Was braucht die Berufspolitik

der Zukunft?

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Intensive Diskussionen begleiteten den Start des 1. ÖTK-Zukunftskongresses, der erfolgreich an der Veterinärmedizinischen Universität Wien abgehalten wurde.

 

Rund 150 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft folgten am Freitag, 14. 6. 2019, der Einladung in den Festsaal der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die den ersten berufspolitischen Zukunftskongress der Österreichischen Tierärztekammer dankenswerterweise großzügig unterstützte. Trotz hoher, schweißtreibender (Außen-)Temperaturen harrte das Publikum gespannt der Diskussionen rund um das Thema „TierärztInnen leben Zukunft“. Der ehemalige ORF-Journalist und Moderator Gerald Groß führte professionell und unterhaltsam durch die Veranstaltung. 

Gastgeberin und Vetmed-Rektorin Dr. Petra Winter ging in ihrer Auftaktrede auf die vielfältigen Herausforderungen der Veterinärmedizin ein, die sich auch im Programm des Kongresses widerspiegelten – beginnend bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis hin zur gesellschaftlichen Bedeutung der Veterinärmedizin. Auch Chefveterinär Dr. Ulrich Herzog zeigte sich über die berufspolitische Auseinandersetzung während der ganztägigen Veranstaltung erfreut und meinte: „Zukunft ist grundsätzlich etwas Positives – wenn man will, kann man sie auch gestalten.“ 

ÖTK-Präsident Mag. Kurt Frühwirth begrüßte die zahlreichen TeilnehmerInnen und freute sich über das damit verbundene Interesse, die Standespolitik in einem großen Kreis zu diskutieren, sich auszutauschen und gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten.

Schwerpunkt der Veranstaltung war vor allem die Präsentation der gemeinsam von der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK), der Vetmeduni Vienna und dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK) in Auftrag gegebenen IHS-Studie „Tierärztliche Versorgung in Österreich“ (siehe dazu auch den Artikel zum Pressegespräch „IHS-Studie: Tierärztliche Versorgung in Österreich“, S. 42).

Ergebnisse der IHS-Studie 

IHS-Studienleiter Mag. Martin Unger führte die Fakten zur Untersuchung aus und konstatierte: „Die Tierärzteschaft steht vor großen Herausforderungen. Trotz hoher TierärztInnenzahlen können oder wollen nicht genügend VeterinärInnen in Bereichen der tierärztlichen Versorgung arbeiten.“ 

Mögliche Gründe dafür lieferte Dr. Beate Großegger, Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung, die eindrucksvoll zeigte, worum es der „Next Generation“, also jungen BerufseinsteigerInnen, geht: „Sie planen nicht mehr“ – denn durch zunehmende künftige Unsicherheiten versuche man vielmehr, „an der Bruchkante von Chance und Risiko Fuß zu fassen“. Werte und die Einstellung gegenüber der Erwerbsarbeit würden sich verändern und würden entsprechend das Handeln junger Menschen prägen.

Denise Martinkovich brachte es als Vertreterin der HochschülerInnenschaft der Veterinärmedizinischen Universität auf den Punkt: „Was uns Angst macht, sind die Rahmenbedingungen, die uns später einmal betreffen werden. Wir als junge Generation wollen vor allem nur eines, und zwar Tierärzte sein!“ 

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. Beate Großegger, Denise Martinkovich, dem Tiroler Landesveterinärdirektor Dr. Josef Kössler, Rektorin Dr. Winter und Mag. Elmar Pichl, Sektionschef und Leiter der Hochschulsektion im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, war der Grundtenor aller, dass künftige Herausforderungen nicht nur mit einer Maßnahme gelöst werden können, sondern es ein Bündel an vielfältigen Ansätzen brauche, um in gemeinsamer Anstrengung die entsprechenden Rahmenbedingungen verbessern zu können.

Breite Themenpalette

Intensiv diskutiert wurden in Panel 2 die Themen Ökonomie in der Tierarztpraxis, die Digitalisierung, der zunehmende Frauenanteil und der damit verbundene Paradigmenwechsel in der Einstellung der TierärztInnnen (Stichwort: Work-Life-Balance) sowie auch die Förderung des Unternehmertums und der Selbstständigkeit. 

Gastredner und bpt-Geschäftsführer Dipl.-Kfm. Heiko Färber ging in seinem Statement auf die Rolle der Corporates und Tierklinikketten ein, die in den USA bereits seit rund 30 Jahren Marktrealität sind und schrittweise Einzug in Europa halten. Er meinte dazu: „Wir sehen die Entwicklung durchaus kritisch, aber uns ist auch bewusst, dass wir sie nicht verhindern werden können.“ Konzerne werden weiterhin ins Tiergesundheitsgeschäft einsteigen und damit künftige Entwicklungen in der Tierärzteschaft mitbestimmen. 

