Mag. Eva Kaiserseder
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Also eines vorweg: Obwohl ich von 1974 bis 2000 das Institut für Milchhygiene, Milchtechnologie und Lebensmittelwissenschaft an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien geleitet habe, bin ich kein Tierarzt, sondern ein BOKU-Absolvent. Den Bezug zur Milch gab es quasi von Geburt an, zumal ich in der Betriebswohnung des -Schärdinger Milchhofs in Wien aufwuchs, in der mein Vater als Betriebsleiter tätig war. Es war daher naheliegend, nach der Matura 1951 an der BOKU die Studienrichtung Landwirtschaft zu immatrikulieren, das Studium 1955 abzuschließen und im gleichen Jahr meine Dissertation zu beginnen. 1959 hatte ich die Gelegenheit, am holländischen Milchforschungs-institut NIZO (Nederlands Instituut voor Zuivelonderzoek) wissenschaftlich tätig zu sein. Nach meiner Rückkehr ans Institut für Milchwirtschaft, Molkereiwesen und Landwirtschaftliche Mikrobiologie der BOKU war ich zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft bzw. als nicht ständiger Hochschulassistent beschäftigt. Eine erste konkrete Zusammenarbeit mit der Vetmeduni ergab sich durch das Angebot von Prof. Dr. Erich Glawisch-nig, dem damaligen Leiter der II. Medizinischen Klinik, gemeinsam neben der klinischen Auswirkung des direkten Einsatzes von Desinfektionsmitteln zur Mastitis-Bekämpfung an den Zitzen der Kühe auch die Auswirkung von Rückständen in Milch auf deren technologische Verwertbarkeit zu prüfen. Die Zusammenarbeit lief auf jeden Fall sehr gut, so wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, mich um den vakanten Lehrstuhl zu bewerben. Meine Antwort war: Ja, unter der Bedingung, dass ich nicht jahrelang Überzeugungsarbeit leisten muss, um mit mir Nicht-Tierarzt zusammenzuarbeiten. (lacht) Das hat man offensichtlich akzeptiert. Ich habe mich von den Kollegen an der Vetuni immer sehr gut aufgenommen gefühlt.
Sie sind bekannt für Ihr disziplinen-übergreifendes Arbeiten, gerne auch mit anderen Hochschulen.
Den ersten Anreiz dafür lieferte mein Aufenthalt in Holland, es gab am dortigen Forschungsinstitut verschiedene Abteilungen wie Bakteriologie, Chemie, Technologie und auch eine Versuchsmolkerei, in der man Laborversuche im praxistechnischen Maßstab prüfen konnte. Die Kooperation war ganz selbstverständlich, Vorschläge zur Problemlösung konnten von verschiedenen Gesichtspunkten aus eingebracht werden. Das fand ich ideal! Ich habe versucht, mich in diesem Sinne auch in Österreich einzubringen, und glaube, dass die sehr gute Zusammenarbeit auch von Instituten der BOKU, der Universitäten Wien, Graz und von den Bundeslehranstalten für Milchwirtschaft in Rotholz und Wolfpassing eine Würdigung fand. Auch international bestand im Rahmen des International Circle of Dairy Research Leaders ein enger Kontakt mit den Leitern der milchwirtschaftlichen Universitätsinstitute und Forschungsanstalten in Europa. Nachteile sehe ich eigentlich keine; da, wo es menschlich nicht passt, kooperiert man ohnehin nicht.
Welche Eigenschaften haben Sie an Ihrem Team besonders geschätzt?
Ich glaube, bei den Mitarbeitern ist nicht nur die Bereitschaft wichtig, wissenschaftliche Grundlagen bei ihrer Tätigkeit zu beachten und sie mit Akribie umzusetzen. Entscheidend ist auch Teamgeist – und es geht darum, wie sehr jemand daran interessiert ist, Kooperationen, auch fächerübergreifend, einzugehen. Ich habe mich immer wie ein Fußballtrainer verhalten, denn die Leute mit denen man zusammenarbeitet, die haben ja ihr Talent für das wissenschaftliche Arbeiten schon mitgebracht. Meine wichtigste Aufgabe habe ich darin gesehen, für diese Talente die notwendigen -Arbeitsmöglichkeiten bereitzustellen. Ich habe auch versucht, meinen Mitarbeitern viel Autonomie zu gewähren, wir waren ein kleines Institut, da muss man sich gegenseitig aufeinander verlassen können. Dankbar möchte ich festhalten, dass ich diesbezüglich massive Unterstützung von meinem Mitarbeiter Prof. Dr. Asperger erfahren habe, der mit mir gleichzeitig den Dienst am Institut 1974 angetreten hat.
Was war Ihnen in all Ihren Funktionen – unter anderem waren Sie ja zwei Jahre lang Rektor – am wichtigsten?
