„Wir sind

Profiler“

Mag. Eva Kaiserseder

Sie sind Archäozoologe. Wie kommt man zu so einem ungewöhnlichen Forschungsgebiet
Archäologie hat mich immer interessiert, schon während meines Studiums der Veterinärmedizin, allerdings „nur“ als Privatperson. Denn eigentlich war ich zu Anfang meiner akademischen Karriere ja in der Anatomie, genauer gesagt in der Experimentellen Anatomie, unterwegs. Dann kam allerdings ein Anruf genau zur richtigen Zeit: Ein Archäologe, dem ich Jahre zuvor mit der ziemlich laienhaften Bestimmung eines Sauschädels aus Teurnia (Römerstadt im heutigen Kärnten, Anm. d. Red.) geholfen habe, hat sich an mich erinnert und mich gefragt, ob ich Tierreste in Griechenland für ihn untersuchen würde. Tatsächlich in Griechenland vor Ort, weil es sehr schwer ist, derartige Funde zu importieren. Ich habe spontan zugesagt, das zu machen, und es war eine sehr gute Entscheidung. (lacht) Das war 1987 und seither habe ich natürlich auf vielen Grabungen im Mittelmeerraum gearbeitet. Wobei die wichtigste davon sicherlich Ephesos war und ist. 

Dort haben die Vetmeduni Vienna und das Österreichische Archäologische Institut ja vor Ort das „BoneLab“ gegründet.
Genau. Vor zwei Jahren wurde das BoneLab in Ephesos als archäozoologische Forschungseinrichtung gegründet und neben anderen Facilitys vor allem – ganz wichtig für Archäozoologen zu Beginn ihrer Karriere – mit einer sehr guten Vergleichssammlung ausgestattet. Leider ist es aktuell durch die politisch begründete Schließung der österreichischen Grabung in Ephesos außer Betrieb, wir nehmen aber an, dass wir in absehbarer Zeit wieder Zugang erhalten werden. Meine Kollegen Gerald Weissengruber und Alfred Galik, wie ich ebenfalls am Institut für Anatomie, Histologie und Embryologie, haben dort viel gemeinsam mit mir gearbeitet; überhaupt ist der zirkummediterrane Raum unser wichtigstes Forschungsgebiet, also die Türkei, Griechenland, Ägypten oder Italien. Obwohl ich nach wie vor als Anatom lehre und forsche und außerdem Veterinärhistoriker bin, liegt mein wissenschaftlicher Schwerpunkt, dem ich die meiste Aufmerksamkeit widme, eindeutig auf der Archäozoologie. 

Wie beschreiben Sie das Fach jemandem, der sich darunter wenig vorstellen kann?
Um es auf einen kurzen gemeinsamen Nenner zu bringen: Wir sind wie die Profiler in der Kriminologie. Wir versuchen, aus Abfällen verschiedener Bevölkerungsgruppen vergangener Epochen herauszufinden, wie diese Menschen gelebt haben. Anhand von Tierresten lässt sich zum Beispiel die Wirtschaftsform herauslesen: Wurden Rind, Ziege oder Schwein nur gegessen oder gab es eine sekundäre Produktion, also Milch und Wolle? Oder wenn beispielsweise eine große Menge an Pferdeknochen gefunden wurde, gab es dann „nur“ Pferdezucht oder gab es auch Bedarf an Maultieren? Das, was uns interessiert, ist die soziale Komponente dabei; wir untersuchen sozusagen die nicht schriftlichen Quellen zur Mensch-Tier-Beziehung. Ganz spannend ist auch das Thema Religion. Ich habe die Ehre gehabt, die Tierreste aus dem Artemision von Ephesos auszuwerten. Das Artemision war ein berühmter Tempel, der größte der damaligen Zeit, und eines der sieben antiken Weltwunder. Das war eine sehr fundreiche Arbeit und irrsinnig komplex in der Auswertung.

Was ist konkret gefunden worden und welche Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen?
Es hat sich gezeigt, dass Artemis eine vielgestaltige Göttin war. Es gab zwar ihr zu Ehren die üblichen Brandopfer, die allen olympischen Göttern zustanden, und wir haben Bären- und Löwenknochen nachgewiesen, die auf ihre Rolle als Herrin der Tiere und der Jagd deuten. Aber wir haben in Ephesos Hinweise auf eine weitere Erscheinungsform der Artemis entdeckt, die auch einen wesentlichen Aspekt als Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheit umfasst. Verehrt wurde sie ähnlich wie Demeter, die eigentliche Fruchtbarkeitsgottheit. Ein wichtiger Hinweis darauf waren die Überreste von Hunderten Saugferkeln, die im Rahmen eines Festes zu Ehren der Göttin geopfert worden waren. Außerdem haben wir nachweisen können, dass es in Ephesos einen sogenannten Hornaltar aus Wildziegenhörnern gab, der in der antiken Literatur nur durch einen beiläufigen Hinweis bei Eustathios belegt war. Es gab ja zweifellos den berühmten Hornaltar von Delos, den Plutarch zweimal erwähnt hat, und die Legende sagt, Apollo habe den Altar ohne irgendwelche Hilfsmittel für seine Schwester Artemis gebaut. Wir haben in Ephesos die horntragenden Schädelteile von rund 1.500 Ziegen gefunden und konnten damit ein Modell errichten, welches die Bauprinzipien erkennen ließ.

