Schmerz, lass nach!

Akupunktur und Neuraltherapie: das erfolgreiche Duo in der Schmerzbehandlung

Bettina Kristof

Schmerzen und Schmerzbehandlungen sind ein ­zentrales Thema im veterinärmedizinischen Alltag. Welchen Stellen­wert hier Akupunktur und Neuraltherapie ein­nehmen können, verriet uns Dr. Andreas Zohmann, langjähriger Leiter des Vierbeiner-Reha-Zentrums sowie der Privaten Akademie für erweiterte Tiermedizin in Bad ­Wildungen (Nordhessen, Deutschland) und Konsiliar­tierarzt bei Vet & Physio/Praxisgemeinschaft für ganzheitliche Veterinärmedizin in Oberalm bei Salzburg.

Schmerzbehandlungen sind ein wichtiges Thema in der Veterinärmedizin. Welche Schmerzen lassen sich mit Akupunktur und Neuraltherapie behandeln?
Prinzipiell stehen die Schmerzen des Bewegungsapparats im Vordergrund. Akupunktur und Neuraltherapie werden aber nicht nur zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt, sie gelten auch als Regulationstherapien in der Behandlung innerer Organe. Schmerzen des Bewegungsapparats haben nicht selten interne Probleme zur Ursache. Man versteht unter Regulationstherapien Maßnahmen, den Organismus wieder ins homöodynamische Gleich­gewicht und damit in den Gesundheitszustand zurückzuführen. Es sind unterschiedliche Therapieansätze, ob ich eine Schmerz- oder eine Regulationstherapie durchführe. In der Schmerztherapie wird zwischen der Behandlung ­akuter und chronischer Schmerzen unterschieden. Leider ist es so, dass Akupunktur und Neuraltherapie hierbei hauptsächlich erst dann angewendet werden – respektive dazu überwiesen wird –, wenn es sich um ein chronisches Geschehen handelt. Bei akuten Problemen werden in der Regel rasch wirksame Medikamente verabreicht. Akute Schmerzen könnte man zwar auch mit Akupunktur und Neuraltherapie gezielt behandeln, aber dies entspricht zumeist nicht der Norm. Bei chronischen Schmerzen kann man mit diesen Methoden zwar regulierend eingreifen, aber ist die Problematik bereits fortgeschritten, ist auch hier nur noch eine palliative Schmerztherapie möglich. Es gibt einen einprägsamen Leitsatz zu diesem Thema: Regulationstherapien wie Akupunktur und Neuraltherapie heilen gestörte Funktionen und unterstützen bei zerstörten Strukturen. Als zerstörte Struktur kann man das Geschehen beim chronischen Schmerzpatienten bezeichnen, weil sich das Schmerzgedächtnis im Sinne der neuronalen Plastizität manifestiert hat. Diesen Patienten wird man mit Akupunktur und Neuraltherapie so halbwegs in einem erträglichen Zustand halten können. Das heißt, man wird seine Lebensqualität verbessern können, aber es wird nicht mehr gelingen, ihn in einen gesunden Zustand zurückzuführen.

Warum finden Sie es schade, dass Akupunktur und Neuraltherapie selten bei akuten Schmerzen angewendet werden?
Ich lege viel Wert auf eine frühe Diagnostik. Je rascher ich erkenne, dass es sich um eine akute Situation handelt, die sich in einen chronischen Schmerz umwandeln könnte, desto rascher kann ich den Patienten in den schmerzfreien Zustand zurückbringen. Das ist für uns und den Patienten weitaus befriedigender, als diesen später in seiner chronischen Schmerzsituation zu behandeln. Wenn der Schmerz akut ist, kann ich sehr gut mit der Regulationstherapie arbeiten. Ein geübter Akupunkteur oder Neuraltherapeut wird gleich daran denken, aber üblicherweise werden zuerst Medikamente – vor allem NSAIDs – verabreicht. Damit wird jedoch nur palliativ behandelt, die Ursache wird so nicht behoben. Das Ziel von Methoden wie Akupunktur und Neuraltherapie ist es hingegen, die Ursache herauszufinden und zu beheben. Dies versuchen wir auf nicht operative Art; bei mancher Störfeldtherapie wird vielleicht aber auch einmal ein operativer Eingriff das Mittel der Wahl sein. Natürlich besteht die Möglichkeit, bereits chronisch gewordene Schmerzen mit Akupunktur und Neuraltherapie zu behandeln. Man muss sich aber bewusst sein, dass das nicht einmalig ist, weil wir ja nicht dauerhaft heilen, sondern nur den chronifizierten Schmerz lindern können. Wir können auch eine Arthrose nicht mehr zurückentwickeln. Das heißt, der Patient muss immer wieder zu uns kommen, wenn er Schmerzen hat.

