Von der kaiserlichen Menagerie

zu Europas bestem Zoo

Mag. Eva Kaiserseder

Der Schönbrunner Tiergarten: Touristenmagnet erster Güte und auch von den Wienerinnen und Wienern heiß geliebt.

Jährlich knackt der populäre Zoo mittlerweile die Zwei-Millionen-Besucher-Marke und lockt mit einer gekonnten Mischung aus außergewöhnlicher Nachzucht, innovativer Tierhaltung und einzigartigem Ambiente.

Imperiales Flair, gepaart mit barocken, weitläufigen Anlagen und einem Tierbestand aus aller Herren Länder: Wenn Zoodirektorin Prof. Dr. Dagmar Schratter ihren Job beginnt, übrigens gerne schon in aller Frühe, wie sie dem Vetjournal gegenüber verrät, erwartet sie nicht das schlechteste Arbeitsumfeld. Schönbrunn, zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörend, ist der älteste noch bestehende Zoo der Welt – und dieses historische Erbe ist einer der Gründe, warum der Zoo ein konstanter Besuchermagnet ist. 2,2 Mio. Menschen waren 2015 zu Gast, der Touristenanteil unter den Tagesgästen stieg erstmals auf 38%. „Wir haben durch die barocken Bauten definitiv ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Zoowelt, kombiniert mit moderner Tierhaltung ist das sicherlich etwas Besonderes“, so Direktorin Schratter. Eine gekonnte Untertreibung, wie man wohl ohne Übertreibung sagen darf. Schließlich ist der Zoo zum vierten Mal in Folge mit dem „Best European Zoo Award“ im wichtigen Sheridan Ranking auf den Spitzenplatz gewählt worden. Ausschlaggebend für diese Bewertung durch den Zooanalysten Anthony Sheridan sind Kategorien wie Artenvielfalt, Zoopädagogik oder Artenschutz.

Die Eröffnung des Giraffenparks im Frühjahr 2017 wird „ein weiteres Beispiel dafür sein, wie sich die historische Bausubstanz mit Tierhaltung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft kombinieren lässt. An der Rückseite des denkmalgeschützten Hauses aus dem Jahr 1828 wird ein großer, heller Wintergarten angebaut, der den Giraffen in der kalten Jahreszeit mehr Bewegungsraum als bisher bieten wird“, skizziert Schratter eines der kommenden Highlights. Die Biologin hat die Leitung Schönbrunns Anfang 2007 übernommen und steht, genauso wie ihr Vorgänger VR Prof. Dr. Helmut Pechlaner, für die gelungene Mischung aus innovativem Tun und der Erhaltung alter Schätze. „Wie schon der Schweizer Zoodirektor und Tiergartenbiologe Prof. Dr. Dr. Heini Hediger in den 1940er Jahren gesagt hat, wird ein guter Tiergarten niemals fertig. Durch den ständigen Zuwachs an Wissen und technischen Möglichkeiten sowie neuen Erkenntnissen aus Verhaltensstudien und Freilandforschung, aber auch durch den steigenden Anspruch der Besucher ist die Form der optimalen Tierhaltung einem steten Wandel unterzogen“, so die Direktorin, wohl wissend, dass sich eine Anlage in der Größenordnung Schönbrunns permanent verändert – und verändern muss.

Pechlaners prägnante Handschrift

Überhaupt steht in Schönbrunn das Thema Haltungs-bedingungen stark im Fokus. Begonnen hat der Wandel hin zu einer viel artgerechteren Haltung unter Professor Helmut Pechlaner. Der arrivierte Veterinärmediziner wurde 1992 vom Innsbrucker Alpenzoo abgeworben, wo er vorher 20 Jahre lang, zuletzt als Direktor, die Geschicke des viel kleineren Tiergartens lenkte. In Wien blieb zu der Zeit kein Stein auf dem anderen:  Schönbrunn wurde quasi privatisiert und in die Schönbrunner Tiergarten GmbH ausgegliedert; das Wirtschaftsministerium blieb allerdings hundertprozentiger Gesellschafter. Der Hintergrund für dieses Konstrukt: Der museumsreife Sanierungsfall sollte sich künftig finanziell selbst erhalten können.

