der Zebrafisch:

ein Schönling im Wasser, ein Star im Labor

Mag. Eva Kaiserseder

Die Zoologin Margit Egg beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Zebrafischen. Anhand dieser Tiere erforscht sie den Themenbereich rund um unseren Schlaf-wach-Rhythmus und die sogenannte „innere Uhr“.

 

2017 wurde der Medizin-Nobelpreis an Chronobiologen verliehen, die den zirkadianen Rhythmus, also salopp gesagt den Schlaf-wach-Rhythmus, auf Zellebene nachgewiesen haben. Wie „mächtig“ und bestimmend ist dieser Bereich der Biologie für unseren Organismus, für Tier und Mensch? 
Die Bedeutung der Zeit für alle Prozesse, die in der Natur vorkommen, wurde in Biologie und Medizin über lange Strecken völlig außer Acht gelassen, im Gegensatz zum Beispiel zur Physik, wo die Dimension der Zeit schon immer Teil der Betrachtung war. In diesen letzten rund 30 Jahren, in denen immer mehr Forscher weltweit die Funktionsweise, die Interaktion mit anderen Signalwegen und die Bedeutung der zirkadianen Rhythmik erforschten, hat sich herausgestellt, dass die innere Uhr sozusagen die zeitliche Koordination für eine große Anzahl von zellulären oder körperlichen Prozessen übernimmt. Wenn man sich vorstellt, bildlich gesprochen, dass ein Mensch im Wasser am Ertrinken ist, dann spielt der Zeitpunkt, an dem ihm ein Rettungsring zugeworfen wird, eine große Rolle für sein Überleben. Und dasselbe, also den „Rettungsring zur richtigen Zeit zu werfen“, ermöglicht die innere Uhr. Das gilt für das Hormonsystem von Mensch und Tier, für die entsprechende Immunantwort, für den Stoffwechsel, den Herzkreislauf und viele andere Bereiche. Die zirkadiane Uhr ist also vielen zellulären und körperlichen Prozessen übergeordnet – und damit sehr mächtig –, weil sie die zeitliche Koordination aller Prozesse übernimmt. Dadurch erklärt sich auch die Beteiligung der inneren Uhr an einer Vielzahl von Erkrankungen, wie zum Beispiel dem metabolischen Syndrom, Diabetes, Arthrose, Osteoporose, Herzkreislauferkrankungen, Tumorerkrankungen und vermutlich noch einigen weiteren.

Welche Ergebnisse haben sich bisher in Ihrer Forschung rund um die Zebrafische gezeigt, gab es Überraschendes? 
Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass die Unterbrechung des natürlichen Schlaf-wach-Rhythmus in Form eines Jetlags über sechs Tage für junge Zebrafischlarven gravierende Folgen hat. Die Tiere wiesen gegenüber Kontrollgruppen, die regelmäßigen Tag-Nacht-Zyklen ausgesetzt waren und insgesamt die gleiche Menge an Licht erhielten, eine um 30 Prozent höhere Sterblichkeit auf. 

Als wir der Sache auf den Grund gingen, fanden wir stark erhöhte Zahlen an roten Blutkörperchen, weil diese nicht mehr aus dem Kreislauf entfernt wurden, wie das normalerweise, also auch beim Menschen, der Fall ist. Die Ausmusterung von roten Blutkörperchen findet in der Milz statt – übrigens auch beim Menschen –, und die Milz ist ein Organ, das von der zirkadianen Uhr reguliert und kontrolliert wird. Diese vielen Blutkörperchen in den „Jetlag-Tieren“ waren also sozusagen „überaltert“, das heißt, ihre Sauerstoffkapazität war verringert, ihre Zellmembranen nicht mehr flexibel genug, um durch winzige Kapillargefäße gut hindurchzukommen, und das Ausmaß an Schäden durch den andauernden Kontakt mit freien Sauerstoffradikalen war erhöht. 

Gleichzeitig konnten wir sehen, dass die Tiere mit unregelmäßiger Beleuchtung auch keine frischen roten Blutkörperchen mehr bildeten. Und zusätzlich wiesen auch die sich entwickelnden Blutgefäße der „Jetlag-Tiere“ starke Unregelmäßigkeiten auf.

In einer weiteren Studie konnten wir zeigen, dass Ausdauertraining oder Sport generell die innere Uhr von Zebrafischlarven takten kann, wie dies auch bei Mäusen und Menschen der Fall ist. Das Besondere daran aber war, dass man bei Säugern immer vermutet hat, dass diese Taktung über eine Erhöhung der Körpertemperatur erfolgt. Da aber Zebrafische wechselwarme Tiere sind, kann diese Erklärung nicht zutreffen. Zebrafische haben in einem 25 °C warmen Wasser 25 °C und in 30 °C warmem Wasser 30 °C Körpertemperatur. Also kann die erfolgte Taktung der inneren Uhr nicht über eine Erhöhung selbiger erfolgt sein. Bei dieser Studie war übrigens das Interesse seitens sportmedizinischer Zeitschriften sehr groß.

