Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin
Ausgabe 10/2022
Ein engagierter Rinderpraktiker vermittelt praktisches Wissen online.
Ob auf Facebook, mit seiner Homepage oder per Whatsapp-Gruppe: Dr. med. vet. Franz Kritzinger aus Vöcklamarkt nützt die digitalen Medien gezielt, um seine Erfahrungen in der Rinderpraxis an Studierende und andere Interessierte weiterzugeben und spannende Fallgeschichten mit ihnen zu teilen – von Abszess bis Zitze ist alles dabei. Und auch Rudi, das gerettete Rehkitz, hat manchmal einen Gastauftritt.
Wie kamen Sie dazu, die digitalen Medien so intensiv zu nützen?
Man mag zu Facebook oder Whatsapp stehen, wie man will, sie bieten jedoch eine sehr einfache Möglichkeit, Infomaterial zu teilen. Selbst Videos werden per Klick an ein ausgewähltes Publikum zugestellt. Dies hat sich besonders im Umgang mit Praktikant*innen und Jungtierärzt*innen als praktisch und ansprechend erwiesen.
Auch im Rinderstall hat die Digitalisierung rasant zugenommen, wir erleben hier gerade einen großen Wandel. Eine Bäuerin rief mich vor Kurzem an: Der Roboter zeigte, dass bei einer Kuh weniger Wiederkauschläge gemessen wurden. Sie hat dann Fieber gemessen, die innere Körpertemperatur war erhöht. Es stellte sich heraus, dass eine fiebrige Erkrankung vorlag – wir konnten gleich einschreiten und reagieren. Landwirte berichten, dass mithilfe dieser digitalen Unterstützung in der Regel eine Erkrankung um einen Tag früher erkannt wird. Ich schätze, dass viele moderne Betriebe mittlerweile 50 Prozent ihrer Informationen aus dem technischen Equipment beziehen. Das hat die Trefferquote sowohl bei der Krankheits- als auch bei der Brunsterkennung stark erhöht. Es gibt großes Bemühen, angestammte tierärztliche Tätigkeiten in nächster Zeit mithilfe der Technik zu „rationalisieren“. Die automatisierte Trächtigkeitsuntersuchung über PAG, Pregnancy-associated Glyco-Protein, ist keine Zukunftsutopie. Die Tierärzteschaft muss sich in jeder Hinsicht den verschiedenen Formen der Digitalisierung stellen!
Sie sind auf Facebook sehr aktiv und veröffentlichen immer wieder neue Beiträge. Wie kam es dazu?
Für mich ist wichtig, je nach Zielgruppe das passende Medium zu wählen. Auf Facebook wende ich mich vor allem an die Landwirtschaft, aber auch an junge Tiermediziner*innen und Studierende. Ich möchte dort das Portfolio der modernen Rindermedizin zeigen.
Den Landwirt*innen soll zum Beispiel gezeigt werden, dass es bei komplizierten Klauenerkrankungen nicht nur Klauenpfleger*innen oder den Schlachthof gibt, sondern dass der Tierarzt oder die Tierärztin hier lebensrettende Dienste leisten kann. Es geht auch darum, der grundlegenden Aversion gegen Operationen im Kuhstall entgegenzuwirken. Operationen sind eine wunderbare Bereicherung. Den Landwirt*innen müssen jedoch die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit vieler Dinge, wie etwa der diversen Abdominaloperationen, verständlich und bildlich gezeigt werden. Die gezeigten Informationen sind in einer Art und Weise zugeschnitten, um sich nicht dem Vorwurf der Anleitung zur Selbstbehandlung auszusetzen.
Gerade für junge Studierende kann man auf Facebook Impulse setzen und einen Einblick in die Praxis geben. Diese praxisnahe Information füllt ein Vakuum, denn die Studierenden können ja während der Ausbildung gar nicht alle Fälle sehen, mit denen sie in der Praxis dann konfrontiert werden. Da die Seite auch in einer Uni-Facebook-Gruppe vorgeschlagen wird, wird diese Möglichkeit entsprechend intensiv genutzt.
In Ihre Whatsapp-Gruppe für Studierende stellen Sie täglich neue Bilder, Videos und fachliche Erklärungen, auf der Homepage finden sich ausführliche Beiträge …
Die Homepage ist eher wissenschaftlich aufbereitet. Dabei geht es um meine Lieblingsthemen, mit denen ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe, wie zum Beispiel das Kolostrum und den Colostrocheck, den Strichkanal, den Nabel oder den mechanischen Geburtenhelfer. Die Whatsapp-Gruppe wiederum ist selektiv für meine Praktikant*innen und einige Studierende, die sich um einen Praktikumsplatz bei mir beworben haben. Hier gehe ich wirklich tagesaktuell auf die Fälle ein.
