Mag. Kurt Frühwirth
Präsident der Österreichischen Tierärztekammer
Ausgabe 09/2021
„Auch Tiere haben ein Recht auf eine antibiotische Behandlung!“ – so lautete der Aufruf des Briefs, den die Österreichische Tierärztekammer Ende August 2021 an die österreichischen EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier geschickt hat.
Der Anlass war das derzeit auf EU-Ebene diskutierte weitreichende Antibiotikaverbot in der Tiermedizin. Die Österreichische Tierärztekammer machte in dem Schreiben deutlich, welche gravierenden Folgen ein solches Verbot hätte, bezog dazu Stellung und ersuchte die Abgeordneten dringend, von einer positiven Abstimmung Abstand zu nehmen.
Im ENVI (Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EU-Parlaments) wurde Mitte Juli (am 13.7.2021) der von der Kommission vorgelegte Verordnungsentwurf über „Kriterien für die Einstufung antimikrobieller Mittel, die für die Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten sind“ auf Eis gelegt. Der Entwurf wurde von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) sowie EFSA, ECDC, OIE und WHO erarbeitet und mit breiter Zustimmung ausgestattet. Er definiert Kriterien, nach denen Wirkstoffe gelistet werden sollen und durchaus eingeschränkt werden könnten, als gangbaren Weg, der unterstützt werden soll. Zuletzt brachte der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne) aber einen Entschließungsantrag ein und stellte den Entwurf infrage: Weitere Verschärfungen werden gefordert und kritische Antibiotika sollen exklusiv der Humanmedizin vorbehalten sein. Der ENVI-Ausschuss hat diesen Entschließungsantrag mit dem Abstimmungsverhalten von 38 Pro-Stimmen, 18 Gegenstimmen und 22 Enthaltungen angenommen. 22 Enthaltungen sind wohl der Beweis dafür, dass es hier viele Unentschlossene gab und die Abstimmung damit auch als durchaus knapp betrachtet werden darf.
Wenn diese nachgeordnete Verordnung, so wie im Änderungsantrag von Herrn Häusling gefordert, jetzt überarbeitet werden soll, kann es damit zu einem abrupten Verbot der Anwendung bestimmter antimikrobieller Wirkstoffgruppen am Tier kommen! Eine ganze Reihe auch für die Veterinärmedizin und damit für Tiere lebenswichtiger Antibiotika stünde dann nicht mehr zur Verfügung. Eine mögliche selektive Entscheidung, wie anhand des Kriterienkatalogs geplant, wäre nicht mehr möglich. Nicht nur, dass bestimmte Infektionserkrankungen dann nicht mehr ausreichend und effizient behandelt werden könnten; es würde auch tierschutzrelevante Folgen haben: Mit § 15 des Tierschutzgesetzes ist die Versorgung von Tieren bei Krankheit oder Verletzung normiert. Tiere haben damit auch ein Recht auf eine ausreichend wirksame antibiotische Behandlung. Und selbst der Mensch würde durch diese Verbote gefährdet werden: Bleiben Zoonosen, also Erkrankungen, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, beim Tier unbehandelt, steigt die Gefahr, dass Menschen ebenfalls daran erkranken. Verbote von bestimmten Antibiotika als politische Forderung, um einen möglichen Systemwechsel in der Tierhaltung zu erreichen, sind ein untauglicher Versuch, ebendiesen voranzutreiben. Die Veterinärmedizin als politischen Spielball zu missbrauchen ist deshalb strikt abzulehnen. Der Antibiotikaverbrauch in der Veterinärmedizin konnte in den letzten Jahren auch ohne Verbote stetig reduziert werden. Der Verbrauch bei lebensmittelliefernden Tieren ist nunmehr sogar geringer als im Humanbereich, wie zuletzt die Zahlen aus dem EFSA-Bericht belegten.
In Österreich wurden in den letzten Jahren intensive Anstrengungen unternommen, um den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren. Im Gegensatz zur Humanmedizin wird der Verbrauch im Veterinärbereich bei lebensmittelliefernden Tieren umfangreich dokumentiert. Allein damit konnten seit Beginn dieser Projekte fortwährend Antibiotika-Einsparungen verzeichnet werden. Human- als auch Veterinärmedizin erstellen einen Nationalen Aktionsplan zur Antibiotikaminimierung u. a. auch deswegen, um auf Veränderungen zu reagieren.
Die Erstellung von Antibiogrammen stellt in der Veterinärmedizin eine etablierte, verordnete und notwendige Praxis dar, um eben die Resistenzsituation zu kennen und gegebenenfalls darauf zu reagieren.
Im Humanbereich wird der unangemessene und unnötige Einsatz von Antibiotika im Krankenhaus, im niedergelassenen Bereich und in der Langzeitpflege als wichtiger Faktor für die Entwicklung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen gesehen. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) soll der Anteil von unsachgemäß eingesetzten Antibiotika an allen im Gesundheitswesen verwendeten Antibiotika bis zu 50 Prozent ausmachen, in Langzeitpflegeeinrichtungen sogar bis zu 90 Prozent.
Wie aktuell in einer Studie gezeigt werden konnte, korrelieren die meisten damit zusammenhängenden Variablen auch mit den hygienischen Bedingungen im Land sowie mit dem allgemeinen Gesundheitszustand und dem Lebensstandard der Bevölkerung. Wie man sieht, hat auch die Humanmedizin ihre Hausaufgaben zu erledigen.
Wir fordern daher, diesen Entschließungsantrag abzulehnen und dem wissenschafts- und expertenbasierten Vorschlag der Kommission zu folgen. Es muss dem bisher eingeschlagenen Weg und dessen Initiativen eine Chance gegeben werden. Zudem muss auch dem „One Health“-Konzept Rechnung getragen werden. Keinesfalls dürfen Human- und Veterinärmedizin gegeneinander ausgespielt werden. Gemeinsame Probleme sind gemeinsam zu lösen – das gilt auch für das Problem der Antibiotikaresistenzen.
Für die Abstimmung in Straßburg haben die Epruma-Partner einen offenen Brief vorbereitet, der die Mitglieder des Europäischen Parlaments auffordert, gegen den eingereichten Entschließungsantrag zu stimmen. Ziel der Unterschriftenaktion ist es, das Schreiben von möglichst vielen EU- und nationalen Organisationen unterschreiben zu lassen, darunter Veterinär- sowie landwirtschaftliche Verbände, die Futtermittelindustrie sowie einige Tierschutzverbände. Das Schreiben wurde von den Epruma-Partnern an das Parlament weitergeleitet.
Link zum offenen Brief:
https://form.jotform.com/212352665713353
FECAVA-Onlinekampagne:
https://bit.ly/3kCouyO
Auch der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) in Deutschland engagiert sich mit einer Kampagne inkl. Onlinepetition bezüglich dieses Themas – siehe: https://bit.ly/3BoQZql
Weiterführende Infos entnehmen Sie unserem Kammer-Newsletter bzw. der ÖTK-Website:
www.tieraerztekammer.at