In einer weiteren Studie konnten wir zeigen, dass die innere Uhr vom Sauerstoffgehalt der Umgebung abhängig ist und sozusagen „gedrosselt schwingt“, wenn der Sauerstoffgehalt abnimmt. Das ist auch für andere Tiere und natürlich den Menschen relevant, etwa bei Ischämien, die bei Herzinfarkt, Thrombosen oder Schlaganfall auftreten, sowie bei der Schlafapnoe oder beim Aufenthalt in über 3.000 Metern Seehöhe. Im Umkehrschluss steuert aber genau wieder die innere Uhr die Fähigkeit von Zellen und Tieren, mit Sauerstoffmangel umgehen zu können.Und Sauerstoffmangel betrifft nicht nur den Menschen, sondern ist zum Beispiel in aquatischen Lebensräumen eine sehr häufige Herausforderung für Tiere.

Warum forschen Sie zu diesem Thema ausgerechnet am Zebrafisch – was prädestiniert diese Tiere dafür? 
Der Zebrafisch ist tagaktiv – ein Umstand, der gegenüber den nachtaktiven Ratten und Mäusen von Vorteil ist. Und das Genom ist schon sehr lange bekannt, das heißt, dass die Tiere auch von genetischer und molekularbiologischer Seite her sehr gut charakterisiert sind. Sie sind relativ einfach zu halten und weisen hohe Reproduktionszahlen auf. Eine Vielzahl von stoffwechselphysiologischen Vorgängen ist bereits sehr gut bekannt und dem Menschen sehr ähnlich, wie zum Beispiel das blutbildende System. Zudem sind die Zellen des Zebrafischs – wie sonst nur die Zellen der Fruchtfliege – direkt lichtsensitiv. Das heißt, man kann sie einem Tag-Nacht-Rhythmus aussetzen, mit dem sie sich synchronisieren. Diesen Hell-dunkel-Rhythmus erzeugen wir über zeitgesteuerte Lampen im Inneren der Zellkultur-Brutschränke. Das kann man mit Säugerzellen nicht machen. Trotzdem haben wir im letzten Jahr auch Mauszellen in unser Repertoire aufgenommen, um unsere Ergebnisse auch im Säugersystem überprüfen und damit auch besser auf den Menschen übertragen zu können.

Wir haben jetzt oft von der sogenannten „inneren Uhr“ gesprochen. Wie funktioniert sie? Und ist sie bei Mensch und Tier ähnlich gepolt? 
Die innere Uhr ist in allen höheren Lebewesen hierarchisch aufgebaut. Bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln ist die Epiphyse, die Zirbeldrüse, direkt lichtempfindlich, bei allen höheren Tieren erfolgt die systemische Ganzkörperkoordination über das einfallende Licht in der Retina. Die Lichtinformation der Retina wird zum suprachiasmatischen Nukleus übertragen, einer erbsengroßen Struktur, die sich beim Menschen relativ nah hinter der Nasenwurzel befindet. Von dort wird die Information in die Epiphyse weitergeleitet, wo unter anderem das Melatonin in den Pinealozyten gebildet wird. Neuronal und über Hormone werden schließlich vom Gehirn ausgehend die Uhren der inneren Organe und Zellen zeitlich koordiniert. 

Dabei hat sozusagen jedes Organ seinen eigenen zeitlichen Rhythmus: Bei tagaktiven Lebewesen finden Entgiftungs- und Regenerationsprozesse der Leber hauptsächlich in der Nacht statt, während die Niere tagsüber eine erhöhte Filtrationsrate aufweist – sonst müsste man ständig in der Nacht auf die Toilette. Das Herz muss auch tagsüber die höchste Leistung bringen, und sogar die Muskulatur oder die Knorpelzellen in den Gelenken brauchen die Ruhephasen der Nacht beziehungsweise weisen eine erhöhte Leistungsfähigkeit während des Tages auf. Vor allem der Verdauungsapparat ist sehr streng von der
inneren Uhr kontrolliert.

