Von Alternativ- und Komplementärmedizin

zu Integrativer Medizin

Dr. Petra Weiermayer
Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie (ÖGVH)

Die Wortwahl der in den letzten Wochen in den österreichischen Medien erschienenen Artikel betreffend Medizinische Universität Wien und Homöopathie lässt vermuten, dass es einen Mangel an Wissen über die Integrative Medizin gibt.

 

Die Medizinuniversität Wien hat kürzlich das bei Studierenden beliebte und gut besuchte Wahlfach Homöopathie bei laufendem Betrieb abgesetzt und die Studierenden von der Lehrveranstaltung abgemeldet. Im „Standard“-Gespräch vom 27.11.2018 begründet Rektor Univ.-Prof. Dr. med. univ. Markus Müller diesen Schritt damit, dass sich „die MedUni von unwissenschaftlichen Verfahren und Scharlatanerie klar distanziert“. Gleichzeitig erwähnt der Rektor, dass der Leiter des Wahlfachs, Univ.-Prof. Dr. med. univ. Michael Frass, ein anerkannter Kollege sei. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Michael Frass ist Facharzt für Innere Medizin und internistische Intensivmedizin und seit 1994 Universitätsprofessor für Medizin. Er hat über 200 wissenschaftliche Publikationen in zahlreichen renommierten Journalen veröffentlicht, ist Erfinder des weltweit eingesetzten ösophagotrachealen Combitubus und leitet seit 2004 die Spezialambulanz „Homöopathie bei malignen Erkrankungen“ an der Klinik für Innere Medizin I. Die Wortwahl der in den letzten Tagen in den österreichischen Medien erschienenen Artikel betreffend Medizinische Universität Wien und Homöopathie lässt vermuten, dass es einen Mangel an Wissen über die Integrative Medizin gibt. Ein Blick über den Atlantik zeigt, wie renommierte amerikanische Universitäten in den letzten 25 Jahren mit dem Phänomen „Komplementärmedizin“ umgegangen sind. Nach dem aufsehenerregenden Artikel von Eisenberg „Unconventional medicine in the United States – prevalence, costs, and patterns of use“, veröffentlicht 1993 im „New England Journal of Medicine“, kam es zur Schaffung eines Office for Alternative Medicine im Rahmen des National Institute of Health. Dieses Office wurde 1998 zu einem eigenständigen National Center for Complementary and Alternative Medicine und seit 2012 zum Academic Consortium for Integrative Medicine and Health. Erst kürzlich wurde eine Leitlinie zur Integrativen Onkologie bei Brustkrebs von Greenlee H. et al publiziert und auch von der Amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) übernommen. 

In Europa gibt es fast keine öffentlichen oder universitären Forschungsgelder zur Untersuchung komplementärmedizinischer Methoden. Dabei zeigte sich in der Erhebung der European Partnership for Action Against Cancer (EPAAC), initiiert 2009 von der Europäischen Kommission, dass 40 Prozent aller untersuchten europäischen Zentren für integrative Medizin Homöopathie anbieten würden. Wir fordern daher, dass – ähnlich wie in den USA – Komplementärmedizin zum Wohle der Patienten und Patientinnen, im Sinne einer integrativen Medizin und entsprechend der Forderung in Paragraf 2 des Universitätsgesetzes nach „Freiheit der Wissenschaften und ihrer Lehre“ an den Universitäten weiter unterrichtet und aktiv beforscht wird. Für Details zu wissenschaftlichen und gesetzlichen Grundlagen (Österreichisches Arzneimittelgesetz, EU-Direktive 2001/83) der Homöopathie folgen Sie bitte diesen Links:

www.homoeopathie.at/fakten-zur-homoeopathie

www.aekh.at/medien/faktencheck-homoeopathie

Quellen

Greenlee H et al.: Clinical practice guidelines on the evidence-based use of integrative therapies during and after breast cancer treatment.
CA Cancer J Clin, 2017

Rossi E, Vita A, Baccetti S, Di Stefano M, Voller F, Zanobini A.: Complementary and alternative medicine for cancer patients: results of the EPAAC survey on integrative oncology centres in Europe. Support Care Cancer. 2014. DOI 10.1007/s00520-014-2517-4.

