West-Nil-Virus

Eine Zoonose auf dem Vormarsch

Sandra Revilla-Fernandez, Elena Lucia Sassu, Irene Zimpernik, Zoltán Bagó, Romana Steinparzer, Friedrich Schmoll (AGES)*

Das West-Nil-Virus (WNV) wurde erstmals 1937 im Norden Ugandas, im sogenannten „West-Nile-District“, im Zuge einer humanen Infektion isoliert. Das WNV ist ein behülltes RNA-Virus, das über Mückenstiche der Gattung Culex übertragen wird, als natürliches Reservoir fungieren Vögel (über 300 Vogelarten). Menschen und andere Säugetiere, insbesondere Pferde, können ebenfalls erkranken, das WNV kann aber weder von Pferd zu Pferd noch von Pferd zu Mensch übertragen werden; sowohl der Mensch als auch das Pferd stellen als Fehlwirt/Endwirt eine Sack­gasse für das Virus dar. Das WNV gehört zusammen mit anderen klinisch relevanten Flaviviren – wie Usutu-Virus, Murray-Valley-Encephalitis-Virus (MVEV), Japanese-­Ence­phalitis-Virus (JEV), Kunjin-Virus, Kokobera-Virus, Alfuy-Virus und St.-Louis-Encephalitis-Virus (SLEV) – zum Japanese-Encephalitis-Virus-Serokomplex. Zu den Flaviviren gehören auch andere für Mensch und Tier pathogene Viren, etwa Tick-borne-Encephalitis-Virus (FSME), Gelbfieber-­Virus, Dengue-Fieber-Virus und Zika-Virus.

Derzeit werden die WNV-Stämme in mindestens acht genetische Linien differenziert, wobei die Linie 1 in drei weitere Cluster – 1a, 1b und 1c – unterteilt wird. In Europa wurden mehrere Linien des WNV isoliert, wobei die Linien 1a und 2 hauptverantwortlich für Infektionen beim Menschen sind. In der Vergangenheit war die WNV-Linie 1a die vorherrschende Linie in Europa, aber seit Anfang der 2000er-Jahre hat sich die Linie 2 durchgesetzt. Seit ihrer Einschleppung in Europa hat sich die WNV-Linie 2 in mindestens 14 europäischen Ländern verbreitet und ist mittlerweile die Hauptursache für Ausbrüche beim Menschen. Sie wurde 2004 erstmals in Ungarn bei Greifvögeln isoliert und konnte seither bei verschiedenen weiteren Tierarten (Pferde, Rabenvögel, Greifvögel, Alpakas, Rinder, Schafe, Hunde) nachgewiesen werden. 

Alle klinischen Formen von ­Pferdeenzephalomyelitiden müssen in Österreich an die zuständige Behörde (Amts­tierärzt*innen) gemeldet werden. Verdachtsfälle werden am AGES-Institut für veterinärmedizinische Unter­suchungen in Mödling untersucht. Infektionen mit dem WNV sind gemäß dem europäischen Tiergesundheitsrecht (AHL), VO (EU) 2016/429 und der DFVO (EU) 2018/1882 sowohl in Österreich als auch in EU und EWR bei Equiden, Vögeln und Menschen überwachungs- und meldepflichtig.

