Vet-Studie 2019/2020:

Erschöpfung und Stressmanagement im Veterinärberuf

Univ.-Prof. Dr. Birgit U. Stetina
Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin,
Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie),
Vorständin der psychologischen Universitätsambulanz der Sigmund Freud Privatuniversität Wien

Lisa Emmett, MSc.
Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin,
Koordinatorin der Mensch-Tier-Ambulanz der psychologischen Universitätsambulanz der
Sigmund Freud Privatuniversität Wien

Der Alltag in der veterinärmedizinischen Praxis (und auch Forschung) ist durch eine außergewöhnliche Komplexität gekennzeichnet. Die Aufgaben sind innerhalb der Triade PatientIn – HalterIn –ProfessionistIn zu erfüllen, durch die Arbeit mit anderen Spezies sind eine sehr ausgeprägte Empathie und Fürsorge notwendig; zusätzlich sind VeterinärInnen im Arbeitsalltag mit einer Vielzahl an belastenden Ereignissen (Krankheit, Tod, Tiermissbrauch) konfrontiert. Die Stressbelastung bei VeterinärInnen ist also sehr hoch und es steigt die Vulnerabilität für stressassoziierte Erkrankungen. Welche Stressoren dabei konkret eine Rolle spielen und welche Muster und Risikofaktoren in Bezug auf die Stressverarbeitung sichtbar werden, sind die Fragestellungen der Vet-Studie, die in regelmäßigen Abständen durchgeführt wird. (Aktuelle Vet-Studie 2020/2021)

Der veterinärmedizinische Alltag kann als besonders ­komplex bezeichnet werden. ProfessionistInnen haben die Aufgabe, innerhalb einer Triade (PatientIn – HalterIn – TierärztIn) tätig zu sein, und tragen somit Verantwortung gegenüber PatientInnen, HalterInnen sowie in Bezug auf tierschutzrechtliche Aspekte. Diese berufliche Tätigkeit verlangt demnach ein hohes Maß an Empathie und Fürsorge für andere Individuen, welches notwendig erscheint, um den Anforderungen des veterinärmedizinischen Alltags gerecht zu werden. Zusätzlich sind TierärztInnen mit belastenden Ereignissen wie z. B. Missbrauch, Krankheit, Trauma oder auch Euthanasie konfrontiert, weswegen dieses hohe Maß an Empathie ebenso mit hohen privaten und emotionalen Kosten in Zusammenhang stehen kann (Brannick et al., 2015).


Insgesamt sind die Gesundheitsberufe eine der vulnerablen Gruppen bezüglich stressassoziierter Symptomatik bzw. ebensolcher Erkrankungen (Siranghi, 2018). Es wird folglich angenommen, dass Stress und Erschöpfung durch Mitgefühl in Verbindung mit einem anspruchsvollen Arbeitsumfeld das psychische Wohlbefinden und die körperliche Gesundheit von TierärztInnen beeinträchtigen (Endenburg & Johnston, 2019). In den letzten Jahren kann zudem von einer Feminisierung des veterinärmedizinischen Berufs gesprochen werden: Sowohl hinsichtlich der Geschlechterverteilung der AbsolventInnen der Veterinärmedizinischen Universität Wien als auch im internationalen Vergleich (z. B. Kanada und USA) sind Studierende, die das veterinärmedizinische Studium abschließen, zu circa 80 % weiblich (Jahresbericht Vetmeduni, 2019; Lofstedt, 2003).


Bereits bei StudentInnen der Veterinärmedizin, aber auch bei praktizierenden VeterinärInnen zeigen sich ­geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf den Umgang mit Stress (Gelberg & Gelberg, 2005). ­Aktuelle Studien weisen unter anderem darauf hin, dass insbesondere Tierärztinnen vermehrt negative Stressverarbeitungs­strategien einsetzen, die nicht dazu beitragen, das individuelle Stresslevel zu senken (Stetina et al., 2018; Emmett et al., 2019). Zu diesen Copingstrategien zählen etwa Grübeln bzw. sich nicht gedanklich lösen zu können oder auch Flucht, also die Tendenz, einer Belastungssituation zu entkommen (vgl. Erdmann & Janke, 2008; Emmett et al., 2019).


Ergebnisse der Vet-Studie 2019/2020 von Stetina und KollegInnen (2020) im Bereich der Stressbelastung von TierärztInnen weisen darauf hin, dass Bereitschaftsdienst (56,7 %) als größter Stressor wahrgenommen wird, ­gefolgt von der Kommunikation mit PatientenbesitzerInnen (27,3 %) und Buchhaltungstätigkeiten (22,8 %). (Siehe ­Tabelle 1 zu den am häufigsten genannten Aspekten.)

Im Hinblick auf die Stressverarbeitungsstrategien zeigt sich, dass VeterinärInnen aus der Studie 2019/20 insgesamt alle Stressverarbeitungsstrategien (gemessen mittels Stressverarbeitungsfragebogen SVF-120, Erdmann & Jahnke, 2008) deutlich (großteils signifikant) mehr einsetzen als die Normierungsstichprobe (Gesamtbevölkerung). Die sehr speziellen Belastungen führen also tatsächlich zu einem nachweisbar typischen Profil an Stressverarbeitungs­strategien bei VeterinärInnen. Dabei werden sowohl positive (gesunde) Stressverarbeitungsstrategien als auch negative (ungesunde) Stressverarbeitungsstrategien häufiger eingesetzt (siehe Abbildung 1).