Lassen sich Tiere problemlos akupunktieren? Welche Tricks gibt es da, damit der tierische Patient ruhig liegen bleibt?
Das Tier muss nicht liegen, es kann auch stehen oder sitzen – bei Pferd und Rind erübrigt sich die Frage zumeist. Die Lage, in der es behandelt wird, soll seinem Komfortverhalten entgegenkommen. Es gibt unterschiedliche ­Herangehensweisen. Vor der ersten Sitzung wird eine umfangreiche Anamnese und Befragung des Tierbesitzers durchgeführt. Dabei kläre ich auch, ob das Tier sensibel, ängstlich oder schmerzempfindlich ist. Ich mache es gerne so, dass ich in der ersten Sitzung bei einem sensiblen ­Patienten mit den feinsten Nadeln arbeite. Ich beginne dann auch zuerst mit Punkten, die nicht so ­empfindlich sind, wie zum Beispiel am Rumpf, besonders im hinteren Rückenbereich. Dann arbeite ich mich langsam vor. Im asiatischen Raum wird Human-Akupunktur zum Teil anders gehandhabt – da wird mit richtigen Kalibern gearbeitet, das können wir bei Tieren nicht machen, die würden sich das nicht gefallen lassen. Ich wende die westlich-wissenschaftliche Akupunktur, jene nach unseren westlichen anatomischen und pathophysiologischen Erkenntnissen, an, die ich als Form einer physikalischen Medizin mit entsprechenden Hilfsmitteln, den Nadeln, ansehe. Die Neuraltherapie, also der therapeutische Einsatz von Lokalanästhetika, wird ohnehin als „westliche Schwester der Akupunktur“ bezeichnet. Zentrale Stellung hierfür nehmen die Kenntnis und Nutzung der Segmental­­reflektorik in Diagnostik und Therapie ein. Tiere – wie auch Menschen! – reagieren ganz unterschiedlich auf das Akupunktieren: Es gibt welche, die das gut annehmen, weil sie spüren, dass es ihnen dann besser geht; andere sind wiederum schmerzempfindlicher. Sehr viel hängt auch vom Besitzer ab: Wenn der Tierhalter eine positive Einstellung zur Akupunktur hat, lassen die Tiere viel mehr mit sich machen – vergleichbar der Einstellung von Eltern beim Kinderarzt. Es ist daher sehr wichtig, das Vertrauen des Tierhalters zu bekommen, damit sich dann auch das Tier wohlfühlt.

Sind diese Behandlungsmethoden zeitlich und ­finanziell sehr aufwendig für den Tierhalter?
Das hängt von der Herangehensweise ab. Ich halte es so, dass ich die Behandlungen zur Regulation im Abstand von zwei bis drei Tagen durchführe. Das ist wichtig, damit das Tier nicht in den Status quo zurückfällt und ich von Neuem beginnen muss. Damit das Tier wieder zu regulieren beginnt, benötigt man etwa drei bis vier Behandlungen. Die Preise sind festgelegt, damit ist der Kostenaufwand für den Tierhalter kalkulierbar. Etwas anders ist es beim reinen Schmerzpatienten: Der sollte im Idealfall täglich behandelt werden, damit er kein Schmerzgedächtnis aufbauen kann. Dies spielt sich im Genom der Zelle ab. Die Zelle verändert sich, wenn sie dauernd unter Stress und Reiz steht. Die möglichst tägliche Behandlung ist notwendig, damit der Patient nicht in eine Chronizität hineindriftet. Nach drei bis vier Therapie­einheiten sollte es dem Tier erkennbar besser gehen. Wenn sich kein Trend zur Besserung abzeichnet, ändere ich die Therapie ab. Wird eine Nadel gesetzt, bedeutet das, ich verursache eine Mikrowunde. Diese hat eine Heildauer von vier Tagen. Wenn ich das Tier alle zwei bis drei Tage akupunktiere, wähle ich jedes Mal andere Punkte, da die zuvor gestochenen noch aktiv sind. Ich brauche daher eine Auswahl verschiedener Punkte. Im Falle einer Behandlung zur Regulation muss man die Therapie absetzen, sobald der Patientenorganismus selbst zu regulieren beginnt, damit der Selbstheilungsfortgang des Patienten nicht gestört wird. Wenn das Problem wieder aufflammt, wird die Therapie fortgesetzt. Wie lange ich ein Tier behandeln muss, bis es schmerzfrei ist, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Schmerz ist eine individuelle Empfindung, jedes Tier hat seine eigene Immun- und Reaktionslage. Daher spricht nicht jeder Patient wie der andere auf eine Form der Schmerzbehandlung an. Dies gilt klarerweise auch für den Erfolg sämtlicher schmerztherapeutischer Maßnahmen.

