Bettina Kristof
Ausgabe 07-08/2023
Zahnerkrankungen kommen bei Kaninchen und Nagern wie Meerschweinchen, Degus und Chinchillas sehr oft vor. Die häufigsten Probleme, vor allem bei Kaninchen und Meerschweinchen, entstehen durch Zahnfehlstellungen unterschiedlicher Genese.
Wenn die kleinen Patienten Zahnschmerzen haben, fressen sie entweder gar nichts oder viel zu wenig, dies kann das Allgemeinbefinden stark beeinträchtigen. Deshalb sind eine rasche Diagnose und die Behandlung von Zahnerkrankungen bei diesen Tierarten besonders wichtig.
Wir interviewten dazu Dr. Gertrude König, die die Nagerambulanz in Inzersdorf leitet und sich auf die Behandlung von Kaninchen und Nagetieren spezialisiert hat.
Frau Doktor König, an welchen Symptomen erkennt man Zahnerkrankungen bei Kaninchen und Nagetieren?
Meistens ist es so, dass der Tierbesitzer oder die Tierbesitzerin mit Symptomen auf mich zukommt, die an ein Zahnproblem denken lassen. Dazu gehören Verhaltensänderungen; die Tiere ziehen sich beispielsweise zurück, holen sich keine Leckerlis mehr vom Besitzer ab, sitzen teils kauernd in einer Ecke und wirken allgemein sehr ruhig und gedämpft. Andere entwickeln ein selektives Fressverhalten und nehmen nur mehr weiches Futter an, obwohl sie vorher auch anderes und vor allem härteres gefressen haben. Ein weiteres Merkmal, das auf eine Zahnproblematik hinweisen kann, ist vermehrter Speichelfluss. Wenn bei
Kaninchen und Nagern der Speichel aus dem Mäulchen rinnt und das Kinn und das Brustfell nass sind, läuten bei mir alle Alarmglocken, dass ich mir sofort die Zähne ansehen muss. Auch asymmetrisches Kauen oder ein schiefes Gesicht können die Ursache in einem Zahnproblem haben. Manche Besitzer und Besitzerinnen schicken mir kurze Videos von ihrem Tier bei der Futteraufnahme; dann kann ich häufig schon von daher beurteilen, ob ein Zahnproblem
vorliegen könnte. Auch Umfangsvermehrungen am Kieferknochen oder eine geschwollene Backe lassen auf erkrankte Zähne schließen. Niesen und tränende Augen kommen im Zusammenhang mit Zahnerkrankungen ebenfalls vor, wobei die Symptome nicht alle unbedingt gleichzeitig erscheinen müssen. Generell muss ich dazu sagen, dass ich mir die Zähne meiner Patienten bei jedem Besuch, egal aus welchem Grund sie in die Praxis kommen, ansehe, da Kaninchen und Nagetiere ganz einfach sehr häufig Probleme mit den Zähnen haben und dadurch relativ rasch eine lebensbedrohliche Erkrankung des Patienten entstehen kann.
Was sind die Ursachen dafür?
Oft liegt eine starke genetische Komponente vor. Das kommt nicht zuletzt daher, dass immer mehr Rassekaninchen und Rassemeerschweinchen mit besonders seidigem Fell und einem kleinen, rundlichen Kopf gezüchtet werden, um das beliebte Kindchenschema hervorzuheben. Doch wie ich immer sage: Die Schönheit des seidigen Fells, das herzige Aussehen des Köpfchens und die allseits so beliebten Hängeohren der Widder gehen auf Kosten der körperlichen Fitness!
Durch das Herauszüchten des kürzeren Oberkiefers kann es zu einer schrecklichen Malokklusion der Incisivi kommen, wo oft nur mehr die Extraktion dieser Zähne hilft, um dem Patienten – in diesem Fall dem betroffenen Kaninchen – dauerhaft Erleichterung zu verschaffen.
Eine andere Ursache für Zahnprobleme kann unzureichendes oder falsches Futter sein. Zu harte Futtermittel sollten vor allem Kaninchen und Meerschweinchen nicht angeboten werden, da es dadurch häufig zu Zahnfrakturen kommt, oder zu Fehlbelastungen einzelner Zähne beim Kauen, was wiederum zu Entzündungen und Abszessen führen könnte.