Auch das Thema Digitalisierung und Leistungsverrechnung müsse von den Tierärzten in Zukunft ernster genommen werden, so Ehrengast und bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder. Er argumentierte mit einer Schweizer Studie, die belege, dass Menschen mit Haustieren (vor allem jene in fortgeschrittenem Alter) wesentlich gesünder seien als jene ohne. Dies werde zu vermehrtem Patientenaufkommen führen und erlaube Rückschlüsse darauf, dass sich TierärztInnen ihrer gesellschaftlichen Funktion bewusst sein und ihre Leistungen entsprechend verrechnen müssen. „Dabei spielt die Digitalisierung eine große Rolle – das wird kommen, egal, ob wir wollen oder nicht!“ Carole Maertens vom Rechtsdienst der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte skizzierte in ihrer Präsentation „Der Veterinärberuf 2035 aus Schweizer Sicht“ die verschiedenen Spannungsfelder, denen Veterinäre in Zukunft ausgesetzt sein werden. Dazu zählen Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Konsum- und Gewinnorientierung, Staat und Ethik sowie Technik und Innovation. Die Auswirkungen auf den Tierarzt bzw. die Tierärztin von morgen sind vielschichtig und reichen vom Allrounder bis zum Spezialisten, von komplementären Heilmethoden bis zu staatlichen Leistungsaufträgen und Regulierungen; weiters lösen sie auch Bedarf an zunehmenden Managementqualitäten aus, machen Know-how rund um Big Data bzw. Telemedizin erforderlich und führen zu einem verstärkten Fokus auf medizinische Vorsorge.

Um mehr Frauen zu motivieren, in die berufliche Selbstständigkeit zu gehen, startete und präsentierte die Frauen­beauftragte und 2. Vizepräsidentin der ÖTK, Dr. Andrea Wüstenhagen, mit prominenter Unterstützung der ehemaligen Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat ein Frauen-Mentoringprogramm, das im Herbst 2019 in der Tierärztekammer an den Start geht. Mit Unterstützung der Vetmeduni Wien werden neben der Nachwuchs­förderung und der Weiterentwicklung beruflicher, sozialer und persönlicher Kompetenzen Frauen im tierärztlichen Beruf gefördert. 

Die Vorteile, selbstständige Nutztierärztin zu sein, zeigte die Salzburgerin Mag. Julia Enichlmayr auf: „Selbstbestimmt zu arbeiten, sich den Tag einteilen zu können und damit auch eine Lebensqualität zu genießen, das sind für mich eindeutige Vorzüge, die ich nicht missen möchte.“ 

Aus der Sicht eines Nutztierpraktikers, so Mag. Dietmar Gerstner, 1. Vizepräsident der Österreichischen Tier­ärztekammer, werde es künftig nicht nur einen Weg für alle TierärztInnen geben, sondern unterschiedliche Lebenskonzepte und Zukunftsszenarien, die individuell entschieden werden.

Tierärzte und Öffentlichkeit 

Eine rege Diskussion löste Tierarzt und Tierschutzexperte Dr. Alexander Rabitsch in Panel 3 aus, als er in seinem Vortrag die Tierärzteschaft an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnerte: „Neben den gelehrten Inhalten und den vorgegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen sind Tierärzte verpflichtet, im Sinne des Tierschutzes auf das Wohlbefinden der Tiere zu achten.“ Es sei klar, dass Amtstierärzte ihre Vorschriften und die Gesetze einhalten müssen, aber dennoch seien sie verpflichtet, diese gegen ihre ethische und moralische Vorstellung abzuwägen, und müssen auch davon ausgehen, dass ihr Handeln tagtäglich hinterfragt wird. Dies sei im Hinblick auf zahlreiche tierquälerische Tiertransporte quer durch Europa ein wichtiger Aspekt, der die kontroversielle Situation deutlich unterstreiche.

Auch Bauernbundpräsident Dipl.-Ing. Georg Strasser sprach sich für das Tierwohl aus und meinte: „Für uns Landwirte ist es selbstverständlich, dass es einem Tier gut gehen muss – nur jene, denen es gut geht, sind auch leistungsfähig.“ Daher habe auch der Tiergesundheitsdienst (TGD) eine wichtige Rolle, vor allem auch gegenüber dem Konsumenten und der Konsumentin, die auf den Tierschutz vertrauen dürfen. 

Im Sinne des Tierschutzes nehmen auch die AmtstierärztInnen ihre Rolle sehr ernst, so die Präsidentin des Österreichischen Verbands der Amtstierärztinnen und Amtstierärzte, Mag. Andrea Leutgöb-Ozlberger, die in ihrer Präsentation einmal mehr die enorme Bandbreite der Tätigkeit von AmtstierärztInnen aufzeigte. „Wir sind verantwortlich im Fall von Tierseuchen, für die Lebens­mittelkontrolle, die Tierarzneimittelanwendung, die Tiertransportkontrolle sowie die Kontrolle von praktizierenden TierärztInnen.“

Einen anderen Blickwinkel brachte abschließend Mag. Andreas Asamer, MBA, Geschäftsfeldleiter der Richter Pharma AG, in die Diskussion ein, der auch auf die Verantwortung der Pharmaindustrie einging: „Der Markt der Veterinärpharma ist im Vergleich zur Humanpharma ein sehr kleiner, aber stark wachsender Markt. Die Industrie steht leider vor der Herausforderung, immer im Spannungsfeld zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der Marktliberalisierung zu stehen. Umso mehr bemühen wir uns, eine vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kunden aufzubauen, denn die Tiergesundheit basiert stark auf Vertrauen.“

„Wir freuen uns, dass uns während des Kongresses dieser intensive Austausch mit wichtigen Entscheidungsträgern in der Tierärzteschaft gelungen ist, und nehmen uns in Zukunft vor, wesentlich intensivere Gespräche mit unseren Stakeholdern zu führen“, sagte Mag. Frühwirth abschließend.

LINK:

www.tieraerztekammer.at/zukunftskongress2019