Sie geben Ihr Wissen in Kursen an Tierärzte weiter. Ist das Interesse der Tierärzte an Akupunktur und Neuraltherapie groß?
Gemeinsam mit einem Referententeam halte ich Kurse an der Privaten Akademie für erweiterte Tiermedizin in Bad Wildungen und in Österreich im Rahmen der ­Sektion Ganzheitsmedizin in der Österreichischen Gesellschaft der Tierärzte ab. Es gibt ein steigendes Inte­resse an dieser Fachrichtung, die Kurse sind gut gebucht. Das Curri­culum in Österreich besteht derzeit aus sieben Modulen und wird mit einer Prüfung in den Räumlichkeiten der Vetmed­uni Vienna abgeschlossen. Die Situation in Deutschland ist meiner Meinung nach nicht ganz ideal, da beide Methoden separiert unterrichtet werden müssen. Unser Bestreben ist es, keine Alternativmedizin, sondern Integrativmedizin zu lehren. Bereits den Studierenden sollte vermittelt werden, welche komplementären Methoden es gibt und was diese können. Ziel ist, dass die Tierärzte ihr an der Uni erworbenes Wissen mit dem, was sie sich in Erweiterung aneignen, zum Besten des Patienten kombinieren. Je mehr Möglichkeiten ich kenne, desto größer ist das Potenzial, aus dem ich schöpfen kann.

Die Goldimplantation ist ja auch eine wirksame Methode gegen Schmerzen. Welche Erfahrungen haben Sie da? 
Die Goldimplantation ist eine Art ­Dauerneuraltherapie und wird nach wie vor in erster Linie bei chronisch degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates eingesetzt. Die meisten Patienten haben verschiedene ­Probleme; vor allem, wenn sie älter sind. Grundlegendes Anliegen ist ­daher, die Entstehung potenzieller Schmerzkaskaden möglichst frühzeitig zu erkennen – Stichwort Frühdiagnostik der Hüftsituation. Nach einer eingehenden Diagnostik trachtet man danach, in einer einzigen Sitzung – die beim Kleintier unter Narkose erfolgt, beim Pferd in Sedierung – alle benötigten Stellen zu besetzen. Der Grundgedanke für die Goldimplantation kam aus der Akupunktur. Wir verwenden beim Einsetzen der Goldimplantate auch Akupunkturpunkte. Die Effekte, die wir erzielen, wirken entzündungs- sowie schmerzlindernd und sind auf das Metall Gold zurückzuführen. Wir gehen davon aus, dass es zu einer Beeinflussung des pH-Werts im Bereich des Gewebes kommt, in das das Gold implantiert wurde. Angesprochen auf erfahrungsbasierte Erfolge ist ein Prozentsatz von 85 bis 90 Prozent durchaus realistisch.

Bei unserem letzten Gespräch erzählten Sie mir, dass Sie sich in Ihrer zweiten Doktorarbeit damit beschäftigen, dass die Goldimplantation vor allem bei Patienten mit chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates erfolgreich ist. Konnten Sie den Nachweis dafür erbringen?
Wir konnten interessante Erkenntnisse gewinnen, aber dennoch nicht klären, wie die Goldimplantation wirklich wirkt, da fehlt uns noch der Zugang. Das Problem ist, dass wir für diverse Messungen sehr teure Geräte benötigen würden, die wir nicht haben. Hier wird die Forschung leider nicht unterstützt. Wir haben jetzt unsere Ausrichtung abgeändert und gingen in Richtung demografische Fragestellungen, Befragungen von Besitzern, und nahmen zytologische Experimente vor, die zu spannenden Ergebnissen führten. Der Nachweis, wie Gold in lebendem Gewebe genau wirkt, steht noch aus. Aber ich bleibe dran, denn es ist mir wichtig, erklären zu können, was dahintersteckt. Ich möchte die Therapie mit Goldimplantaten auf ein universitäres Level heben. Das ist die Methode wert. Es ist eine schmerztherapeutische Methode, die völlig nebenwirkungsfrei ist. Es gibt auch keine Gegenreaktionen oder Abstoßungen. Die Goldimplantate bleiben dauerhaft im Körper des Patienten, sie wandern nicht, und der ­Patient kann sein Leben lang schmerzfrei oder schmerzarm bleiben. Wie dauerhaft die Effekte dieser Methode – die ja rein aus der Veterinärmedizin stammt – beim Menschen sind, beobachten die Humankollegen derzeit.

Sind die Kosten für die Methode mit den Goldimplantaten für den Tierhalter sehr hoch?
Ich bin der Ansicht, eine Therapie soll leistbar sein und nicht der Grund dafür, sich als Tierarzt eine goldene Nase zu verdienen. Die Schwankungsbreite bei den Honoraren ist groß, es gibt vereinzelt Tierärzte im Ausland, die sich das teuer bezahlen lassen. Die Therapie mit Goldimplantaten ist eine minimalinvasive Methode, aber man muss das Kleintier in Narkose legen, das Pferd sedieren. Der Zeitaufwand beläuft sich auf bis zu zwei Stunden. Daher kostet diese Behandlung schon etwas, aber ich würde ­sagen, in Österreich ist das für die Tierhalter leistbar.

Haben Sie noch eine Botschaft für die Tierärzte in der Praxis?
Ich finde es wichtig, sich in der Veterinärmedizin mit vielen unterschiedlichen Therapieformen zu beschäftigen, damit man bei der Behandlung aus verschiedenen Methoden wählen und diese gezielt einsetzen kann. So kann man jeden tierischen Patienten individuell behandeln und ­befriedigende Erfolge erzielen.