Wintersterblichkeit

von Bienenvölkern und „Coloss“

Dr. Robert Brodschneider
Institut für Biologie, Universität Graz,
Mitglied der Fachtierarztkommission Bienen

Dass Bienenvölker den Winter manchmal nicht überleben, hat in den letzten Jahren auch die Öffentlichkeit aus den Medien erfahren. Woran das liegen könnte, was das für den Menschen bedeutet und was dagegen getan werden kann, ist schon seit mehreren Jahren Forschungsschwerpunkt an der Universität Graz.

An der Universität Graz forschen Wissenschaftler­generationen schon seit Jahrzehnten an der ­Honigbiene, begonnen hat es mit dem Nobelpreisträger Karl von Frisch, der in den 1940ern einige Jahre in Graz tätig war. Im heurigen Frühjahr werden bereits zum 15. Mal in Österreich die Winterverluste von Bienenvölkern erhoben, um einen Überblick über die Höhe der Ausfälle zu bekommen, aber auch, um Best-Practice-Methoden zu identifizieren. In der Wissenschaft wird vorwiegend ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren angenommen, die zum Völkerzusammenbruch dieses in der Theorie sogar unsterblichen Superorganismus führen (Abbildung 1).

Eine Reihung der Wichtigkeit der einzelnen Faktoren halte ich für nicht zielführend. Je nach Sensitivität der gewählten Untersuchung wird man in jeder Bienenprobe Schuldige finden – seien es Viren oder Pestizide; von der omnipräsenten Varroamilbe gar nicht zu sprechen. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass eine gewisse Sterberate „normal“ ist, welche ja letzten Endes die Basis für natürliche Auslese und damit evolutionäre Anpassung darstellt. Mehrere Faktoren wurden in den beiden Grundlagenforschungsprojekten „Zukunft Biene“ (1 und 2), die von 2014 bis 2021 gelaufen sind, systematisch und ­intensiv erforscht. In diesem Artikel möchte ich einen kurzen Überblick über die bisher herausgefundenen Fakten geben und die für die Forschung maßgebliche Vereinigung von 1.800 Wissenschaftlern aus mehr als 100 Ländern zur Vermeidung von Völkerverlusten namens ­COLOSS vorstellen (www.coloss.org).

Die Winterverluste der letzten 14 Jahre lagen in Österreich bei durchschnittlich 16 Prozent, das ist ein Wert, der auch bei internationalen Vergleichen einen oft gefundenen Winterverlust darstellt (Abbildung 2). Der jährliche wirtschaftliche Schaden durch Winterverluste für den Imkerei­sektor wurde für Österreich auf 32 Millionen Euro geschätzt (Popovska Stojanov et al., 2021)! Bemerkenswert ist allerdings die in manchen Jahren (oder Regionen) sehr hohe Sterblichkeit (über 25 Prozent) sowie die Tatsache, dass manche Imkereien hohe und andere gar keine Verluste erleiden. Letzteres deutet auf imkereitechnische Ursachen hin.

Tatsächlich konnten wir feststellen, dass geringe Verluste oft mit einer „professionellen“ Form der Bienenhaltung assoziiert sind, wobei professionell hier nicht (nur) mit der Völkerzahl gleichzusetzen ist, sondern durch einige erfolgreiche Betriebsweisen gekennzeichnet ist. ­Beispiele dafür sind die Wanderimkerei, große Völkerzahl, ein ­eigener Wachskreislauf oder die richtige Anwendung bestimmter Arzneimittel zur Bekämpfung der Varroamilbe (Ober­reiter & Brodschneider, 2020). Diese ­Betriebsweisen können nicht als Generalrezept für geringe Verluste herhalten, es gilt aber in der Imkerei wie in anderen Bereichen, dass von den Erfolgreichen gelernt werden kann.

Zur Varroabekämpfung kann gesagt werden, und dies wurde kürzlich von Hernandez et al. (2022) in der Schweiz bestätigt, dass eine gründliche, den Empfehlungen folgende Strategie am besten abschneidet. Kompetenten Rat, Informationsmaterial und Schulungen zur Varroa­bekämpfung gibt es bei der AGES, der Biene Öster­reich, den Imkerschulen und bei Fachtierärzten. Im Rahmen von COLOSS haben wir die in Europa angewandten Varroakontrollstrategien empirisch verglichen und eine Ost-West-Segregation festgestellt: Im Osten und Westen Europas dominieren (allerdings unterschiedliche) synthetische Akarizide, während im Zentrum (von Skandinavien bis Italien, den deutschsprachigen Raum einschließend) vorwiegend organische Säuren und ätherische Öle herangezogen werden. Details zu diesen vermutlich legislativ, historisch und ­kulturell bedingten Unterschieden in der Parasitenbekämpfung werden in Kürze veröffentlicht.