 

Fakten zur Homöopathie

 

Homöopathie ist europaweit die am zweithäufigsten nachgefragte komplementärmedizinische Methode. Es gibt ca. 45.000 Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung und die Homöopathie ist laut aktuellen repräsentativen Umfragen so beliebt wie nie zuvor: In Österreich gibt es ca. 1000 Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung und zwei von drei Österreicher/innen haben im Jahr 2017 ein homöopathisches Arzneimittel verwendet (siehe www.peithner.at/homoepathie-beliebt-gfk/).

Komplementärmedizin, und damit auch die Homöopathie, ist in England, Deutschland, Ungarn, Belgien, Bulgarien, Slowenien und Rumänien staatlich geregelt, in anderen Ländern wie Österreich, Frankreich, Italien und Litauen obliegt die Reglementierung den Ärztekammern.

In der Schweiz ist die Homöopathie voll in das öffentliche Gesundheitssystem integriert, dies nach wissenschaftlicher Evaluation im Rahmen der PEK-Studie inklusive eines HTA-Berichts 

(0).

In Deutschland ist die Homöopathie in das öffentliche Gesundheitssystem inkludiert, das heißt, dass über 100 Versicherungen für mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung homöopathische Behandlungen als medizinische Grundleistung erstatten. In Frankreich, Belgien und Litauen werden zumindest die homöopathischen Arzneimittel von den staatlichen Versicherungen übernommen. In anderen Ländern wie Österreich, Bulgarien, Ungarn, Italien oder den Niederlanden wird die Homöopathie von privaten Krankenversicherungen erstattet.

Seit 2016 gibt es für die Ausbildung homöopathischer Ärzte einen europäischen CEN-Standard: EN 16872 Services of Medical Doctors with additional qualifications in homeopathy. In Österreich sichern das Ärztekammerdiplom „Komplementärmedizin: Homöopathie“ und die Fachtierarztausbildung für Homöopathie sowie das Diplom der Europäischen Akademie für Veterinärhomöopathie den hohen Standard der Ausbildung von Ärzten und Tierärzten.

Die moderne Evidenzbasierte Medizin (EbM) stützt sich per definitionem auf drei Säulen: die klinische Expertise der homöopathischen Ärzte/Tierärzte, die Werte und Wünsche der Patienten und den aktuellen Stand der Forschung (Sackett).

Hochqualitative Studien höchster Evidenzklasse sind vorhanden und belegen die Wirksamkeit der Homöopathie sowohl beim Tier als auch beim Menschen. Die rezenten Metaanalysen von Mathie et al zeigen eine Evidenz für die Wirksamkeit der veterinär- und humanmedizinischen Homöopathie gegenüber Placebo (0a, 0b). Hinsichtlich des Statements der Arbeitsgruppe der Europäischen Akademien der Wissenschaften sowie des australischen NHMRC-Reports ist anzumerken, dass eine Berücksichtigung aller hochqualitativen Studien der Evidenzklasse 1a und 1b die Grundlage für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards darstellt, wie Prof. Robert Hahn in seinem Review aufzeigt (1). Der unabhängige schwedische Wissenschaftler Hahn deckt auf, dass mehr als 90 Prozent aller Studien ausgeschlossen werden müssten, um Homöopathie als unwirksam darstellen zu können.

Medizin ist laut WHO-Definition eine praxisorientierte Erfahrungswissenschaft, die sich verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen bedient. Sie muss im Sinn der EbM offen bleiben und darf nicht zu einer reinen Naturwissenschaft reduziert werden. Homöopathie ist heute Teil der Evidenzbasierten Medizin. Im „European One Health Action Plan“ der EU-Kommission bezüglich der Antibiotikaresistenzproblematik wird die Komplementärmedizin als ein potenzieller Lösungsansatz genannt, Forschung in diesem Bereich gefordert und Unterstützung vonseiten der EU-Kommission zugesagt (2)

In einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie zur homöopathischen Behandlung von durch das Bakterium Escherichia coli hervorgerufenem Durchfall bei Ferkeln konnte gezeigt werden, dass in der homöopathisch behandelten Gruppe signifikant weniger Ferkel an durch E. coli bedingtem Durchfall erkrankten. Zudem war der Schweregrad der Erkrankung geringer und der Durchfall, sofern er auftrat, von kürzerer Dauer (3)

