Aufgaben

eines Zootierarztes

Dipl. Tzt. Thomas Voracek
Fachtierarzt für Wild- und Zootiere

Die Therapiemöglichkeiten bei Zootieren und Haustieren unterscheiden sich grund­legend. Die meisten Zoo­patienten müssen für eine Diagnose und Therapie narkotisiert werden. Doch die Aufgaben eines Zoo-Docs sind umfangreicher – dazu zählt auch die ständige Verbesserung der Haltungsbedingungen.

Viele Fernsehserien machten in den vergangenen Jahren den Beruf des Zootierarztes bekannt und populär. Romantisiert wird darin ein Beruf präsentiert, den nur ein sehr kleiner Teil der Kolleginnen und Kollegen hauptberuflich ausübt. Der Verband der Zootierärzte im deutschsprachigen Raum hat gerade einmal 115 Mitglieder. Doch was sind fernab der medialen Darstellung die Aufgaben eines Zootierarztes? Wie unterscheidet sich die Zootiermedizin von anderen Fachgebieten der Veterinärmedizin? Bestehen grundlegende Unterschiede in den Behandlungsmöglichkeiten bei Haus- bzw. Zootieren?

Das Aufgabengebiet des Zootierarztes ist äußerst vielfältig. Im Fokus steht dabei natürlich das Wohlbefinden der Tiere, das allerdings über die reine Abwesenheit von Krankheit hinausgeht. Ein Tierarzt wird nicht nur zu kranken Zoobewohnern für direkte tierärztliche Manipulationen gerufen, er zeichnet gemeinsam mit den zuständigen Zoologen auch für die ständige Verbesserung der Haltungs­bedingungen verantwortlich. ­Futterrationen zu berechnen und Futterhygiene zu kontrollieren sind Beispiele, die auf der Hand liegen. Doch wer denkt an die Bodenbeschaffenheit im Nashorn- oder Elefantenhaus, die genau auf den richtigen Sohlenabrieb der Tiere abgestimmt ist? An die richtige Gehegebegrenzung für Hirschziegenantilopen, damit es zu keinen Verletzungen beim Laufen entlang des Zauns kommt? An die richtige Gruppenzusammensetzung bei den Berberaffen, um Streitereien mit Bissverletzungen zu vermeiden? Diese Liste lässt sich lang fortsetzen.

Fazit: Je besser die Haltungsbedingungen im Zoo, umso weniger direkte tierärztliche Manipulationen sind nötig. Eine umfassende Bestandsbetreuung, insbesondere auch in der Prophylaxe von Infektionskrankheiten und Parasitosen, ist tägliche Routine. Zusätzlich zu den oben genannten Aufgaben ist ein Zootierarzt dem Artenschutz verpflichtet. Wissenschaftlich geführte Zoos sind an zahlreichen internationalen Erhaltungszuchtprogrammen beteiligt, die den Zweck verfolgen, gesunde Populationen von bedrohten Tierarten ex situ, also außerhalb ihres angestammten Lebensraums, in menschlicher Obhut zu halten und zu züchten.

Für den Austausch der Nachzuchten stehen Tiertransporte zwischen den Zoos quasi auf der Tagesordnung. Zootiere reisen „First Class“: Im Flugzeug in maßgeschneiderten Transportkisten im klimatisierten Teil des Laderaums, auf der Straße in Spezialtransportern – entweder auch in Kisten oder in speziellen Boxen. Einige Tiere wie Menschenaffen oder Elefanten werden auf Transporten von ihrem vertrauten Pfleger begleitet, der sie in den ersten Wochen im neuen Zuhause noch mitbetreut, um die Eingewöhnung zu erleichtern. Bei Großen Pandas begleitet obligatorisch zusätzlich ein Tierarzt den Transport. Bei der Auswahl der Transportmittel, der entsprechenden Kiste und der Verladung der Tiere spielt der Zootierarzt eine entscheidende Rolle. Manche Tiere müssen zur Verladung narkotisiert oder sediert werden, mit anderen wurde der Verladevorgang trainiert und sie gehen ganz entspannt in ihre Boxen.

 

Was macht die Zootiermedizin speziell?

Zuallererst natürlich die Patienten: Angehörige verschiedenster Arten unterschiedlicher zoologischer Klassen mit unterschiedlichen Bedürfnissen an sämtliche Lebens­umstände. Sie verbergen Krankheitssymptome viel stärker als unsere Haustiere, sind in vielen Fällen keinen direkten menschlichen Kontakt gewöhnt, teilweise sogar gefährlich. Dadurch können Diagnose und Therapie oft nur in ­Narkose unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden. Eine vorherige klinische Untersuchung ist meist nur aus einigen Metern, Auskultation, Thoraxröntgen und Blutabnahme vor der Narkose leider gar nicht möglich.