Infektion bei Pferden und Menschen

Pferde haben ein höheres Infektionsrisiko als Menschen, daher treten in einem betroffenen Gebiet klinische Erkrankungen bei Pferden in der Regel zuerst auf. Die Inkubationszeit beim Pferd beträgt drei bis 15 Tage. Die Krankheit verläuft in 90 % der Fälle asymptomatisch. Die klinischen Anzeichen beim Pferd sind oftmals unspezifisch und ähneln vor allem jenen anderer ZNS-Erkrankungen: Häufig sind Symptome wie Fieber, milde Ataxie, Depressionen oder Lethargie, Abstützen des Kopfs, Schwäche der Hinterhand, allgemeine Muskelschwäche, Appetit­losigkeit, Sehstörungen, partielle Lähmungen, Krämpfe und Koma. Bei klinisch erkrankten Pferden verläuft die Infektion bei bis zu 40 % der Tiere letal.
Humaninfektionen verlaufen mit einzelnen Ausnahmen in über 80 % der Fälle asymptomatisch. 20 % der erkrankten Patienten zeigen eine grippeähnliche Erkrankung mit plötzlichem hohem Fieber (= leichtes West-Nil-Fieber), Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Symp­tomen, eventuell Schnupfensymptomen, Lymphknotenschwellungen und Hautflecken. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage. Innerhalb von sieben bis zehn Tagen erfolgt meist ein Abklingen der wichtigsten Symptome. 

Situation in Österreich

Im Jahr 2008 wurden in Österreich erstmals bei Greifvögeln in Wien, Ost-Niederösterreich und der Steiermark klinische WNV-Infektionen der Linie 2 nachgewiesen. Seit damals wurden im Rahmen eines durch das Bundes­ministerium für Gesundheit beauftragten Überwachungsprogramms weiterhin sporadisch WNV-2-Fälle bei Greifvögeln (Falconiformes), Sperlingsvögeln (Passeriformes) und Rabenvögeln (Corvidae, Raben und Krähen), die eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des Erregers spielen, detektiert. 

Seit 2011 läuft ein Überwachungsprogramm über das gesamte Bundesgebiet für WNV-spezifische Antikörper bei Pferden (West-Nil-Virus – AGES). In Österreich wurden die ersten klinischen WNV-Infektionen bei Pferden erstmals im Sommer 2016 nachgewiesen. Danach fanden weitere Fälle in den Jahren 2017 bis 2020 und 2023 bis 2024 statt. In den Jahren 2009, 2010 und 2014 konnten – teils retrospektiv – allerdings humane WNV-Infektionen dia­gnostiziert werden. 

Die AGES führt seit 2011 auch ein Gelsen-Monitoring in Österreich  durch, um die Ausbreitung von exotischen Stechmücken und  Krankheitserregern wie dem WNV zu überwachen (siehe AGES-Homepage zum West-Nil-Virus:
https://www.ages.at/mensch/krankheit/krankheitserreger-von-a-bis-z/west-nil-virus)
An festgelegten Standorten werden Stechmücken gesammelt und klassifiziert, durch molekularbiologische Methoden wird die Infektionsrate der Mückenbestände mit dem WNV und anderen Erregern bestimmt. 

Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) erstellt einen monatlichen Bericht über die gemeldeten Ausbrüche bei Menschen, Vögeln und Pferden in Europa. Da die Übertragung durch Stechmücken erfolgt, treten WNV-Infektionen besonders in Sommer und Herbst auf. Das ECDC geht von einer Übertragungssaison von Juni bis November aus (s. Abbildung 1).

In Österreich zeigt sich dieses Jahr im Vergleich zu den Vorjahren (s. Abbildung 2) eine frühere und ­intensivere Aktivität des WNV. Der erste Nachweis 2024 erfolgte fast zwei Monate früher als im Jahr 2023 (Ende September 2023 bei einem Uhu in Wien): Ende Juli wurde bei einer Nebelkrähe aus dem Burgenland (Bezirk Eisenstadt-Umgebung) WNV-2 nachgewiesen. Besonders in Ostösterreich (Wien, Niederösterreich, Burgenland) werden vermehrt Infektionen bei Menschen und Tieren gemeldet. Angesichts der günstigen Wetterbedingungen für die Übertragung des WNV in der EU werden in den Monaten von August bis November 2024 weitere Fälle beim Pferd und bei Vögeln erwartet.

Informationen zu aktuellen West-Nil-Fieber-Fällen bei Tieren sind im monatlichen Tierseuchenradar der AGES (Tierseuchenradar – AGES) und auf der AGES-Homepage (West-Nil-Virus – AGES) verfügbar. 

