Ihr neues Buch heißt „Die Honigfabrik“ – ein sprechender Titel. Wie ist so eine Fabrik organisiert?
Ein Bienenvolk, der „Bien“, besteht im Sommer aus rund 50.000 Arbeiterinnen, einer Königin und für wenige Wochen einigen Hundert bis Tausend männlichen Bienen, den Drohnen. Dieser Superorganismus ist in der Lage, sämtliche anfallenden Aufgaben und Probleme gleichzeitig anzugehen, da jede Arbeiterin als Alleskönnerin jede Aufgabe übernehmen kann. Die Festlegung, wer wo und wann was tut, ergibt sich aus der Bereitschaft der einzelnen Bienen und der Information, die sie aus ihrer Umwelt und durch Kommunikation untereinander erhalten. Die Königin sorgt für die Fortpflanzung, die Drohnen begatten jungfräuliche Königinnen aus fremden Völkern.
Was macht den „Bien“ zum Super-organismus, wie kam es dazu? Es leben ja bei Weitem nicht alle Bienen kollektiv.
Alle Mitglieder eines Superorganismus sind alleine nicht lebensfähig. Eine Biene stirbt innerhalb eines Tages, wenn sie von der Gemeinschaft abgeschnitten wird. In einem solchen Superorganismus gibt es nur wenige, bei den Honigbienen sogar nur ein einziges weibliches Mitglied, das Eier legt, und somit die Mutter aller Koloniemitglieder ist. Die Wurzel für diese Form, miteinander zu leben, liegt in der Besonderheit der Verwandtschaftsverhältnisse, die wiederum durch die Tatsache bedingt sind, dass weibliche Bienen aus befruchteten Eiern und männliche Bienen aus unbefruchteten Eiern entstehen. Eine komplizierte Geschichte auf den Punkt gebracht: Es ist für eine weibliche Honigbiene vorteilhafter, ihrer Mutter (der Königin) zu helfen, Schwestern aufzuziehen, als selbst Kinder in die Welt zu setzen. Es gibt weltweit übrigens nur neun bekannte Arten staatenbildender Honigbienen, aber alleine in Deutschland einige Hundert sogenannter Solitärbienen-Arten, Bienen, die keine Staaten bilden.
Die Bestäubungsleistung der Honigbienen steht ja außer Frage. Lässt sich diese in Zahlen fassen, will man deren Wichtigkeit für die Lebensmittelproduktion wissen?
Honigbienen sind in den meisten Regionen der Erde, in denen es Blütenpflanzen gibt, die wichtigsten Bestäuber. Global werden etwa 80 Prozent aller Blütenpflanzen von Insekten bestäubt; das sind 170.000 Arten, von denen wiederum 40.000 ohne die Honigbienen nicht auskommen würden. Die Biene sorgt nicht nur für die biologische Vielfalt, sondern ist eines der wichtigsten Nutztiere des Menschen. Das Umweltbundesamt bewertet sie sogar als drittwichtigstes Nutztier nach Rind und Schwein. Bienen sichern wichtige landwirtschaftliche Erträge und die Nahrungsquellen vieler Tierarten. Eine einzelne Honigbiene kann bis zu 4.400 Blüten pro Tag bestäuben, Schätzungen zufolge werden von den 100 -Pflanzenarten, die über 90 Prozent der Ernährung der Menschen sicherstellen, 71 Arten von Bienen bestäubt. Hierzulande bestäuben die Bienen rund 80 Prozent der Nutz- und Wildpflanzen von der Karotte über die Tomate bis hin zum Klee. Im Jahr 2008 haben französische und deutsche Wissenschaftler erstmals den globalen ökonomischen Nutzen durch die Bestäubung von Agrarpflanzen berechnet und ihn für das Jahr 2005 mit 153 Milliarden Euro beziffert. Laut Bundesumwelt-ministerium beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen durch Bienen und das Bestäuben allein in Deutschland rund zwei Milliarden Euro pro Jahr.
Stichwort Imkerei: Wie steht es um diesen wichtigen Beruf?
Die Honigbiene ist ein Nutztier, vom Menschen gehalten in einer Umwelt, die nichts mehr mit der Welt zu tun hat, an die Bienen als ursprüngliche Waldinsekten angepasst sind. In unseren westlichen Ländern sind die Honigbienen auf den Imker angewiesen. Die Anzahl der Imker nimmt bei uns erfreulicherweise zu, mit einem ebenfalls erfreulichen Trend: Die Imkerschaft wird zunehmend jünger und auch weiblicher.