 Wie kann man sich die archäozoologische Arbeit im BoneLab konkret vorstellen?
Aktuell liegt die Forschungsarbeit im BoneLab wie gesagt durch die türkischen Autoritäten leider auf Eis, aber normalerweise bekommen wir das von einem der verschiedenen Grabungsprojekte in Ephesos geborgene Knochenmaterial verpackt und mit einem Fundzettel versehen auf den Tisch. Das läuft nicht anders als mit Objekten aus Bronze, Keramik oder Glas. Ein ganz wichtiges Tool für die richtige Fundzuordnung stellt dabei die Harris-Matrix dar, welche die zeitliche Abfolge der Schichtdeponierungen, die sogenannte Stratifizierung, definiert. Die Bestimmung eines Knochenfundes beginnt übrigens mit der anatomischen Definition: Humerus, Tibia – was hat man überhaupt vor sich? Erst dann ordne ich den Fund einer Tierart zu. Anhand von diversen Deskriptoren lassen sich dann unter Umständen auch Parameter wie das Todesalter oder das Geschlecht des Tieres bestimmen. Aussagekräftig sind zum Beispiel auch Hackspuren, anhand derer man sagen kann, ob das Tier von einem Profi zerteilt wurde oder „nur“ von einem Hausknecht.

Was waren die Highlights neben dem Artemision?
Definitiv die prunkvoll eingerichteten Hanghäuser, die in der römischen Antike als Wohnstätten für besonders Reiche dienten. Dort wurde sehr italisch orientiert gelebt, die Menschen dort hatten sozusagen den stadtrömischen Stil weitergelebt oder auch importiert und dementsprechend die in ihren Abfällen nachweisbare Cucina Italiana gepflegt. Ganz wichtig sind auch die Befunde vom Cukurici Höyük, einem prähistorischen Siedlungshügel nahe Ephesos. In Kooperation mit OREA, einem archäologischen Institut an der Akademie der Wissenschaften, wurden hier die ersten verlässlichen Daten zur jungsteinzeitlichen Haustierhaltung an der Westküste der Türkei erschlossen, besonders Kollege Galik hat sich dabei sehr verdient gemacht. 

Ein Schwenk zur Veterinärgeschichte: Welche Zäsuren gab es denn im letzten Jahrhundert in der Tiermedizin?
Grundsätzlich kann man sagen: Alles, was in der Humanmedizin entwickelt wurde, hat auch die Veterinärmedizin mit etwas Verzögerung erreicht, seien es Antibiotika oder gute Narkosesysteme. Einen ganz wesentlichen Sprung gab es in den letzten Jahrzehnten in der Nutztiermedizin. Die Bestandsbetreuung als Reaktion auf die Intensivtierhaltung ist ein wesentliches Thema geworden und hat zu Entwicklungen in Diagnose, Therapie und Prophylaxe geführt, die es so vorher nicht gab. Das ist dem Umstand geschuldet, dass es eben nicht mehr um das Einzeltier, sondern um einen Gesamtbestand geht. In der Heimtiermedizin gab es diesen radikalen Sprung nicht. Vielmehr gibt es eine zunehmende Spezialisierung, die wir in der Branche ja alle wahrnehmen und kennen. 

Diesem Spezialistentum wurde durch die Einführung der Fachtierärzte Rechnung getragen, die es seit den frühen 90ern gibt. Die Uni hat schon im vergangenen Curriculum ein auch in der neuen Studienordnung weitergeführtes Modell eingeführt, welches für die Studierenden im letzten Jahr der Ausbildung eine Entscheidung für ein bestimmtes Schwerpunktmodul innerhalb der tierärztlichen Profession vorsieht. 

Die Wiener Vetuni hat ja vor zwei Jahren das 250-jährige Bestehen gefeiert. Wie sehen Sie deren Rolle im historischen Kontext?
Um 1900 waren wir absolute Vorreiter. Es gab ein paar wesentliche Persönlichkeiten, die dazu beigetragen haben und ihre Fächer jeweils vorangetrieben haben; Joseph Bayer etwa, der der Begründer der Veterinär-ophtalmologie war. Oder Otto Schindelka, der als Erster ein funktionierendes Endoskop vorgestellt hat. Auch von der Ausbildung her waren die Wiener ganz vorne dabei. Bayer hat als Vorstand der Chirurgie und später als Rektor das klinische Rotationssystem eingeführt und vor allem die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden in der Patientenbetreuung extrem gefördert und gefordert, was ja heute international gang und gäbe ist. Damals wurde auch der bedeutende Ruf der Wiener Schule begründet. 

Und wo ist die Vetuni heute angesiedelt?
Ich würde sagen, wir sind im Mittelfeld, was auch den Unirankings entspricht. Bei den diversen Rankings geht es ja oftmals um das Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden, und nachdem wir sehr viele Studierende haben, wird sich das nicht so schnell ändern. Der Ruf ist nach wie vor ein guter.