Glücklicherweise brachte der charismatische Professor Pechlaner nicht nur absolute Führungsqualitäten mit sondern auch frischen Wind in Sachen Tierhaltung – er stoppte zum Beispiel umgehend die Unsitte, alle Tiere zwischen Allerheiligen und Ostern in die Innenräume zu sperren. „Das gab zwar kräftiges Murren unter den Tierpflegern, aber ich setzte mich durch! Der Erfolg war überwältigend!“, wie er im Vetjournal-Interview (siehe S. 22) erzählt. Mittlerweile ist der Wiener Zoo für seine umfassenden Projekte zum Artenschutz in aller Munde, vor allem die Zuchterfolge gehen um die Welt: Stichwort Großer Panda.

Nur mehr 1.864 Tiere (Zählung 2015) dieser extrem bedroh-ten Art leben aktuell in den Bergwäldern im Südwesten Chinas, und obwohl der Panda seit 1939 gesetzlich geschützt ist, steht er bis heute auf der Roten Liste. Dass ein Zoo überhaupt Große Pandas halten kann und darf, ist mitnichten eine Selbstverständlichkeit. Nur vier Zoos in Europa genießen dieses Privileg. Auch für Schönbrunn gab es erst nach intensiven Verhandlungen und Planungen 2003 grünes Licht: Das Panda-Pärchen Yang Yang und der kürzlich an den Folgen eines Tumors verstorbene Long Hui (er wachte aus der Narkose für eine CT-Untersuchung nicht mehr auf) übersiedelte aus der chinesischen Forschungs- und Zuchtstation Wolong nach Schönbrunn. Nachwuchs Fu Long sorgte dann im Spätsommer 2007 als erstes auf natürlichem Wege gezeugtes Panda-Jungtier Europas für weltweite Furore. Vor drei Jahren wurde der auf 10 Jahre ausgelegte Leihvertrag mit der China Wildlife Conservation Association schließlich erfolgreich verlängert – zum Glück für den Zoo und für die Besucher, denn Fu Long blieb kein Einzelkind: Insgesamt vier Mal gelang es in Wien, Panda-Nachwuchs zu züchten (der im Übrigen zu gegebener Zeit wieder nach China übersiedeln muss), im August 2016 erblickten sogar Zwillinge das Licht der Welt. Aktuell wartet man gespannt auf die nächsten Schritte von Fu Ban (Männchen) und Fu Lin (Weibchen). „Natürlich sind wir sehr stolz auf unsere Erfolge beim Großen Panda, da wir der einzige Zoo in Europa sind, in dem sich die Pandas auf natürlichem Wege fortpflanzen. Und zur Krönung sind es dieses Mal auch noch Zwillinge. Ein Geheimnis hinter den Zuchterfolgen bei den Pandas gibt es nicht. Es ist eine Summe aus vielen Faktoren: Wir haben ein Pärchen, das sehr gut miteinander harmoniert, achten auf beste Fütterung, die Tiere haben eine gut strukturierte Anlage sowie geistige und körperliche Beschäftigung“, summiert Wiebke Hofmann, MSc, die als Kuratorin für Artenschutz und Forschung zuständig ist, das goldene Händchen für Pandas in Schönbrunn. Der Tod des 16-jährigen Panda-Männchens Long Hui war für den Wiener Zoo definitiv ein schwarzer Tag. Ob und wann es einen Nachfolger für ihn geben wird, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.

Das Motto „Tiere sehen. Arten schützen“ wird aber auch jenseits von Flagship-Arten wie Chinas charismatischem Nationaltier gelebt: Aktuell beherbergt Schönbrunn 8.775 Tiere aus über 700, zum Teil hoch bedrohten Arten. Bei mehr als 50 Tierarten beteiligt sich der Tiergarten an internationalen Erhaltungszuchtprogrammen, bei den Afrikanischen Elefanten, den Fidschi-Leguanen und den nördlichen und südlichen Felsenpinguinen werden außerdem Zuchtbücher geführt. Ein Schutzprojekt, das Kuratorin Hoffmann besonders am Herzen liegt, ist die Wiederansiedlung des Habichtskauzes im Wienerwald und im Wildnisgebiet Dürrenstein. Schönbrunn gilt dabei als wichtiger Kooperationspartner, die Zusammenarbeit mit dem projektleitenden Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Vetmeduni läuft bestens. Noch vor 100 Jahren bewohnten diese majestätischen Vögel die heimischen Wälder, ab Mitte des 20. Jahrhunderts gab es aber kaum mehr ein Vorkommen in Österreich. Nach dem Uhu sind diese Eulen die zweitgrößten Mitteleuropas, die Wiederansiedlung in Österreich soll einen wichtigen Korridor in Europa zwischen Nord- und Südpopulation herstellen. Schönbrunn gibt regelmäßig seinen Nachwuchs an das Projekt ab, damit die Jungvögel wieder ausgewildert und angesiedelt werden können. Insgesamt 187 Jungkäuze, die in diversen Zoos und Zuchtstationen aufgezogen wurden, fanden in den Schutzgebieten bereits eine neue Heimat.