Welche Fähigkeiten sind an den Bienen ganz und gar außergewöhnlich in der Insektenwelt?
Für Honigbienen ist es extrem wichtig, von kilometerweiten Ausflügen nach Hause zurückzufinden, es ist ex-trem wichtig, sich im dunklen Stock zu orientieren und dort und draußen im Feld mittels spezifischer Signale untereinander Botschaften auszutauschen. Sie müssen sehr rasch lernen, wie Blüten aussehen und riechen, wie die unterschiedlichen Blütengestalten behandelt werden müssen, um an den Nektar heranzukommen, etc. Um all dies leisten zu können, hat die Natur die Bienen mit für Insekten sehr ungewöhnlichen kognitiven Fähigkeiten ausgestattet, mit einer regelrechten „Bienenintelligenz“.
Der sagenumwobene Schwänzeltanz der Bienen: Karl von Frisch hat ihn Mitte der 60er-Jahre decodiert und dafür den Nobelpreis bekommen. Wie ist der aktuelle Wissensstand rund um diese Kommunikationsform der Bienen?
Einige der sehr wichtigen Entdeckungen durch Karl von Frisch rund um die Fähigkeit der Honigbienen, Nestgenossinnen zu bestimmten Punkten in der Landschaft zu rekrutieren, wurden zu folgendem einfachen Modell zusammengefasst: Der Bienentanz verrät interessierten Bienen durch die Übermittlung einer Richtungs- und einer Entfernungsinformation (Vektorangabe), wo genau sich das Ziel befindet, zu dem gelockt wird. So findet die rekrutierte Biene das Ziel. Dieses Modell berücksichtigt nicht die Tatsache, dass die Bienen auch außerhalb ihres Bienenstockes soziale Insekten sind und sich auch da verständigen und unterstützen. Erweitert man das einfache alte Modell um diesen Aspekt, kommt man den Gegebenheiten sehr viel näher: Die Information im Tanz ist ungenau, hilft aber sehr, eine Region zu erreichen, in der dann erfahrene Bienen und Blütendüfte die eigentlichen „Zielfindehilfen“ bieten. Das wusste schon Karl von Frisch vor der Entdeckung des Informationsgehaltes im Schwänzeltanz. Aber nach der Idee einer „Tanzsprache“ wurde dieser Aspekt nur noch, wenn überhaupt, als Randnotiz vermerkt, ohne in die Modellbildung und Forschung Eingang zu finden.
Sie sind seit Jahrzehnten Bienenforscher. Was fas-ziniert Sie an Ihrem Forschungsobjekt am meisten?
Die Bienen beherrschen erst den letzten Abschnitt meines Berufslebens, ausgelöst durch eine überraschende Begegnung mit einem Bienenvolk. Wenn man aber mal damit begonnen hat, sich mit Bienen einzulassen, ist man verloren. Das geordnete, koordinierte gemeinsame Vorgehen einiger Zehntausend Bienen eines Volkes übt eine unglaubliche Faszination aus. Im Zusammenwirken ist ein Bienenvolk zu erstaunlichen Leistungen fähig, die eine einzelne Biene nie erreichen kann. Mich fasziniert der Zusammenhalt Zehntausender Mitglieder einer solchen Kolonie, die im Außendienst über mehr als 100 Quadrat-kilometer verteilt sind und trotzdem bestens vernetzt kooperieren und sich im Innendienst eine eigene Welt erschaffen, die sie gegen eine unvorhersagbare Umwelt bestens puffert.
Welche neuen Erkenntnisse der vergangenen Jahre haben Sie am meisten erstaunt?
Zum Verhalten der Bienen: Kognitive Fähigkeiten wie die Tatsache, dass Bienen die Menge von Objekten bis zur Anzahl vier erkennen („zählen“) können und dass sie in der Lage sind, Gemälde anhand typischer Stilmerkmale auseinanderzuhalten, also den entsprechenden Künstlern zuzuordnen. Und zu den körperlichen Eigenschaften: Das komplette Fehlen eines Immunsystems bei den Puppen der Honigbienen – mir ist kein weiteres mehrzelliges Lebewesen bekannt, für das dies ebenfalls gelten würde –, das sich die Bienen nur deshalb leisten können, weil das Bienenvolk seinen Nachwuchs in „Hochreinraum-Isolierstationen“ aufzieht.
Und welche dieser Erkenntnisse haben die Bienen-forschung verändert?