Weiters können Zahnprobleme auch traumatische Ursachen haben, wie zum Beispiel Stürze aus den Händen der Besitzer, bei Vergesellschaftung von mehreren Tieren im Gehege oder bei panischem Fluchtverhalten. Daraus resultieren häufig Prellungen und Frakturen der Incisivi mit eventuell später entstehenden Malokklusionen.
Wie gehen Sie bei der Diagnose vor?
Schritt eins ist die Adspektion. Ich schaue dabei meinem Patienten ins Gesicht und prüfe, ob er einen vermehrten Speichelfluss hat, ob das Brustfell nass ist, ob er ein schiefes Gesicht hat oder ob es Schwellungen im Kieferbereich gibt. Der zweite Schritt ist dann die Palpation; ich greife mit den Fingern die Ober- und Unterkieferäste ab, ich taste, ob es eine Schwellung oder eine Umfangsvermehrung gibt und ob alles schön symmetrisch ist. Dann untersuche ich die Maulhöhle mit dem Otoskop. Wenn die Zähne unregelmäßig sind, Farbveränderungen oder Spitzen zeigen, dann lege ich meinen Patienten in Narkose und fertige Zahnröntgen in mehreren Ebenen an. Dann kann ich auch die Maulhöhle genauer inspizieren und prüfe, ob es lockere Zähne oder Zahnspitzen gibt. Wenn die
Auswertung der Röntgenbilder keine größeren Probleme zeigt, kann ich die Zähne mit meinen rotierenden Instrumenten einschleifen, damit die physiologischen Verhältnisse möglichst wiederhergestellt werden. Bei speziellen Fragestellungen überweise ich den Patienten für eine CT-Untersuchung an größere Kliniken.
Wie oft sollen die Zähne von Kaninchen und Nagetieren kontrolliert werden?
Bei zahngesunden Patienten empfehle ich zweimal im Jahr eine Kontrolle, dabei überprüfe ich den Zustand der Zähne mit dem Otoskop. Wenn es Wellen oder Zahnspitzen zu sehen gibt, lege ich den Patienten in Narkose, um weitere Maßnahmen treffen zu können.
Bei Problempatienten, die ich kenne und schon behandelt habe, empfehle ich eine Zahnkontrolle – je nach Tierart alle zwei bis drei Monate; beim Kaninchen und speziell beim Meerschweinchen eher öfters, da sich die Malokklusionen besonders bei Letzterem sehr schnell nachbilden. Bei Chinchillas und Degus wachsen die Zähne deutlich langsamer, daher können die Kontrollen in größeren Abständen stattfinden, sollten aber drei Monate bei bekannten Problemen nicht überschreiten.
Generell muss man sich aber dem jeweiligen Patienten anpassen und man erkennt sehr schnell, wann eine Kontrolle bei diesem oder bei jenem sinnvoll und angebracht ist.
Welche Ernährung ist für die Gesundheit der Zähne empfehlenswert?
Man sollte dabei zwischen Sommer- und Winterfütterung und einer speziellen Ernährung für Zahnpatienten unterscheiden. Kaninchen und Meerschweinchen bekommen ähnliches Futter: Im Sommer sollte man Futter von der Wiese anbieten, sowie frische Äste, kleine Zweige und Kräuter wie etwa Spitzwegerich, Breitwegerich, Schafgarbe; oder etwas aus dem Garten, wenn möglich Himbeer-, Erdbeer- oder Apfelblätter et cetera. Im Winter gibt’s dann Heu, getrocknete Kräuter und Blätter, ein wenig Gemüse und Salate. Vor allem bei Gemüsen und Salaten sollte man aber darauf achten, was das einzelne Tier gut verträgt,
und die Ration dementsprechend anpassen. Die anderen Nager bekommen je nach Tierart spezifisches Futter – eine Beschreibung würde hier zu sehr ins Detail
führen.
Für Patienten, die Probleme mit den Zähnen oder fehlende Zähne haben, empfehle ich spezielle Heupellets, die relativ viel Rohfaser enthalten und sehr gut verträglich sind. Diese sollten vor dem Füttern kurz unter warmes Wasser gehalten werden; somit bekommen sie, wie ich immer sage „eine Konsistenz, die einem Schokokuchen ähnelt“, und können somit von den sogenannten „Zahnis“ gut und gerne aufgenommen werden. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, und oftmals verbessert sich damit das Zahnbild noch etwas.
Kontakt:
www.tierambulatorium-inzersdorf.at
www.nagerambulanz.at