Der Nachwuchs kann sich sehen lassen: Rund 60 Jungtiere wurden bisher geboren. Weniger publikumswirksam als kuschelige Pandas oder geheimnisvolle Käuze sind die Flussschildkröten Batagur Baska, die allerdings hinsichtlich Artenschutz eine besondere Stellung einnehmen, wie Kuratorin Hoffmann erzählt: „Im Tiergarten ist uns 2010 die Welterstnachzucht gelungen, da waren nur noch 20 bis 30 Exemplare bekannt, die in Dorfteichen lebten. Von einer Wildpopulation war bis 2013 nichts bekannt. Wir haben dann 2010 gemeinsam mit dem Schildkrötenforscher Peter Praschag ein Schutz- und Zuchtzentrum für diese Tierart in Bangladesch aufgebaut und seither hat sich die Zahl der Batagur Baska versechsfacht. So etwas ist natürlich wunderbar zu verfolgen.“ Kein Wunder, dass sie ihren Job „durchaus als Traumjob“ bezeichnet: „Ich gehe jeden Tag sehr gerne in die Arbeit und bin sehr glücklich, damit zum Artenschutz beitragen zu können.“

Der Wildtierfaktor als große Unbekannte

Einer derjenigen, die ebenfalls das Glück haben, ihren Traumjob zu leben, ist Zooveterinär Thomas Voracek, der als Grund dafür „den breit gefächerten Tierbestand, das barocke Ambiente, die Möglichkeit, international vernetzt zu arbeiten, sowie die Teamarbeit mit Zoologen und Tierpflegern“ nennt. All das würde den Stress auf jeden Fall aufwiegen, meint er. In 20 Jahren Tätigkeit kann sich wohl jeder Tierarzt an genügend schwierige Fälle erinnern, bei Voracek toppt der „Wildtierfaktor“ das alles noch, denn „die Tiere werden zu unserem oder zu ihrem eigenen Schutz oft nur in Narkose untersucht und therapiert, was die Sache viel komplexer macht. Entsprechende diagnostische Narkosen müssen extrem gut geplant sein. Eine bei Haustieren übliche präanästhetische klinische Untersuchung ist da nicht möglich, meist müssen wir in einer Sitzung Diagnose und Therapie verbinden.“ Bei großen und gefährlichen Tierarten ist der logistische Aufwand nicht zu unterschätzen, fast das gesamte Equip-ment ist daher mobil, seit vergangenem Jahr gibt es auch einen Computertomografen, der neue diagnostische Möglichkeiten eröffnet: „Wir können im Tiergarten an mehreren Stellen einen mobilen Operationsraum einrichten und Tiergartenbewohner wie Tiger oder Löwen direkt im Gehege untersuchen und behandeln. Dabei arbeiten wir stets eng mit den Tierpflegern zusammen. Sie müssen den Tieren ja die Medikamente verabreichen und das bedarf oft verschiedenster Tricks. Sie informieren uns auch über Verhaltensänderungen, die mitunter Krankheitsanzeichen sein können. Es hängt also nicht direkt vom Tier oder der Tierart ab, wie herausfordernd eine Behandlung ist, sondern von der jeweils konkreten Fragestellung“, so Voracek. Notfälle und Verletzungen würden übrigens viel weniger als gemeinhin angenommen auftreten: „Je besser die Haltungsbedingungen bei Zoo- und Wildtieren sind, umso seltener werden sie krank. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Anzahl an direkten medizinischen Manipulationen bei uns immer mehr zurückgegangen, der Aufwand an Prophylaxemaßnahmen dafür immer größer geworden.“ Ein mehr als aussagekräftiges Gütesiegel für diesen so besonderen Zoo.