Fälle 2024 bei Pferden

Seit Beginn der Übertragungssaison 2024 bis August (Stichtag 13.8.2024) wurden vier neuroinvasive auto­chthone WNV-Infektionen bei Pferden in Österreich nachgewiesen. Betroffen waren Tiere aus den Bundesländern Wien, Niederösterreich (Bezirk Bruck an der Leitha und Bezirk Baden) und Burgenland (Bezirk Neusiedl am See). Laut dem aktuellen ECDC-Monatsbericht für Juli wurden im Jahr 2024 (Stichtag 31.07.2024) bereits acht klinische WNV-Fälle bei Pferden aus Spanien (6), Frankreich (1) und Italien (1) gemeldet. 

Fälle 2024 bei Menschen

Im Jahr 2024 wurden bisher 69 Infektionen bei Menschen (ECDC, Stichtag 31.7.2024) in acht EU-Ländern, inklusive Österreich (2), bestätigt, die meisten davon in Griechenland (31), Italien (25), Spanien (5), Ungarn (2), Serbien (2), Frankreich (1) und Rumänien (1). In Europa gab es Todesfälle in Griechenland (5), Italien (2) und Spanien (1). 

Fälle 2024 bei Vögeln

Bei Vögeln wurden in Österreich bis August 2024 (Stichtag 13.8.2024) fünf WNV-2-Infektionen nachgewiesen. Alle Vögel wurden tot aufgefunden oder hatten klinische ZNS-Symptome. Die Vögel stammten aus Wien (2), dem Burgenland (Bezirk Eisenstadt-Umgebung, 1) und Niederösterreich (Bezirk Krems an der Donau, 1, und Bezirk Gänserndorf, 1). WNV-Infektionen bei Vögeln wurden 2024 innerhalb der EU aus Italien (8) und Deutschland (2) ­gemeldet (ECDC-Monatsbericht für Juli, Stichtag 31.7.2024). 

Labordiagnostik

Für die Untersuchung von Pferdeseren auf WNV-Antikörper werden ein Immunglobulin-G-(IgG)-ELISA, der Antikörper gegen Flaviviren detektiert, sowie ein WNV-IgG-spezifischer ELISA-Test, ein WNV-IgM- oder ein spezifischer WNV-Serumneutralisationstest verwendet. Eine klinische WNV-Enzephalitis wird mit direkten Nachweismethoden (wie RT-PCR, Sequenzierung, Virusisolierung, Pathohistologie oder Immunhistochemie) bestätigt. Differenzialdiagnostisch wird zudem auf andere Erkrankungen (z.  B. Tollwut, FSME, Infektionen mit Equinem Herpes, Virus 1, Bornasche Krankheit usw.) untersucht. Gibt es Hinweise auf das Vorliegen von Japan-Encephalitis-Virus (JEV), Eastern-Equine-Encephalitis-Virus (EEEV), Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV) oder Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus (VEEV), werden die Proben an das Europäische Referenzlabor in Frankreich weitergeleitet. 

Werden nur Antikörper ohne direkten Erregernachweis gefunden, muss sichergestellt sein, dass es sich nicht um einen Antikörpertiter infolge einer vorangegangenen Impfung gegen das WNV handelt (Impfnachweis des Pferds, signifikanter WNV-Antikörper-Titeranstieg in paarigen Serumproben) bzw. ob sich das untersuchte Tier vor der Untersuchung in gefährdeten Gebieten im Ausland (Turniersport!) aufgehalten hat. Nur so kann eine autochthone Infektion von Pferden in Österreich mit großer Sicherheit ausgeschlossen bzw. bestätigt werden. 