In einer im Rahmen von „Zukunft Biene“ von der Ages gemeinsam mit Bienenseuchensachverständigen in ganz Österreich durchgeführten Feldstudie konnte der Zusammenhang zwischen dem Befallsgrad der Völker mit der Varroamilbe und der Wintersterblichkeit nachgewiesen werden (Morawetz et al., 2019). Die Ergebnisse der im Rahmen des zweiten „Zukunft Biene“-Projekts von der Ages durchgeführten Feldstudie sind im Projekt­endbericht (siehe www.zukunft-biene.at) erschienen. Hier konnte ein Zusammenhang zwischen Viren und Winterverlusten hergestellt werden. Virosen, oft übertragen durch die parasitische Milbe, sind durch die Bekämpfung der Milbe teilweise in Schach zu halten.

Basierend auf den seit Jahren in Österreich erhobenen ­Daten erstmals empirisch untersucht wurde der Einfluss des Wetters auf die Wintersterblichkeit von Bienen­völkern (Switanek et al., 2017; Becsi et al., 2021). Dieser Faktor spielt verglichen mit anderen nur eine untergeordnete Rolle, kann aber dennoch einen bestimmten Anteil der Winterverluste erklären. So steuert das Wetter die aktive Bienensaison und damit auch die Reproduktionsmöglichkeiten der Milbe, die Verfügbarkeit von Nahrungspflanzen und damit den Völkeraufbau im Sommer, die Einwinterung und natürlich auch die Überwinterung.    

Die Non-Profit-Vereinigung COLOSS hat beginnend mit 2008 anerkannte Standards zur Erforschung der Honigbiene, vor allem der Bienengesundheit, aufgestellt. Die hier vorgestellte Datenerhebung wird zum Beispiel in ­Abstimmung mit dem „Monitoring Core Project“ durchgeführt, was den Vorteil hat, dass mit international vergleichbaren Methoden gearbeitet wird. Die Völkersterblichkeit ist nicht auf Österreich beschränkt, Erkenntnisse aus anderen Ländern können so auf unser Land umgelegt beziehungsweise Datensätze zusammen ausgewertet werden. Insgesamt drei solcher „Core Projects“ werden von COLOSS betrieben, unter anderem auch noch zur Untersuchung, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zur Bienengesundheit am besten in der Imkerei angewandt werden („B-Rap“), und das „Beebook Core Project“.

In diesem mittlerweile drei Bände umfassenden Werk zur Bienenforschung sind mehr als 500 ­wissenschaftliche ­Methoden detailliert beschrieben, von der Probennahme bis zur Laboranalyse – und das alles frei zugänglich, sodass in jedem Land nach den besten Methoden gearbeitet werden kann und die Ergebnisse vergleichbar sind. In acht weiteren, „Taskforces“ genannten Arbeitspaketen wird gezielt und wiederum von internationalen Teams unterschiedlichen Fragestellungen nachgegangen, etwa den Viruserkrankungen der Honigbiene, der durch natürliche oder züchterische Auslese von Völkern entstandenen Varroatoleranz oder den in Ausbreitung befindlichen Bienenplagen Vespa velutina, einer aus Asien stammenden Hornisse, und Aethina tumida, dem kleinen Bienenstockkäfer.

Eine Spezialausgabe mit Berichten über alle Aktivitäten von COLOSS ist soeben in „Bee World“ (Aus­gabe 99-1) erschienen und vollständig frei zugänglich. Die Erhebung der Winterverluste geht in Österreich in die 15. Runde. Sprechen Sie Imkerinnen und Imker gezielt an, an der Untersuchung teilzunehmen – sie helfen damit der Forschung an unserem Lieblingsinsekt!

Alle Informationen zur Teilnahme finden Sie auf:
www.bienenstand.at

Literatur
Becsi, B., Formayer, H. & Brodschneider, R. (2021). A biophysical approach to assess weather impacts on honey bee colony winter mortality. Royal Society Open Science, 8 (9), 210618.
Hernandez, J., Hattendorf, J., Aebi, A. & Vincent, D. (2022). Compliance with recommended Varroa destructor treatment regimens improves the survival of honey bee colonies over winter. Research in Veterinary Science, 144.
Morawetz, L., Köglberger, H., Griesbacher, A., Derakhshifar, I., Crailsheim, K., Brodschneider, R. & Moosbeckhofer, R. (2019). Health status of honey bee colonies (Apis mellifera) and disease-related risk factors for colony losses in Austria. PloS one, 14 (7), e0219293.
Oberreiter, H. & Brodschneider, R. (2020). Austrian COLOSS survey of honey bee colony winter losses 2018/19 and analysis of hive management practices. Diversity, 12 (3), 99.
Popovska Stojanov, D., Dimitrov, L., Danihlík, J., Uzunov, A., Golubovski, M., Andonov, S. & Brodschneider, R. (2021). Direct Economic Impact Assessment of Winter Honeybee Colony Losses in Three European Countries. Agriculture, 11 (5), 398.
Switanek, M., Crailsheim, K., Truhetz, H. & Brodschneider, R. (2017). Modelling seasonal effects of temperature and precipitation on honey bee winter mortality in a temperate climate. Science of the Total Environment, 579, 1581–1587.