Dazu lässt sich allgemein sagen, dass jede Antwort, die in der Forschung auf eine Frage gefunden wird, zu neuen Fragen führt und die Forschung somit verändert. Dramatische Änderungen in der Forschung kommen aber vor allem auch durch den Einsatz immer neuer Methoden zustande, wie in der Verhaltensforschung dem Einsatz von Markierungsmethoden und Computerprogrammen, die es erlauben, Tausende von Bienen individuell und gleichzeitig zu beobachten und so ein chaotisch erscheinendes Gewimmel Schritt für Schritt zu durchdringen.
Arbeiterbiene, Drohne, Königin: Gerne wird von der Bienendemokratie gesprochen, die kollektiv entscheidet, obwohl es eine klar definierte Monarchin gibt. Wie wird entschieden, wer Königin wird?
Keine Lebensweise einer Tierart taugt ernsthaft als Vorbild für eine andere Tierart, also auch für uns Menschen. Aber es ist schon verführerisch, den Wunsch zu haben, ein derart reibungsloses erfolgreiches Zusammenwirken wie bei den Bienen auf menschliches Zusammenleben zu übertragen. Das klassische Vorbild für den Bienenstaat waren Monarchien, später dann, als man die inneren Abläufe im Bienenvolk besser verstanden hatte, war er als Musterfall perfekter Demokratie zu betrachten. Der wunderbar funktionierende nahezu reine Frauenstaat erfreut Feministinnen und der Luxus einer „stillen Reserve“ an Arbeitskräften kann zum Nachdenken über rigorose Entlassungspolitik anregen. Eine Königin wird übrigens nicht als solche geboren, sie wird gemacht. Die Gemeinschaft entscheidet, welche Larve durch eine ausschließliche Fütterung mit Gelée royale (der sogenannten „Schwesternmilch“) zur Königin wird.
Und wie erklären Sie das, was in Sachen Soziales und Rollenverteilung in einem Bienenstock passiert?
Honigbienen sind extrem anpassungsfähig und plastisch. Das geht sogar so weit, dass, wenn nötig, die Arbeiterinnen einen „Jungbrunnen“ durchlaufen und somit ihre Alterung umdrehen können. Die Anzahl der Bienen, die jeweils mit einer bestimmten Aufgabe befasst sind, wird durch Rückkopplungen innerhalb des Bienenstaates und mit der Umwelt festgelegt. Wir verstehen das alles noch nicht wirklich, können nur staunend die Tatsachen beschreiben.
Medial wird oft der Terminus „Bienensterben“ für die Abnahme der Völker verwendet. Welche Bienenarten sind wo davon hauptsächlich betroffen und was sind neben Pestiziden die Hauptfaktoren dafür?
Die größten Bedrohungen sind zum einen der „Neu“--Parasit Varroa-Milbe, an den die europäischen Bienenrassen nicht angepasst sind. Eine sorgfältige Behandlung der Bienenvölker nach gut ausgearbeiteten Behandlungsvorschlägen macht dieses Problem beherrschbar. Zum anderen sind es Gifte, die wir in den Monokulturen der Landwirtschaft gegen Schadinsekten einsetzen. Solange dieser Weg beschritten wird, sind eine hohe Sorgfalt in der Ausbringung aller Arten von Agrochemie und eine zuverlässige Vorabinformierung der möglicherweise betroffenen Imker unerlässlich. Ideal wäre ein kompletter Verzicht auf derartige Gifte. Weltweit steigt die Anzahl der vom Menschen als Nutztier gehaltenen Honigbienenvölker an. Allerdings gibt es insbesondere in Westeuropa und in den USA ein Problemgemisch, das den Bienen zusetzt und das ohne Lösung langfristig große Probleme machen könnte.
Um die Zukunft der Honigbienen in Europa mache ich mir aber weniger Sorgen als um die sehr bedenkliche Entwicklung der Insektenbestände allgemein. Die Honigbienen lassen sich als „Haustiere“, zu deren Haltung eine jahrtausendealte Erfahrungsbasis vorliegt, besser schützen und behüten als die Wildinsekten. Die Probleme, unter denen die Honigbienen leiden, betreffen alle Insekten, so auch die solitären, einzeln lebenden Wildbienen, ebenfalls wichtige Bestäuber der Blütenpflanzen. Hier ist der Rückgang der Arten- und Individuenzahl dramatisch.Helfen wir den Honigbienen, helfen wir auch allen anderen Insekten, den Vögeln – und letztlich uns selbst.