Sicherheit bei der Anwendung

von Zytostatika

Mag med. vet. Sonja Schwab
Produktentwicklung, Richter Pharma AG

Kenntnis der Risiken im Umgang mit Zytostatika sowie der Maßnahmen, mit denen man sich schützen kann, ist Voraussetzung für die Durchführung einer für Mensch und Tier sicheren Chemotherapie.

Der folgende Artikel soll daher einen Überblick über die kritischen Punkte beim Einsatz von Zytostatika in der tierärztlichen Praxis geben. Standards für das Gebrauchsfertigmachen, die Applikation und die Entsorgung von Zytostatika wurden 2011 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht und geben den gesetzlichen Rahmen für die Schutzmaßnahmen vor. 

PSA – Die persönliche Schutzausrüstung

Die richtige Bekleidung stellt die erste Barriere zwischen Zytostatikum und Mensch dar. Je nach Situation ist eine unterschiedlich umfangreiche Schutzbekleidung erforderlich. Während für die Zubereitung und Verabreichung ein vorne geschlossener, flüssigkeitsabweisender Schutzkittel, vorne geschlossene Schuhe, Schutzarmstulpen (nur Zubereitung) und geeignete Schutzhandschuhe ausreichend sind, wird bei versehentlicher Freisetzung von ­Zytostatika eine deutlich aufwendigere Ausrüstung benötigt. Ein Overall, Überschuhe, Schutzhandschuhe, Überhandschuhe, eine Kopfhaube, Schutzbrille und eine Atemschutzmaske der Filterklasse FFP3 minimieren das Risiko, bei den Reinigungsarbeiten mit dem Zytostatikum in Kontakt zu kommen[1].

Zubereitung

Während der Zubereitung besteht das höchste Kontaminationsrisiko. Man hantiert mit Trockensubstanzen und konzentrierten Stammlösungen, mit denen man durch Verschüttung, Aerosolbildung oder ­versehentliche Selbst­injektion in Kontakt kommen kann. Daher ist die Zubereitung in einer Sicherheitswerkbank oder einem Isolator in einem durch eine Schleuse abgetrennten Reinraum vom Gesetzgeber vorgeschrieben[2]. Die Verwendung von geschlossenen, nadelfreien Systemen (z. B. PhaSeal, Tevadaptor) stellt einen weiteren Schutzfaktor dar. Da dieser Aufwand meist den Rahmen der Möglichkeiten einer Tierarztpraxis sprengt, stellt die Verwendung von gebrauchsfertigen Zytostatikalösungen eine sichere, praktikable Alternative dar. Diese werden in eigenen Einrichtungen gemäß den Angaben des Tierarztes für den jeweiligen Patienten maßgeschneidert zubereitet.

Verabreichung

Auch hier ist das oberste Gebot, einer Freisetzung von Zytostatika vorzubeugen. Infusionssysteme mit fix verbundenen Infusionsleitungen sowie Luer-Lock ­gesicherte Verbindungsstellen gehören zur Standardausrüstung. Rücklaufventile ermöglichen im Bedarfsfall ein Unterbrechen und Abschließen der Infusion, ohne dass es aus der Infusionsleitung tropft. So gerüstet, verläuft die Applikation üblicherweise komplikationslos, dennoch muss man jederzeit auf Zwischenfälle vorbereitet sein. Das setzt voraus, dass die Verabreichung nur von im Umgang mit Zytostatika geschulten Mitarbeitern durchgeführt wird. Um unbeteiligte Personen vor einer Exposition zu schützen, muss für die Applikation von Chemotherapeutika ein eigener, vom laufenden Praxisgeschehen abgetrennter Bereich zur Verfügung stehen. Die Anzahl an ­anwesenden Personen ist auf ein für die Behandlung notwendiges Mindestmaß zu reduzieren. Der Tierbesitzer, der sonst üblicherweise beim Arztbesuch seinem Vierbeiner zur Seite steht, sollte während der Chemotherapie im Warte­zimmer bleiben. Im Behandlungsraum ist er einerseits selbst einem erhöhten Risiko ausgesetzt und stellt andererseits als „ungeschulte“ Person bei einem Zwischenfall eine Gefährdung für die Mitarbeiter dar. Die Haftung für dabei entstehende Schäden hat schlussendlich der Tierarzt zu tragen.

Unbeabsichtigtes Freisetzen von Zytostatika

Sollte es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zur Verschüttung von Chemotherapeutika – und seien es nur ­wenige Tropfen – kommen, ist es wichtig, rasch und richtig zu reagieren. Sogenannte „Spill Kits“, welche neben der Schutzausrüstung auch die zur Reinigung benötigten Materialien enthalten, müssen griffbereit sein. Regelmäßige Übungen für alle involvierten Klinikmitarbeiter sowie eine schriftliche Arbeitsanweisung stellen ein gezieltes Vorgehen sicher. Denn auch, wenn diese Situation in Schulungen geprobt wurde, so vergisst man unter Stress rasch, was zu tun ist.

