Voller Tatendrang

und trotzdem krank

Tierärztin Tanja Warter

Viele Katzenbesitzer denken an einen zweiten Frühling, wenn das Samtpfötchen in gehobenem Alter auffallend aktiv wird – doch dies ist typisch für Hyperthyreose.

Der Fallbericht: Maria W. wundert sich monatelang über ihre Katze Stella. Seit die schnurrende Hausbewohnerin neun Jahre alt geworden ist, ist sie extrem agil und lebendig. ­Maria W. bezeichnet Stella anfangs als außerordentlich lebenslustig und fröhlich für ihr Alter, doch schon wenige Wochen später wendet sich das Blatt: Stella wird reizbar und aggressiv, wirkt nervös und schreckhaft. Sie entwickelt Heißhunger und stürzt sich bei jeder Gelegenheit auf den Futternapf. Maria W. füttert mehr, aber Stella nimmt trotzdem ab. Das ist der Grund für den Besuch beim Tierarzt.
Mit Berichten wie diesem kommen Besitzer von Katzen mit Hyperthyreose typischerweise in die Praxis. Seit 1979 erstmals wissenschaftlich über das Krankheitsbild ­berichtet wurde, nimmt die Zahl der betroffenen Katzen stetig zu. In 98 Prozent der Fälle steckt ein Adenom dahinter, nur in sehr seltenen Fällen kann es sich auch um ein Karzinom handeln.

Weitverbreitete Erkrankung

Heute ist Hyperthyreose die häufigste hormonelle Erkrankung bei Katzen ab dem achten Lebensjahr. Untersuchungen zufolge sollen etwa zwölf Prozent der Tiere betroffen sein. Warum die Schilddrüse der Katze so oft krankhaft verändert ist, konnte bislang noch nicht geklärt werden. Im Verdacht stehen bestimmte Umweltfaktoren, beispielsweise per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS). Diese hochfluorierten Industriechemikalien, die eine Gruppe von etwa 4.700 Substanzen umfassen, kommen unter anderem als Schutz­beschichtung in Teppichen, Möbeln oder auch Kleidung vor, denn sie sind fett- und wasserabweisend zugleich. Außerdem sind sie sehr langlebig und stabil – und laut Bundesumweltamt oft toxisch.

In den USA wurden 43 über zehn Jahre alte Katzen fünf Jahre lang auf PFAS untersucht. Gemessen wurde der PFAS-Wert im Serum. Das Ergebnis laut dem Studienleiter: Die Werte bei den Katzen seien signifikant höher als beim Menschen gewesen, der PFAS-Spiegel bei hyperthyreoten Katzen sei statistisch wiederum signifikant höher gewesen als bei Katzen ohne Schilddrüsenüberfunktion – laut Studie ein Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zwischen PFAS-Spiegel und Induktion einer Hyperthyreose. Weitere Untersuchungen in puncto Ursachenforschung und Bedeutung von Umweltfaktoren laufen.

Die Hyperthyreose geht mit einer ganzen Reihe möglicher Symptome einher. Mit 87 Prozent liegt der Gewichtsverlust an erster Stelle, 49 Prozent der betroffenen Katzen zeigen Polyphagie, 42 Prozent auch eine Tachykardie; 31 Prozent sind hyperaktiv, was sich sehr häufig in nächtlicher Vokalisation äußert. Es kann gelegentlich auch zu Anorexie kommen (sieben Prozent). Diagnostisch hat der früher häufig angewendete Palpationsbefund heute ausgedient, denn ein negativer Tastbefund schließt eine Schilddrüsenüberfunktion nicht aus. Auch wenn 80 Prozent der Patienten eine vergrößerte Schilddrüse haben, lässt sich diese nach Untersuchungen an der LMU München nur dann aussagekräftig palpieren, wenn man über viel Erfahrung verfügt. Der Bluttest gibt bereits wesentlich früher und sicherer Aufschluss. Eine frühzeitige Diagnose bringt erhebliche Vorteile für das Tier, weil dann Spätschäden, beispielsweise an Herz oder Niere, noch vorgebeugt werden kann.

Die Therapie kann auf vier verschiedene Arten erfolgen. Die gängigste Form ist die Gabe von Thyreostatika wie Thiamazol oder Carbimazol, die die Synthese von Schilddrüsen­hormonen hemmen. Gravierender Nachteil: Fast die Hälfte der Katzenbesitzer hat massive Probleme mit der regelmäßigen Verabreichung der Tabletten. Zusätzlich kommt es bei zehn bis 20 Prozent der Katzen zu Anorexie und Erbrechen.

Bewährt hat sich hingegen eine Einarbeitung des Wirkstoffs in eine Salbe, die mit Handschuhen für ein bis zwei Minuten in die Innenseite des Ohrs einmassiert wird. Inzwischen liegen auch erste Studienergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit einer neuen dermalen Formulierung von Thiamazol vor. Eine Salbe ist für den Tierbesitzer einfacher zu applizieren und ruft weniger Nebenwirkungen des Gastro­intestinaltrakts hervor. Neuartige Nanocarrier in Salben, die sowohl wasser- als auch fettlösliche Moleküle transportieren können, können das Durchdringen des Stratum ­corneum bis in die Dermis um das Zehnfache verstärken. Besitzer zeigten sich zu 100 Prozent mit einer Salbe zufrieden.

Durch einen speziellen Applikator, mit dem sich die Menge exakt einstellen lässt, konnte in der Pilotstudie zur Nanocarrier-Salbe eine Über- oder Unterdosierung verhindert werden; Hautreizungen bei den Katzen gab es nicht. Die zweite Therapiemöglichkeit besteht in einer ­Thyreoidektomie, allerdings ist sie mit vielen Nachteilen verknüpft: Betroffene Katzen haben häufig ein erhöhtes ­Narkoserisiko, die Nebenschilddrüsen könnten geschädigt werden, es könnte nachher zu einer Hypothyreose kommen, wenn zu viel entfernt wurde, oder eventuell eine Überfunktion bestehen bleiben, wenn der hyperfunktionelle Anteil nicht zugänglich ist.

Als dritte Möglichkeit kommt eine jodrestriktive Diät ­infrage. Auch so ist eine Normalisierung der im Blut zirku­lierenden Schilddrüsenhormone zu erreichen. Die strikte Diät ist allerdings nicht bei Freigängern anwendbar. Langzeiteffekte sind noch nicht bekannt, aber in 90 Prozent der Fälle ist die Diät erfolgreich und wirksam.  

Die vierte Option ist die Radiojodtherapie. Dabei wird der kranken Katze radioaktives Jod gespritzt. Es hat die Eigenschaft, ganz gezielt nur die Zellen in der Schilddrüse zu zerstören, die überschüssiges Thyroxin bilden. Dieses Verfahren heilt die Krankheit vollständig und ist heute, wenn verfügbar, die Therapie der Wahl. Nachteil: Die Katze muss wegen der Strahlenbelastung für etwa fünf Tage in der ­Klinik bleiben, manchmal auch bis zu zwei Wochen. Bei etwa 95 Prozent der Patienten normalisiert sich nachher die Schilddrüsenfunktion.   


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