Wie Enten die Welt sehen

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Enten, Schwäne und Gänse haben einen überraschend unterschiedlichen Blick auf die Welt, wie Forschende nun herausgefunden haben. Demnach ist die Form und Größe ihres Sehfelds davon abhängig, wie sie ihre Nahrung beschaffen: So können zum Beispiel Stockenten, die bei der Nahrungssuche mit dem Kopf unter Wasser tauchen, nur in einem schmalen Bereich scharf sehen, dafür aber parallel den gesamten Himmel nach Greifvögeln absuchen.

Forschende um Jennifer Cantlay von der Royal Holloway University of London haben nun erstmals untersucht, wie verschiedene Wasservögel die Welt sehen und wie die unterschiedlichen Sehvarianten mit dem Fressverhalten der Tiere zusammenhängen. Dafür haben sie zunächst das Gesichtsfeld von insgesamt 39 Arten – darunter 31 Enten- und sieben Gänsearten und eine Schwanen-Art – mit einem Ophthalmoskop ausgemessen; einem Gerät, das auch Augenärzte verwenden. Um die Messungen miteinander vergleichen zu können, haben Cantlay und ihre Kollegen drei spezielle Werte erhoben: die Breite und Höhe des binokularen Gesichtsfelds sowie die Position der Schnabelspitze innerhalb dieses Felds. Anschließend glichen die Forschenden diese Daten mit der typischen Ernährung der verschiedenen Wasservögel ab und konnten so Zusammenhänge zwischen Seh- und Fressweise aufdecken.

Das Ergebnis: Obwohl alle untersuchten Vögel zu einer Verwandtschaftsgruppe gehören und in Gewässernähe leben, unterschied sich die Form ihrer Gesichtsfelder deutlich, wie Cantlay und ihr Team berichten. Unter anderem reichte die Breite des binokularen Gesichtsfelds von 16 Grad (bei Schneegänsen) bis 38 Grad (bei Eisenten). Wie das Gesichtsfeld eines Vogels im Einzelnen aussah, hing dabei direkt mit der Art und Weise zusammen, wie er normalerweise an Nahrung gelangt.

So fanden die Forschenden unter anderem heraus, dass Wasservögel, die auf der Suche nach Nahrung nur ihren Kopf ins Wasser stecken, nicht aber komplett abtauchen, die schmalsten binokularen Gesichtsfelder haben; jenes der Stockente ist zum Beispiel nur 19,6 Grad breit. Sie sieht also lediglich einen kleinen Abschnitt scharf und dreidimensional. Das sei für ihren Lebensstil aber auch völlig ausreichend, so Cantlay, denn die Stockente und andere Arten verlassen sich bei der Nahrungssuche ohnehin vor allem auf den Tastsinn in ihrer Schnabelspitze und nicht auf ihre Augen. Diese Fressweise bringt ihnen sogar einen weiteren großen Vorteil: „Ihre geringere Abhängigkeit vom binokularen Feld bei der Nahrungssuche ist gegen eine erhöhte Fähigkeit zur Erkennung von Raubtieren eingetauscht“, erklären die Forschenden. Dementsprechend sind etwa die Augen von Stock- und Löffelente so positioniert, dass sie vertikal in einem 210-Grad-Winkel sehen und dadurch stets Greifvögel am Himmel im Blick behalten können.

 

Quelle: „Proceedings of the Royal Society B“: Biological Sciences, 2023; doi: 10.1098/rspb.2023.1213