrankungen im akuten Stadium.

Wie sieht der Ablauf der Untersuchung und der Behandlung aus?

Am Anfang der Untersuchung steht ein möglichst genau erhobener Vorbericht, der den Beginn der Erkrankung, die genaue Symptomatik, den Verlauf und andere krank machende Faktoren berücksichtigt.

 Dann folgt die Adspektion im Stand: Welche Haltung nimmt der Hund ein? Steht er mit aufgewölbtem Rücken bei gesenktem Kopf da, wird eine Extremität entlastet …? Anschließend wird der Hund zur Ganganalyse im Schritt und eventuell im Trab vorgeführt – hieraus ergeben sich für das geschulte Auge schon wichtige Hinweise auf mögliche Probleme im Bereich des Bewegungsapparats. Dann befühlt der Chiropraktiker die Muskulatur und tastbare Knochenpunkte (statische Palpation). Wenn sich Verdachtsmomente auf etwaige andere Erkrankungen ergeben, wird der Chiropraktiker zur weiterführenden Diagnostik überweisen: Röntgen, neurologische Untersuchung, Labor etc. 

Die chiropraktische Untersuchung findet beim großen Hund am Boden, beim kleinen eventuell am Tisch mit einer rutschfesten Unterlage statt. Der Chiropraktiker tastet jedes Gelenk durch, bringt es auf Spannung und testet den jeweiligen Bewegungsspielraum. Behandelt werden nur jene Gelenke, die in der Unter­suchung mangelnde Beweglichkeit gezeigt haben.

Die chiropraktische Behandlung geht ohne Sedierung vonstatten. Meist steht der Besitzer am Kopfende des Hundes und hält ihn. Für die Justierung des Gelenks ist es notwendig, dass der Chiropraktiker den Hund sicher und gut stabilisiert. Das Ganze findet in entspannter Atmosphäre statt.

Direkt im Anschluss an die Behandlung soll der Patient spazieren gehen. Für eine Woche ist Schonung angesagt: kein Spiel, kein Training, kein Stop-and-go. In den ersten Tagen nach der Behandlung hat der Hund möglicherweise einen Muskelkater, der sich schnell legt. In der ersten Woche wird empfohlen, zweimal täglich ca. eine halbe Stunde spazieren zu gehen. Unterstützend sollte der Besitzer zu Hause Dehnungsübungen und Gymnastik durchführen, wie es ihm vom Chiropraktiker erklärt und gezeigt wurde. Nach einem gängigen Behandlungsschema findet die zweite Behandlung ein bis zwei Wochen später statt. Jetzt darf auch wieder mit leichtem Training begonnen werden. Die dritte Behandlung wird ca. ein bis zwei Wochen nach der zweiten angesetzt – jetzt wird wieder das normale Training aufgenommen. Kontrolle kann man vier Wochen später ansetzen, wobei das Behandlungsschema natürlich immer individuell auf den jeweiligen Patienten abzustimmen ist.

Wie oft wird behandelt?

Je länger die Blockaden bestanden haben, desto länger dauert die Heilung. Nachdem die korrekte Nervenfunktion durch die chiropraktische Behandlung wiederhergestellt wurde, benötigt der Körper einige Zeit zur Regeneration. Der Körper hat die Tendenz, in einen schon lange bestehenden Zustand zurückzukehren, auch wenn es sich um eine Fehlstellung gehandelt hat – daher sind in chronischen Fällen anfangs meist einige Behandlungen hintereinander notwendig, während bei akuten Fällen oft eine oder zwei Behandlungen ausreichen.

Um sicherzugehen, dass sich die Wirbelsäule und damit das Nervensystem in optimaler Kondition befinden, empfiehlt sich bei jungen und augenscheinlich gesunden Tieren eine jährliche chiropraktische Kontrolluntersuchung. Arbeits- und Sporthunde und ältere Tiere sollten in kürzeren Abständen untersucht werden. Der Tierbesitzer kann wesentlich zur bestmöglichen Gesunderhaltung bzw. Heilung beitragen, indem er die empfohlenen Übungen durchführt, die vorgeschlagenen Schonzeiten einhält und insgesamt die Faktoren optimiert. Dazu gehören beispielsweise die Vermeidung von Stress, das Benützen von Auto-Einstieghilfen, korrektes Anpassen des Brustgeschirrs, das Kurzhalten der Krallen (zu lange Krallen können sich negativ auf die Bewegung und Haltung des Hundes auswirken), vernünftiges Training mit angemessenen Aufwärmzeiten und möglichst kurzzeitiges Anwenden von Hilfsmitteln wie Gentle Leader oder Halti, damit sich Nacken- und Rückenmuskulatur wieder entspannen ­können.

 
INTERVIEW MIT DR. PETRA PEER

 

Frau Dr. Peer, Sie sind Fachtierärztin für Chiropraktik – was fasziniert Sie persönlich an der Chiropraktik und weshalb haben Sie sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert?
Mich überzeugte im Jahr 1999 die Behandlung meiner Schlittenhunde durch eine amerikanische Veterinärchiropraktikerin vollends: Es zeigte sich eine deutliche Leistungssteigerung bei den Rennhunden und eine Verbesserung des Allgemeinbefindens bei meinen alten Hunden; der NSAR-Einsatz bei Lahmheiten konnte reduziert werden. Daher wollte ich selbst die Ausbildung machen. Nach so vielen Jahren der Ausübung freuen mich die überzeugenden Ergebnisse immer wieder aufs Neue und ich bin froh, mich für diesen Weg entschieden zu haben.

Für welche Tierarten eignen sich chiropraktische Untersuchungen?
Jedes Tier, das eine Wirbelsäule besitzt, profitiert von einer chiropraktischen Untersuchung und Behandlung. Meine Hauptklientel besteht aus Hunden, Katzen und Pferden, ich habe aber auch viele Kaninchen, Hasen, einige Meerschweinchen, Kühe, Schafe und drei Wallabys behandelt.

Wie läuft eine chiropraktische Untersuchung idealerweise ab – und kann sie auch vorbeugend eingesetzt werden?
Ja, vorbeugend wird jedes Tier idealerweise ein- bis zweimal im Jahr routinemäßig untersucht, um vorhandene Blockaden rechtzeitig zu diagnostizieren und zu lösen. Diese sind oft schon viel früher manifest, als sie sich klinisch in Form von Bewegungsstörungen zeigen.

Welche neuen chiropraktischen Erkenntnisse gab es in letzter Zeit?
Laufend werden Studien bei Menschen und Tieren gemacht, besonders im amerikanischen und australischen Raum. Durch neue Technologien werden die Auswirkungen der chiropraktischen Behandlung auf das Nervensystem und den Körper im Allgemeinen immer genauer erforscht und belegt.