Die Narkose selbst muss in den meisten Fällen mittels Blasrohr oder Narkosegewehr intramuskulär verabreicht werden. Ein Volumen von zwei bis drei Millilitern soll ausreichen, um auch große Säugetiere wie Elefant oder Eisbär mit einem Pfeil mittels Distanzimmobilisation zu anästhesieren. Dazu bedarf es eines ausgiebigen Trainings und ständiger Übung sowie sehr potenter Anästhetika. Etorphin, ein synthetisches Morphinderivat, ist noch immer für die Narkose vieler Spezies ein unverzichtbarer Wirkstoff.

Große Vorsicht ist bei der Manipulation geboten, ist es doch für Menschen sowie alle Primaten, aber auch Großkatzen hochtoxisch. Die sogenannte „Hellabrunner ­Mischung“, bei der 400 mg Ketamin mit 500 mg ­Xylazin vermischt werden, ist die wohl bekannteste und eine der universellsten Anästhesiemedikationen in der Zoo- und Wildtiermedizin. Wie in der Kleintiermedizin wurde auch hier das Xylazin in vielen Fällen durch Medetomidin ersetzt, allerdings in weit höherer Konzentration, nämlich als 10-%-, 20-%- oder 40-%-Injektionslösung. Als Antidot steht dafür das ebenso in der Kleintiermedizin gebräuchliche Atipamizol zur Verfügung. Eine sehr sichere Möglichkeit – gerade für Bären und Wildschweine – stellt die „Wiener Mischung“ dar, bei der 100 mg Zoletil mit 100 mg Xylazin vermischt werden.

In den Therapiemöglichkeiten liegt ein großer Unterschied zwischen Zootieren und Haustieren. Ein Hauptgrund ist die schon angesprochene Tatsache, dass die meisten Zoopatienten für Diagnose und Therapie narkotisiert werden müssen. Der direkte Zugriff auf sie, ein täglicher Verbandwechsel mit lokaler Wundkontrolle, Halskrause oder Boxenruhe sind nicht möglich.

Diagnose und Therapie sind oft in einer Narkose zu verbinden. Die Art der Therapie hat sich nicht nur nach den veterinärmedizinischen Möglichkeiten zu richten; die gesamten Umstände und Möglichkeiten der Tierhaltung, die Biologie und die Verhaltensweisen der Spezies sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie die jeweilige Prognose für den individuellen Patienten.

In den vergangenen Jahren hat das medizinische ­Training in vielen Zoos die Möglichkeiten von Diagnose und Therapie stark erweitert. Der Tiergarten Schönbrunn hat hier eine Vorreiterrolle. Das dafür angewandte „­Positive Reinforcement Training“ beruht auf der freiwilligen Teilnahme der Tiere und stellt für die Tiere durch die mentale Stimulation eine beliebte Erweiterung ihres Alltags dar. Es funktioniert ausschließlich durch Bestätigung erwünschten Verhaltens. Im Tiergarten Schönbrunn sind Gewichtskontrollen, Blutprobenentnahmen von Elefanten, ­Großen Pandas und Nashörnern, Kontrollen der Maulhöhle, ­Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen bei Großen Pandas sowie künstliche Besamung bei Elefanten durch eine konsequente Umsetzung des medizinischen Trainings ohne Sedierung oder Narkose möglich.

 

Besonderheiten des Alltags

Zum Abschluss möchte ich ein praktisches Beispiel aus dem Tiergarten Schönbrunn anführen, das die Komplexität der Zootiermedizin, ihre besonderen Ansprüche und ihre Verpflichtung für den Artenschutz deutlich macht: Im Jahr 2011 fand im Tiergarten Schönbrunn die erste erfolgreiche Besamung eines Afrikanischen Elefanten mit tiefgefrorenem Sperma eines in Afrika lebenden Wildbullen statt, durchgeführt gemeinsam mit dem Team der Abteilung Reproduktionsmanagement des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin unter Prof. Dr. Hilde­brandt. Die Vorarbeiten dazu begannen bereits viel früher: Durch regelmäßige Blutabnahmen – durchgeführt im Rahmen des Tiertrainings – wurde gemeinsam mit Dr. Leidinger und seinem Team der Ablauf des Zyklus von Elefantenkuh Tonga ermittelt, der dreieinhalb Monate dauert. Dies war enorm wichtig, um den Besamungszeitpunkt etwa zwei Wochen vorher auf ein Fenster von 24 Stunden vorherzubestimmen. Zum vorhergesagten Termin traf das Besamungsteam im Tiergarten Schönbrunn ein. Durch Ultraschalluntersuchungen der bestens trainierten Tonga wurde die Ovulation bestätigt und die Besamung durchgeführt. Nach 22 Monaten Tragezeit kam am 5. September 2013 das Elefantenweibchen Iqhwa auf die Welt. Ein weltweit beachteter Meilenstein für den Artenschutz, möglich gemacht durch perfektes Teamwork zwischen Tierpflegern, Zoologen und Tierärzten.