Ich denke, die Arbeit wurde großteils effizient und gut strukturiert erledigt, das war essenziell. Mein Prinzip und Leitspruch war immer: Gnothi -seauton, also: Erkenne dich selbst. Man muss sich immer wieder fragen, ist das richtig, was ich mache, habe ich alles berücksichtigt? Und wenn ich sehe, was meine Dissertanten erreicht haben, wenn ich mir den Bernhard Url (Geschäftsführer der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, Anm. d. Red.) oder Martin Wagner (Leitung des Instituts für Milchhygiene an der Vetmeduni und wissenschaftliche Leitung des Projekts FFoQSI Feed and Food Quality and Safety Tulln, Anm. d. Red.) anschaue, um nur zwei Herren exemplarisch zu nennen, erfüllt mich mit großer Freude und Hochachtung, was sie erreicht haben.
Wie hat Ihr Berufsalltag früher ganz konkret ausgesehen?
Für einen Universitätslehrer stellt sich primär die Aufgabe, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch den menschlichen Geist in den Sinn von Humanität und Streben nach Wahrheit zu stellen. Denn von Absolventen einer Hohen Schule werden nicht nur die fachliche Autorität, sondern auch menschliche Qualitäten, Verhaltensweisen und Einstellungen wie etwa zu Leistung, Fleiß und zur Verantwortungsbereitschaft gefordert. Der Universitätslehrer hat daher diesen Anforderungen der Gesellschaft immer wieder durch intensivierten Wissens-, Informations- und Problemtransfer zu entsprechen. Dabei gilt es, die bestehenden fachlichen Kontakte zu aktivieren und zu nutzen. Neben der Tätigkeit in Verbindung mit der Lehre – Durchführung von Lehrveranstaltungen, 2.708 Prüfungen, Betreuung von Dissertationen und Habilitationen, Gastvorlesungen – nahmen daher die Aktivitäten im Konnex mit der Forschungs- und Untersuchungstätigkeit breiten Raum ein, zumal dabei die Aufbringung der hierfür notwendigen finanziellen Mittel ein vordringliches Anliegen war. Weitere Aufgaben bestanden u. a. in der Tätigkeit im Rahmen der Selbstverwaltung der Vetmeduni und der Organisation von wissenschaftlichen Tagungen. Mir war es ebenfalls wichtig, die Veterinärmedizin als kompetenten Partner der Wirtschaft zu positionieren. Natürlich brauchte man im Berufsalltag im wahrsten Sinne des Wortes auch viel Sitzfleisch, weil es viele Sitzungen gab. (lacht)
Und was ist heute wichtig?
Ich war und bin noch immer kulturell sehr interessiert, besuche Konzerte im Musikverein und im Konzerthaus sowie auch Vernissagen. Viele Jahre hatte ich ein Abo im Burg-theater, bin aber vor einigen Jahren an die Josefstadt gewechselt. Ich habe nichts gegen moderne Inszenierungen, wenn es aber nur mehr um Effekt-hascherei auf der Bühne geht, da kann ich mir den Text des Werkes lieber zu Hause zu Gemüte führen.
Natürlich interessiere ich mich auch für das politische Tagesgeschehen und habe nach dem Motto „Audiatur et altera pars“ zwei Zeitungen abonniert. Und mein großer Garten hält mich auch auf Trab. Was ich noch gerne mache: in meiner Werkstatt arbeiten, sofern es meine beschränkten handwerklichen Fähigkeiten zulassen.
Meinem Sohn, der hauptberuflich als Anwalt tätig ist, aber auf seinem Hof im Waldviertel als begeisterter Imker wirkt, gehe ich ebenfalls gerne zur Hand. Mir fällt auch die Aufgabe zu, periodische Treffen mit Freunden zu organisieren, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben, etwa Kollegen der anderen Universitäten, der Vetmeduni und deren Angehörige.
Was hat Sie in Ihrem Berufsleben besonders gefreut? Was vermissen Sie so gar nicht?
Wirklich gefreut habe ich mich über das Ehrendoktorat der Veterinäruni, und das als Nicht-Tierarzt. Ich glaube ja, es wurde mir nur verliehen, damit ich meinen Stehsatz bei Besprechungen nicht mehr sagen konnte, der da lautete: „Darf ich als debiler Nichtveterinär auch etwas dazu sagen?“ (lacht) Als mir zuteilgewordene besondere Auszeichnungen betrachte ich auch das Ehrenzeichen der -Bundeskammer der Tierärzte Österreichs und die Goldene Ehrennadel der Landeskammer der Tierärzte der Steiermark. Und was ich nicht vermisse? Den „Ausweichpavillon“ auf dem alten Unigelände im dritten Bezirk, in dem das Institut für Milchhygiene von 1974 bis 1996, eigentlich unter meinem Vorgänger Prof. Münchberg schon seit 1966, untergebracht war.
Die mangelnde Wärmedämmung des Ausweichpavillons im Winter konnte nur durch die Versorgung der Heizkörper mit Heißdampf ausgeglichen werden. Während die Laborräume klimatisiert waren, war das aber in meinem Zimmer nicht der Fall. Im Sommer war es daher manchmal unerträglich heiß. Rückblickend sehe ich die Situation positiv, habe ich mich doch in dieser Zeit schon an die jetzigen Hitzewellen adaptiert. Ich fühle mich daher jetzt wie eine thermophile Mikrobe, wie sie zum Beispiel bei der Emmentalerkäse- Herstellung eingesetzt wird. (lacht)