Die zelluläre Uhr wiederum, für deren Charakterisierung im Jahr 2017 der Nobelpreis vergeben wurde, besteht aus zwei Gen- respektive Proteingruppen, die sich gegenseitig regulieren, sodass es zu sogenannten Rückkoppelungsschleifen kommt, die ja auch aus dem technischen Bereich bekannt sind. Ein Teil der Gene respektive Proteine aktiviert den anderen Teil der Gene dazu, hohe Proteinmengen zu produzieren, die sich wiederum hemmend auf sie selbst auswirken. Ein solcher „Durchlauf“ an Genaktivierung, Proteinbildung und Hemmung der ursprünglichen aktivierenden Gene/Proteine dauert circa 24,5 Stunden, hat also den Rhythmus einer zirkadianen Uhr. Würde man sich die Mengen der aktivierenden Proteine und ihrer Gegenspieler anschauen, dann wäre zuerst die Menge der aktivierenden Proteine hoch und die ihrer Gegenspieler noch klein. Innerhalb von circa 24,5 Stunden würde dann aber die Menge der Gegenspieler-Proteine steigen und hemmend auf die aktivierenden Proteine wirken, deren Menge dadurch wiederum kleiner würde. 

Dieser Wechsel an den jeweiligen Proteinmengen kann sehr gut mit einem Uhrpendel verglichen werden und ermöglicht es Zellen tatsächlich, eine innere Zeitwahrnehmung aufrechtzuerhalten. Diese inneren Uhren sind in allen Körperzellen zu finden, der innere Rhythmus von 24,5 Stunden muss aber täglich mit dem äußeren Tag-Nacht-Zyklus abgeglichen werden.

Wie lässt sich der Schlaf-wach-Rhythmus von außen takten – und was bringt die innere Uhr am meisten aus dem Gleichgewicht? 
Die beste Taktung und Synchronisation der inneren Uhr erfolgt über Licht, und je mehr Blauanteil dieses Licht besitzt, umso stärker taktet es. Deshalb bringt auch die Verwendung digitaler Medien – also PC, Handy et cetera – die innere Uhr durcheinander, weil die Bildschirme zum Teil noch einen sehr hohen Blauanteil aufweisen. Generell stellt die künstliche Beleuchtung für Tier und Mensch ein Problem dar, weil sich die Lebewesen noch nicht daran anpassen konnten. Nahrung taktet die Uhr ebenso, und zwar sowohl die Zusammensetzung der Nahrung – also etwa der Anteil von Fetten oder Kohlenhydraten – als auch, wann sie zu sich genommen wird. Auch körperliche Aktivität taktet die Uhr; am besten tut sie das in den Nachmittagsstunden und im Freien.

Für welche Erkrankungen waren die Zebrafische nach dem Stören ihres Schlaf-wach-Rhythmus am anfälligsten? 
Wir haben nur die sauerstoffregulierten Signalwege betrachtet, die letztendlich in die von uns untersuchten Herzkreislaufparameter einmünden. Wir gehen aber davon aus, dass die um 30 Prozent erhöhte Sterblichkeit nicht nur durch eine beeinträchtigte Sauerstoff-Signalverarbeitung entsteht, sondern dass es generell zu einer Vielzahl von Deregulierungen kommt, die die Fitness der Tiere schließlich drastisch senkt. Man weiß ja auch von menschlichen Schichtarbeitern, dass diese ein erhöhtes Herzkreislauferkrankungsrisiko haben; ebenso wie ein erhöhtes Risiko, an Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck oder hormonabhängigen Tumoren zu erkranken. Wir haben also noch jede Menge Forschung vor uns.

Und welche Konsequenzen hat das beim Menschen etwa aus stoffwechseltechnischer, zelltechnischer oder neurologischer Sicht? 
Man weiß bereits, dass die moderne Lebensweise des Menschen mit ihrer Nichtbeachtung der natürlichen Ruhe-phasen an der Entstehung der gerade angeführten Erkrankungen zu einem relativ großen Teil beteiligt ist. Besonders die übermäßige Bestrahlung mit Licht während der Dunkelphasen, gekoppelt mit gleichzeitiger Nahrungszufuhr und dem bereits fast globalisierten Bewegungsmangel der Menschen, führt zu ständig steigenden Zahlen an Diabetikern und Übergewichtigen. Die Störung der inneren Uhr durch diese Lebensweise beeinflusst aber natürlich auch die Entstehung und den Verlauf einer Vielzahl weiterer Erkrankungen.

Wo steht die Forschung aktuell? 
Eigentlich kommen wöchentlich immer mehr neue und zum Teil bahnbrechende Arbeiten und Erkenntnisse heraus. Die Erforschung der inneren Uhr erlebt derzeit sicher ihre Blüte und hat den Zenit noch lange nicht überschritten. Sie wird auch letztendlich zu Änderungen in der Lebensführung des Menschen führen, wenn die Erkenntnisse der chronobiologischen Forschung den medizinischen Arbeitsbereich und die breite Masse der Bevölkerung erreicht haben.