Zusätzlich zeigen sich bei weiblichen Veterinären speziell große und signifikante Unterschiede hinsichtlich negativer sowie positiver Stressverarbeitungsstrategien. Ergebnissen zufolge neigen TierärztInnen im Vergleich zur Normpopulation in Stresssituationen vermehrt dazu, Medikamente zu sich zu nehmen (t (195) = 22.463, p = < .001, d = 1.67), es gelingt ihnen jedoch auch, sich von stressbezogenen Aktivitäten und Situationen abzulenken (t (180) = 15.537, p = < .001, d = 1.05) oder die Stärke, Dauer bzw. Gewichtigkeit einer Belastung abzuwerten (t (185) = 11.310, p = < .001, d = .86). Insgesamt ist jedoch auffällig zu bemerken, dass – obwohl es auch signifikante Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen ProfessionistInnen in der Untersuchung gibt – der Unterschied der Gesamtheit der VeterinärInnen zur Normierungs­stichprobe wesentlich deutlicher ist als jener zwischen den Geschlechtern.


In diesem Zusammenhang ist Burn-out bei ­helfenden ­Berufen wie zum Beispiel Human- oder VeterinärmedizinerInnen ein zunehmendes Problem, welches sich negativ auf das persönliche und berufliche Wohlbefinden der Betroffenen sowie auf die Bereitstellung von hochwertiger Versorgung für die PatientInnen auswirkt (Lovell & Lee, 2013). Im Klassifikationssystem psychischer Erkrankungen, genannt International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10, WHO, 1992), welches im europäischen Raum hauptsächlich Anwendung findet, ist die Diagnose Burn-out beispielsweise jedoch gar nicht zu finden, wobei Neurasthenie als Erschöpfungssyndrom klassifiziert wird. Dieses geht u. a. mit den Symptomen geistige Ermüdbarkeit sowie ab­nehmende Arbeitsleistung oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben einher.


Im Hinblick auf die Erklärung von Erschöpfungs­phänomenen in unterschiedlichen beruflichen Settings ist das Job-Demands-Ressources-Modell (JD-R ­model, ­Demerouti et al., 2001) zu nennen, welches von der zentralen Hypothese ausgeht, dass ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen eines Burn-out-Syndroms erhöht. Darauf basierend gleichen Arbeits­ressourcen gewisse Arbeitsanforderungen aus, sodass die MitarbeiterInnenzufriedenheit und die Produktivität aufrechterhalten werden können, auch wenn ­beispielsweise die Schwierigkeit besteht, Arbeitsanforderungen zu reduzieren. Als Beispiele für Arbeitsanforderungen sind unter anderem Arbeitsüberlastung, Schichtdienst oder auch Rollenunklarheit zu nennen; zu den Arbeitsressour­cen zählen dagegen Autonomie, soziale Unterstützung oder auch Karriereoptionen (Bakker, Demerouti, Euwe­ma, 2005). Im Jahr 2018 wurde der Vet-DRQ auf Grundlage des JD-R-Modells entwickelt, welcher Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen sowie persönliche Ressourcen (wie z. B. proaktives Verhalten oder auch Optimismus) von TierärztInnen erfasst (Mastenbroek et al., 2013).


Die Ergebnisse des Vet-DRQ (Mastenbroek et al., 2013) aus der Vet-Studie 2019/2020 zeigen ebenso geschlechtsspezifische Unterschiede in einzelnen Subskalen. Folglich weisen Tierärztinnen in den Skalen Jobunsicherheit (t (188.185) = –3.877, p < .001, d = 0.57) sowie Schüchternheit (t (256) = –3.630, p < .001, d = 0.45) signifikant höhere Werte auf.


Zusammenfassend wird auf der Grundlage der Studien­ergebnisse im Bereich der Stressbelastung und des Stressmanagements von VeterinärInnen deutlich, dass der veterinärmedizinische Arbeitsalltag durch zahlreiche Stressoren gekennzeichnet ist und gleichzeitig (weib­liche) TierärztInnen dazu neigen, ungünstige Stress­bewältigungsstrategien einzusetzen.


Mit dem Ziel, die Stressbelastung zu minimieren und die Stressmanagementkompetenz von Studierenden und praktizierenden TierärztInnen zu erhöhen, sollte demnach an folgenden Bereichen gezielt angesetzt werden:


1. Reduzierung von Arbeitsanforderungen,

2. Förderung von Arbeitsressourcen,

3. Verbesserung persönlicher Ressourcen (Mastenbroek et al. 2013).

Wie bereits erwähnt gilt Studien zufolge der Bereitschaftsdienst als wesentlicher Stressor. Demnach scheinen geregelte Arbeitszeiten und ausreichende Zeiträume zur Erholung ein geeigneter Startpunkt zur Reduzierung von Arbeitsanforderungen zu sein. Im Hinblick auf die Förderung von Arbeitsressourcen sollten Möglichkeiten zur Intervision und Supervision als Qualitätssicherungsmaßnahme implementiert werden. Abschließend ist es wesentlich, Trainings oder Seminare im Bereich des Stressmanagements sowie Kommunikationskompetenzen für auszubildende und praktizierende TierärztInnen anzubieten, sodass mit vermehrter praktischer Übung unter anderem komplexe Gesprächssituationen des veterinärmedizinischen Alltags mit reduziertem Stresserleben professionell gemeistert werden können.  

Teilnahme an der Vet-Studie 2020/21 unter:
https://www.soscisurvey.de/VetStudy2021/?d=XFGZ23A2HUF4EKVF
Quellen: https://bit.ly/2Nb6MFX