Paravasate

Viele Zytostatika sind gewebetoxisch und verursachen bei paravenöser Verabreichung Reizungen bis hin zu schwerwiegenden Nekrosen. Ein exakt gesetzter und gut fixierter Venenzugang ist Voraussetzung für eine sichere Applikation. Venen, die man für die Chemotherapie verwenden möchte, sollten, so gut es geht, geschont werden, da mehrfach punktierte und dadurch brüchige Venen das Risiko einer Paravasation erhöhen. Die Infusion ist permanent zu überwachen, um erste Anzeichen sofort zu erkennen:

• Verlangsamung der Infusionsgeschwindigkeit

• Umfangsvermehrung an der Applikationsstelle

• Abwehrverhalten des Patienten aufgrund von Juckreiz oder Schmerzen

• am Venenzugang kann kein Blut aspiriert werden

Ein rasches Vorgehen ist essenziell, um die Schädigung des Gewebes einzugrenzen. Auch hier sollten wieder ein Notfallkit sowie eine Arbeitsanweisung bereitliegen. Die Infusion ist sofort zu stoppen. Bevor der Katheter entfernt wird, soll versucht werden, über den Venenzugang das Paravasat zu aspirieren. Paravasatblasen können transkutan punktiert werden. Den Erstmaßnahmen folgt eine substanzspezifische Therapie, die z. B. aus Wärme- oder Kältebehandlungen, Applikation von DMSO, Hyaluronidase, Dexrazoxan … (entsprechend den Angaben des Zytostatikaherstellers) besteht. Alle Notfälle sind zu ­dokumentieren!

Ausscheidung von Zytostatika

Zytostatika werden nach der Verabreichung über Kot und Harn ausgeschieden und sind auch im Speichel und im Erbrochenen in hohen Konzentrationen wiederzufinden. Daher ist es wichtig, den Besitzer bereits beim Erstberatungsgespräch nicht nur über die Auswirkungen der Chemotherapie auf das Tier zu informieren, sondern auch auf notwendige Umstellungen im Umgang mit dem Patienten hinzuweisen. Ausscheidungsmenge und -dauer von Zytostatika sind beim Menschen gut dokumentiert, und mittlerweile gibt es auch zu den häufigsten in der Veterinärmedizin verwendeten Substanzen Daten. 

So ist nach derzeit üblicher Dosierung Cyclophosphamid bereits nach einem Tag im Urin von Hunden nicht mehr nachweisbar, Vincaalkaloide werden über circa ­sieben Tage und Doxorubicin – wenngleich in sehr geringen Mengen – bis zu drei Wochen lang ausgeschieden[3]. Da es im Gegen­zug aber keine Untersuchungen gibt, die belegen, ab welcher Konzentration mit einer Gesundheitsgefährdung für den Menschen zu rechnen ist, fällt es schwer, exakte Richtlinien aufzustellen.

Es empfiehlt sich aber, die folgenden Vorsichtsmaß­nahmen einzuhalten:

• Beim Entfernen von Ausscheidungen sind Einmalhandschuhe zu tragen.

• Die Katzentoilette ist täglich zu reinigen.

• Enger Kontakt mit dem Tier ist zu vermeiden (streicheln, ablecken lassen …).

• Reinigung des Liegeplatzes nach jeder Risikoperiode (abhängig von der Ausscheidungsdauer der applizierten Substanz)

• Kinder und Schwangere sollten in den Tagen nach der Zytostatikaapplikation den Kontakt mit dem Tier bzw. dessen Ausscheidungen gänzlich meiden.

Befinden sich im Haushalt Kleinkinder oder Schwangere und lässt sich ein Kontakt mit dem Tier nicht ausschließen, so sollte nach Möglichkeit das behandelte Tier einige Tage nach der Chemotherapie andernorts untergebracht werden oder auf die Chemotherapie verzichtet werden.

Zusammenfassung

Viele Patientenbesitzer erwarten sich heutzutage für ihre vierbeinigen Begleiter eine mit der des Menschen vergleichbare medizinische Betreuung. Dadurch und aufgrund der steigenden Inzidenz von Tumorerkrankungen bei Hunden und Katzen sehen sich Tierärzte immer öfter mit dem Wunsch nach einer Chemotherapie konfrontiert. 

Aufklärung über Situationen, welche besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, effiziente Schutzmaßnahmen, Personalschulung und die Verfügbarkeit -gebrauchsfertiger maßgeschneiderter Zytostatikalösungen können das -Risiko der ambulanten Chemotherapie bei korrekter Vorgehensweise jedoch auf ein Minimum reduzieren.

Literatur
1) Kessler, M. (2005): Kleintieronkologie: Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen bei Hunden und Katzen
2) BMG (2011): Standards für das Gebrauchsfertigmachen, Applikation und Entsorgung von Zytostatika
3) Knobloch, A. K. F. (2010): Untersuchung zu Zytostatikarückständen in Serum und Urin bei Hunden mit Tumorerkrankungen während und nach Chemotherapie