Therapie und Prophylaxe

Eine spezifische Therapie einer WNV-Infektion ist derzeit nicht möglich. Klinisch erkrankte Pferde bedürfen einer allgemeinen intensivmedizinischen Betreuung mit symptomatischer Therapie.
Zur Prophylaxe sind in Österreich seit 2008 zugelassene Impfstoffe gegen das WNV für Pferde verfügbar. Die Grundimmunisierung besteht aus zwei Impfungen im Abstand von drei bis fünf Wochen, danach sind jährliche Auffrischungsimpfungen erforderlich. Ein Schutz vor einer Infektion besteht frühestens zwei bis drei Wochen nach der zweiten Impfung. Neben international startenden Turnierpferden sollten auch Freizeitpferde ausreichend gegen diese Krankheit geschützt werden.

Ein effektiver Infektionsschutz besteht darin, Pferde vor Stechmücken zu schützen – folgende Maßnahmen haben sich bewährt:

  • Pferde zu bestimmten Zeiten, in denen die Insekten besonders aktiv sind (Morgen- und Abenddämmerung), von der Koppel zu holen und im Stall zu halten.
  • Einsatz von Mückenrepellents, die für Pferde geeignet  /  zugelassen sind.
  • Anbringen von Mückennetzen und Insektenschutz-Lampen im Stall bzw. Vermeiden von unnötigen Stallbeleuchtungen am Abend bzw. in der Nacht, da die Mücken auch von Licht angezogen werden.
  • Es sollten keine flachen und stehenden Gewässer auf dem Hof und den Koppeln vorhanden sein – stehende, seichte Pfützen, wie man sie z.  B. oft in gebrauchten Reifen, in der Nähe von Misthaufen oder von Entwässerungsanlagen vorfindet, sind ideale Brutstätten für Mücken.
  • In einen Pferdestall sollten möglichst keine Vögel eindringen können bzw. sollten im selben Stallraum keine Hühner gehalten werden, da diese, wie beschrieben, eine Infektionsquelle für Pferde darstellen können. 

Kontakt

Nationales Referenzlabor für Pferdeenzephalomyelitiden inkl. West-Nil-Virus (WNV)
Robert-Koch-Gasse 17, 2340 Mödling
E-Mail: vetmed.moedling-REMOVE-NOSPAM@ages.at 
Telefon: +43 50 555-38112

Weitere Informationen zum WNV sind unter folgenden Quellen verfügbar:

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Tiergesundheit (sozialministerium.at)
Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH): West Nile Fever – WOAH / World Organisation for Animal Health
European Center for Disease Control (ECDC)
Monthly Updates: 2024 West Nile Virus transmission season (europa.eu)

Referenzen

Wodak E, Richter S, Bagó Z, Revilla-Fernández S, Weissenböck H, ­Nowotny N, Winter P (2011): Detection and molecular analysis of West Nile virus infections in birds of prey in the eastern part of Austria in 2008 and 2009. Veterinary Microbiology, 149: 358–366.
Rockstroh A, Moges B, Berneck BS, Sattler T, Revilla-Fernández S, Schmoll F, Pacenti M, Sinigaglia A, Barzon L, Schmidt-Chanasit J, ­Nowotny N, Ulbert S. Specific detection and differentiation of tick-borne encephalitis and West Nile virus induced IgG antibodies in humans and horses. Transbound Emerg Dis. 2019 Jul;66 (4): 1701-1708. doi: 10.1111/tbed.13205. Epub 2019 Apr 29. PMID: 30985075.
Surveillance, prevention and control of West Nile virus and Usutu virus infections in the EU/EEA, technical report, 2023: https://www.ecdc. europa.eu/sites/default/files/documents/Surveillance_prevention_and_control_of_WNV_and_Usutu_virus_infections_in_the_EU-EEA.pdf 
Rushton JO, Lecollinet S, Hubálek Z, Svobodová P, Lussy H, Nowotny N. (2013): Tick-borne encephalitis virus in horses, Austria, 2011. Emerging Infectious Diseases, 19(4): 635-637

*Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
Nationales Referenzlabor für Pferdeenzephalomyelitiden inkl. West-Nil-Virus (WNV)
Robert-Koch-Gasse 17, 2340 Mödling
vetmed.moedling-REMOVE-NOSPAM@ages.at