Wild lebende Honigbienen

im Nationalpark Kalkalpen

Dr. Vinzenz Loimayr
Fachtierarzt für Bienen und Wiederkäuer

Die Honigbiene Apis mellifera ist weltweit bedroht. Man geht davon aus, dass ein von Menschen unbegleitetes Überleben aus verschiedenen Gründen auf Dauer nicht mehr möglich ist. Es gibt zahlreiche Bemühungen, diese Entwicklung umzukehren, und viele Beobachtungen, ob es nicht doch Honigbienenvölker geben könnte, die ohne menschliches Zutun Überlebensstrategien entwickelt haben – so gibt es zum Beispiel Monitoring auf entlegenen Inseln oder in abgelegenen Gegenden.

In einer Erstuntersuchung zu wild lebenden Honigbienen­völkern im Nationalpark Kalkalpen nach der „Beelining“-Methode von T. D. Seeley konnten im Sommer 2021 tatsächlich wild lebende Honigbienen nachgewiesen werden. Dies ist eine Folgeuntersuchung zu einer diesbezüglich im Jahr 2020 durchgeführten Untersuchung im Wildnis­gebiet Dürrenstein. Durchgeführt wurde diese von Hannes Oberreiter vom Institut für Biologie; Leiter: Prof. Dr. Robert Brodschneider, Universität Graz. Die ­Publikation ist in „Entomologica Austriaca“, Band 28: 25–42, nachzulesen.

Da aber der flächenmäßig größere Nationalpark Kalkalpen frei von betreuten Bienenvölkern und etwaigen Bienen-Belegstellen ist und die von Imkern betreuten Bienenstände rund um den Nationalpark (= „Nationalparkregion“) bekannt sind, wurde für dieses Projekt ein geeignetes Areal ausgewiesen. Die gesamte untersuchte Fläche war damit im Radius von 3.000 m sicher dem Gebiet des Nationalparks zuzordnen (siehe Abb. 1).

Bei dieser Größe des Areals und unter Berücksichtigung der gegebenen Topografie konnte man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Honigbienen aus Imkereien das Gebiet nicht befliegen.Es wurde im Zeitraum Mai bis September wiederholt nach Honig­bienen (Apis mellifera) und Trachtpflanzen gesucht.

Methode

3:2-Zuckerlösung 500 ml + 1 Tropfen Linalool 97 %. Von dieser für Apis mellifera attraktiven Lösung wurden einige Tropfen auf ein Stück Honigwabe geträufelt. Honigbienen wurden mit einer Fangvorrichtung (Abb. 2) gefangen und circa zehn Minuten im Dunkeln auf dieser Wabe gehalten. Damit sollte eine ergiebige Trachtquelle simuliert werden, und es wurde gehofft, dass nach Freilassung der Bienen ihre Artgenossen im Bienenstock zum Anflug auf diese Futterquelle animiert werden würden.

Wurde diese Futterquelle gut angeflogen, wurden die Bienen markiert (Abb. 3), die Flugrichtung bestimmt und die Zeit gestoppt, bis sie wiederkamen. Laut einem Zeit-Weg-Diagramm (Abb. 4) konnte auf die Entfernung zum Bienenvolk geschlossen werden. Im Idealfall schneiden sich die Flugrichtungen von verschiedenen Beobachtungsstellen. Damit konnte der Standort des Bienenvolks eingegrenzt werden.

Ergebnis

Mehrmals wurden Honigbienen gefunden und deren Anwesenheit dokumentiert. Aufgrund der schwierigen Topografie in diesem Areal konnte aber leider kein Bienen-volk direkt geortet, sondern nur der wahrscheinliche Aufenthaltsort kleinräumig eingegrenzt werden. Da die kürzesten dokumentierten Flugzeiten bei 15 Minuten lagen, war damit eine Entfernung von circa 2,5 km zum Bienenvolk anzunehmen. Gleichzeitig zeigte die eingeschlagene Flugrichtung ins Zentrum des Nationalparks. Nach den festgestellten Flugzeiten und Flugrichtungen der einzelnen Bienen konnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich zu diesem Zeitpunkt zumindest ein wild lebendes Honigbienenvolk im Nationalpark befand. Da auch wiederholt Pollensammlerinnen mit Pollenhöschen angetroffen und gefangen wurden, konnte von Bruttätigkeit ausgegangen werden. Auf verschiedenen Trachtarealen (Krahlalm, Werfneralm, Langmoos) konnte ein Verhältnis von -circa zehn bis 20 Wildbienen pro Honigbiene beobachtet werden.

Diskussion

Aufgrund der Flugrichtung, der Flugdistanz und des Vorhandenseins von Pollensammlerinnen kann zurzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit von zumindest einem wild lebenden Honigbienenvolk im Nationalpark Kalkalpen ausgegangen werden. Aus den durchgeführten Untersuchungen bekamen wir so manche Antworten, aber es taten sich in diesem hochinteressanten Bereich wesentlich mehr Fragen auf, die vielleicht in zukünftigen Projekten beantwortet werden können.

Z. B. kann nicht beurteilt werden, ob es dabei zu einem Konkurrenzdruck mit Wildbienen kommt, weil es dazu sehr zahlreiche und widersprüchliche Publikationen gibt („Wildbienen Deutschlands“, Ulmer Verlag S. 316–319). Auch hier könnten weitere Untersuchungen in unterschiedlichen Höhenlagen (der Nationalpark erstreckt sich von 330 m bis auf eine Seehöhe von 1.963 m) Aufschlüsse geben und bei oligo- und polyelektischen Arten neue Erkenntnisse bringen.

Sollten Honigbienenvölker langfristig im Nationalpark überlebensfähig sein, müsste abgeklärt werden, welche Rolle der möglicherweise doch nur niedrige Infektionsdruck durch sporadisches Vorkommen spielt. Inwieweit die vorhandene Genetik züchterisch genutzt werden könnte, bleibt vorerst Spekulation. Untersuchungen bezüglich Milben- und Virenbelastung in den Wildbienenpopulationen und eine etwaige Übertragung auf und von Honigbienen stehen ebenfalls aus.

Es bedarf also Langzeituntersuchungen, um abzuklären, ob wild lebende Honigbienenvölker in der Lage sind, langfristig in der unberührten Natur des Nationalparks zu überleben. Es ist jedenfalls ein wenig erforschtes, hochinteressantes und wesentliches Wissensgebiet, das auch von Tierärzten, allerdings fernab ökonomischer und betriebswirtschaftlicher Aspekte, erobert werden kann. Da in Zukunft auch in der Nutztierhaltung Klimarelevanz, Ökobilanz und nachhaltig ausbalancierte Ziele essenziell etabliert werden müssen, ist die Beschäftigung mit unberührter Natur ein gutes Training für (Nutz-)TierärztInnen.

Danksagung:
Bei folgenden Personen möchte ich mich für die Unterstützung bei diesem Projekt bedanken: Nationalparkdirektor DI Volkhard Maier; Prof. Dr. Robert Brodschneider, Universität Graz, Institut für Biologie; Hannes Oberreiter, Autor der ersten diesbezüglichen Publikation im Wildnisgebiet Dürrenstein, Universität Graz, Institut für Biologie; NP-Luchsexperte DI Christian Fuxjäger; NP-Insektenexperte Dr. Erich Weigand; Revierförster Franz Jocher, ÖBF-Forstbetrieb Steyrtal, Forstrevier Reichraming