Ich zeige viele andere Bilder, darunter eine nekrotische Zitze bei Colimastitis, ein Video von einem Kalb mit Durchfall am Dauertropf oder eine Abszessspaltung; zur Auflockerung halte ich die Gruppe auch über unser Rehkitz Rudi auf dem Laufenden. Dies ist eine wunderbare Option, um junge Kolleg*innen bei interessanten aktuellen Fällen digital teilhaben zu lassen. Die Anzahl der Teilnehmer*innen wird bewusst auf einem sehr geringen Niveau gehalten. Letztlich habe ich auch meinen neuen Mitarbeiter über das Praktikum, Facebook und Whatsapp gefunden.
Wie groß ist der Zeitaufwand, den Sie neben Ihrem arbeitsintensiven Alltag hier investieren?
Ich versuche, während der täglichen Routine Bilder und Videos zu jedem Thema zu sammeln. Diese werden archiviert und sind sozusagen griffbereit – damit kann ich dann für einen Beitrag relativ schnell etwas zusammenstellen. Wenn man das öfter macht, hat man ein gewisses Know-how. Ein Facebook-Beitrag samt Video bedeutet in etwa eine Stunde Arbeit.
Wie gehen Sie mit dem Thema Datenschutz um, wenn Sie ein Video veröffentlichen?
Natürlich frage ich die betreffenden Besitzer*innen, ob ich ein Video machen darf. Ohrmarken werden überdeckt, sie sollen nicht erkennbar sein, damit man keine Rückschlüsse auf die Landwirt*innen ziehen kann. Bilder oder Videos von Personen stelle ich nur mit deren ausdrücklichem Einverständnis online.
Bekommen Sie auch kritische Rückmeldungen auf Ihre Postings?
In den letzten Monaten wurden über 400.000 Zugriffe auf die Homepage gezählt, von insgesamt 100.000 Besuchern. Interessanterweise gibt es auch viele internationale Zugriffe, von Stockholm bis Ohio oder Bangalore. Natürlich gibt es immer verschiedene Sichtweisen auf einen Fall und unterschiedliche Therapieansätze. Ich möchte aber keine Diskussionsplattform bieten, sondern Informationen zur Verfügung stellen – jede und jeder kann sich dann davon mitnehmen, was passend ist.
Sie nehmen auch immer wieder Praktikant*innen auf und binden die Studierenden aktiv in die Arbeit ein. Ist das nicht anstrengend?
Ja, natürlich wäre es auch eine Möglichkeit, zwischen den Patienten allein im Auto Musik zu hören. Aber ich engagiere mich gerne in der Lehre. Von klein auf war es mein Traum, mit Tieren zu arbeiten. Über die Jahre habe ich viel praktisches Wissen und Erfahrungen gesammelt. Es ist schön, das weiterzugeben. Der Kontakt mit der Jugend tut gut – und der Informationsfluss geht in beide Richtungen. Die Studierenden berichten mir von neuen Techniken und Ideen, da kann ich mir auch etwas mitnehmen.
Ich leite die Praktikant*innen an und lasse sie in zunehmendem Umfang behandeln, aber ich stehe immer direkt daneben und passe auf – das ist auch für die Landwirt*innen wichtig. So wissen sie, dass ihr Tier auf jeden Fall gut versorgt wird, auch wenn die Studierenden einmal einen Handgriff ausführen.
Sehen Sie ein Nachwuchsproblem in der Rinderpraxis? Lange Arbeitszeiten und der körperlich anstrengende Alltag schrecken viele Studierende ab, heißt es.
Ich habe nicht das Gefühl, dass die Studierenden nicht in die Rinderpraxis wollen; im Gegenteil, ich habe viele Bewerbungen von engagierten Praktikant*innen. Der Realität dieses Berufs muss ich mich natürlich stellen und mir bewusst sein, was auf mich zukommt. Für die Jugend sind auch die OP-Berichte, die ich ihnen schicke, interessant und wichtig für ihre Begeisterung. Manche Tätigkeiten werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen, andere verloren gehen. Weil die Wertigkeit der Nutztiere steigt, können sich für die Zukunft viele interessante und von der Jugend geschätzte Optionen wie OPs auftun. Für junge Kolleg*innen sind bei der Berufswahl mehrere Faktoren entscheidend – oft geht es gar nicht so sehr um die Arbeitszeiten als vielmehr etwa um die Möglichkeit, die Tiere gut behandeln zu können, ohne gleich an die Schlachtung zu denken, wenn ein Tier krank ist. Es verändert sich vieles, auch für die Tierärzteschaft.