Dr.med.vet. Marie-Theres Hoyer-Kammerhofer, Diplomate Feline Practice, ABVP, ISFM/MANZCVSC Membership Feline Medicine
Katzenpraxis Dr. Hoyer & Dr. Kamm OG
Ausgabe 03/2024
Eine Katze verhält sich nie so, wie man es erwartet, und schon gar nicht nach dem Lehrbuch! Daher sind unsere Katzenpatienten oft schwierige Fälle, die ein paar Tricks benötigen. Hier eine Anleitung, um den einfachen, aber auch den komplizierten Diabetespatienten gut zu managen:
Der erste Schritt zur Aufarbeitung eines Diabetesverdachts besteht in einer katzenfreundlichen und stressfreien Blutabnahme; die routinemäßige Anwendung eines Nackengriffs sollte vermieden werden. Neben der Tatsache, dass dies ein gewaltvoller und respektloser Umgang mit Katzen ist, ergibt die Blutanalyse oft eine stressbedingte Hyperglykämie von bis zu 270 mg/dl. Wichtig ist auch, gleich genügend Blut abzunehmen, um im Nachhinein weitere diagnostische Parameter bestimmen zu können. Hier sind Beispiele für stressfreie Blutabnahmen aus der Praxis: siehe Videos 1–4.
Video 1: Blutabnahme mit Assistenz (Halstechnik)
Video 3: Blutabnahme an der Pfote
Video 4: Besitzerin hält ihre Katze
Videos: Julia Walter
Die Bestimmung von Ketonkörpern sollte bei jeder Katze mit Inappetenz durchgeführt werden, da eine (euglykämische) Ketoacidose vorliegen kann.
Auch bei einer Diabetes-Erstdiagnose sollten Ketone bestimmt werden. Ein kostengünstiger Trick zur qualitativen Ketonkörperbestimmung ist es, Plasma oder Serum auf das Ketonfeld eines Harnstreifens zu tropfen – eine Lilaverfärbung bestätigt Ketonkörper. Prinzipiell gilt das „Glückliche-Katze-Prinzip“: Geht es dem Patienten trotz messbarer Ketonkörper gut, ist keine stationäre Intensivtherapie notwendig und der Patient kann mit Insulintherapie nach Hause entlassen werden. Bestehen Zweifel an der Diagnose, kann auch ein permanentes Glucose-Monitoringsystem (z. B. Freestyle Libre) angebracht werden, um den Glucosespiegel über längere Zeit zu messen.
Steht die Erstdiagnose Diabetes, ist es für einen optimalen Behandlungsverlauf wichtig, komplizierende Faktoren auszuschließen:
Liegen hohe Messwerte vor, ist es klug, als Erstes das Insulinhandling mit dem Katzenpersonal zu reevaluieren:
Da bei einem gut regulierten Diabetiker jederzeit durch Aufhebung der Glucosetoxizität eine Remission in den nicht insulinpflichtigen Zustand eintreten kann, sind kontinuierliche Kontrollen zu Hause wichtig. Wichtig ist es, bei hohen Werten nicht automatisch auf eine Insulinunterdosierung zu schließen; oft liegt ein Somogyi-Effekt vor, eine Hypoglykämie mit nachfolgender reaktiver Hyperglykämie, die oft mehrere Tage anhält. Daher ist es relevant, Insulinsteigerungen nicht aufgrund von einmaligen, punktuellen Messungen vorzunehmen, sondern Messwerte in Zusammenhang zu setzen. Hier kann ein kontinuierliches Bloodmonitoring sehr hilfreich sein, um Hypoglykämien zu erfassen und das richtige Insulin auszuwählen. Wurde eine Hypoglykämie dokumentiert, sollte die Insulindosis um 50 % reduziert werden. Anzeichen einer felinen Hypoglykämie sind oft subtil – Desorientiertheit, Verwirrtheit, Aggressivität, Schwäche oder Zurückgezogenheit. Bereits bei der Erstdiagnose ist es gut, den Katzenpatienten eine Tube mit Glucosesirup für einen etwaigen Unterzucker mitzugeben (1g/kg, entspricht meistens 1/3 einer kleinen Tube, im 15-minütigen Abstand eingeben lassen).
Anhaltend hohe Glucosewerte bei einer Insulindosierung von 1 Einheit/kg lassen auf eine Insulinresistenz schließen. Der Patient sollte noch einmal auf Entzündungen (FORL, Pankreatitis, bakterielle Zystitis) untersucht und auf Akromegalie (IGF-1-Analyse) getestet werden. Auch gleichzeitige Cortisonadministration oder Hyperadrenokortizismus führen zu Insulinresistenz und sollten ausgeschlossen werden.
Velagliflozin ist ein SGLT-2-Hemmer (SGLT-2 = sodium-glucose co-transport 2), der im proximalen Tubus der Niere durch Hemmung der Rückresorption von Glucose zu einer renalen Glucosurie führt und dadurch den Blutglucosespiegel senkt. Die damit einhergehende reduzierte Glucosetoxizität führt zu einer verbesserten ß-Zellfunktion und somit zu einer verbesserten körpereigenen Insulinsekretion. Velagliflozin blockiert selektiv; da über SGLT1-Rezeptoren genügend Glucose rückresorbiert wird, wurde bisher keine klinische Hypoglykämie beobachtet. Die Dosis beträgt 1 mg/kg einmal täglich oral und die Wirkung tritt sehr rasch ein – nach sieben Tagen ist mit einer anhaltenden Normalisierung der Blutglucose unter 250 mg/dl zu rechnen (Abb. 4).
Mögliche und öfter auftretende Nebenwirkungen sind selbstlimitierender Durchfall und eine Gewichtsabnahme, die sich jedoch stabilisiert.
Eine Besonderheit der Therapie mit Velagliflozin ist die Entwicklung einer euglykämischen Ketoacidose. Dies passiert, wenn doch zu wenig körpereigenes Insulin vorhanden ist und der Stoffwechsel kippt. Da eine Ketoacidose meist in den ersten zwei Wochen ab Behandlungsbeginn auftritt, ist zu Beginn eine engmaschige Kontrolle auf Ketonkörper im Harn wichtig. Werden Ketonkörper im Blut gemessen, sind diese immer im Zusammenhang mit dem klinischen Befinden des Patienten zu interpretieren: Geht es der Katze gut und sie frisst brav, ist keine Intervention notwendig. Velagliflozin ist primär für die Therapie einer Erstdiagnose gedacht, eine Ketonurie stellt eine absolute Kontraindikation dar.
Schlecht eingestellte Diabetiker können versuchsweise mit engem Monitoring umgestellt werden, da die Wahrscheinlichkeit einer euglykämischen Ketoacidose bei diesen Patienten viel höher ist. Die Therapie benötigt eine stationäre Aufnahme und intensivmedizinische Betreuung (Insulingabe, Glucoseinfusionen – Velagliflozin senkt noch einige Tage nach dem Absetzen die Blutglucose –, Elektrolytausgleich), daher der Tipp aus der Praxis: Eine Umstellung auf Velagliflozin bei einem komplizierten Diabetiker eher am Wochenende starten; bei unseren Patienten trat der Notfall euglykämische Ketoacidose nach zwei bis drei Tagen Therapie – und somit „geplant“ am Montag und nicht im Wochenendnotdienst – ein.
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