In der biologischen Landwirtschaft wird der Einsatz homöopathischer Arzneien in Europa explizit empfohlen: Sie sollen unter bestimmten Umständen gegenüber der konventionellen Medizin bevorzugt werden, heißt es in der entsprechenden EU-Bio-Verordnung der Europäischen Kommission. Erforderlichenfalls dürfen zur Behandlung auch Antibiotika verwendet werden, allerdings mit der Folge, dass die gesetzliche Wartezeit zu verdoppeln ist, was nicht zuletzt auch einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor für die Bauern darstellt. Zudem ist die Häufigkeit der Behandlungen für Tiere in biologischer Landwirtschaft begrenzt (4)

Die Studien aus der Versorgungsforschung zeigen in der Zusammenschau ein relativ einheitliches Bild. Bei homöopathisch behandelten Patienten sind die klinischen Verbesserungen ähnlich stark wie in der konventionellen Therapie, allerdings mit weniger Nebenwirkungen (weniger Antibiotika, weniger NSAR, weniger Psychopharmaka) und in der Hälfte aller ökonomischen Studien mit geringeren Kosten. Die EPI3-Studie sei hier beispielhaft angeführt (5)

Nicht zuletzt aufgrund der globalen Bedrohung durch die Antibiotikaresistenzproblematik fordert die WHO in ihrem Strategiepapier „Traditional Medicine Strategy 2014 – 2023“ ihre Mitgliederstaaten auf, die Komplementärmedizin in die jeweiligen nationalen Gesundheitssysteme aufzunehmen (6)

Daher braucht es im Sinne der Patienten

1. Die Verankerung des Fachgebietes „Integrative Medizin bzw. Komplementärmedizin“ in der akademischen Ausbildung an der Medizinischen und Veterinärmedizinischen Universität Wien.

2. Eine postgraduale Fort- und Weiterbildungs-offensive, getragen durch etablierte Vereine und Organisationen und die Universität.

3. Förderung der aktiven Wissensvermittlung über die Integrativmedizin sowie eine Aufklärungsinitiative innerhalb der Ärzte-/Tierärzteschaft sowie eine unvoreingenommene interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Ärzte-/Tierärzteschaft.

Literatur

 

[0] MATTHIESSEN, P. HTA Homöopathie, HTA Homeopathy (Extraction). Komplementäre und Integrative Medizin 2008; 49(1): 40–46. 

[0a] MATHIE, R. T., CLAUSEN, J. Veterinary homeopathy: Meta-analysis of randomised placebo-controlled trials. Homeopathy 2015; 104: 3–8

[0b] MATHIE, R.T., LLOYD, S.M., LEGG, L.A., CLAUSEN, J., MOSS, S., DAVIDSON, J.R.T., FORD, I. Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis. Systematic Reviews 2014; 3:142

[1] HAHN, R.G. Homeopathy: Meta-Analysis of Pooled Clinical Data. Forsch Komplement 2013; 20:376–381.

[2] ec.europa.eu/health/amr/sites/amr/files/amr_action_plan_2017_en.pdf. Last access: November 21, 2018. European Commission. A European One Health Action Plan against Antimicrobial Resistance (AMR). 

[3] CAMERLINK, I., ELLINGER, L., BAKKER, E.J., LANTINGA, E.A. Homeopathy as replacement to antibiotics in the case of Escherichia coli diarrhea in neonatal piglets. Homeopathy 2010; 99:57–62.

[4] eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/. Last access: November 21, 2018. Verordnung (EG) Nr. 889/2008 der Kommission vom 5. Sep-tember 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen hinsichtlich der ökologischen/biologischen Produktion, Kennzeichnung und Kontrolle.

[5] Grimaldi-Bensouda L, Begaud B, Rossignol M, Avouac B, Lert F, et al. (2014): Management of Upper Respiratory Tract Infections by Different Medical Practices, Including Homeopathy, and Consumption of Antibiotics in Primary Care: The EPI3 Cohort Study in France 2007–2008. PLoS ONE 9(3): e89990. doi:10.1371/journal.pone.0089990

[6] www.who.int/medicines/areas/traditional/en. Last access: November 21, 2018. World Health Organisation WHO (2013) Traditional Medicine Strategy: 2014–2023.